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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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der Sprache -- sondern wegen ihrer Menschlichkeit. pse_090.002
Denn wir wissen bereits, daß in den Worten nicht bloß pse_090.003
ein Stück des Erfahrungsstroms herausgeschnitten und dauerhaft pse_090.004
geprägt wird, sondern daß dabei auch unsere Einstellung pse_090.005
zu diesem Erfahrungsstück mit eingeformt wird. Und das pse_090.006
auch in der Wortfügung, im Rhythmus, in der Lautung, in pse_090.007
der Satzbewegung. Sprache ist das typisch menschliche Organ pse_090.008
der Welterfassung. Nur eine ökonomisierte Sprachgebung pse_090.009
kann dieses Menschliche ausschalten, freilich nie ganz. Sobald pse_090.010
aber die Sprache in ihrer Vollkraft wieder da ist, wie das pse_090.011
wesenhaft bei der Dichtung der Fall ist, sind auch diese pse_090.012
menschlichen Züge des Welterfassens wieder da! Nicht mehr pse_090.013
bloß Mitteilung von auch formelhaft Ausdrückbarem, sondern pse_090.014
Vermittlung von Mensch zu Mensch. "Das ist ein ekelhafter pse_090.015
Mensch!" und: "Mir tut dieses arme Wesen so leid!" pse_090.016
Hier sind nicht begrifflich und logisch formulierbare Aussagen pse_090.017
über einen Menschen gemacht, sondern hier leben je pse_090.018
zwei Menschen: der, von dem die Rede ist, und der Sprechende. pse_090.019
Aber das spürt auch der Hörende, er hört das Menschliche pse_090.020
überhaupt heraus, das da Gestalt wird, auch in ihm wird pse_090.021
es gefühlhaft aufgerufen. Durch den Grundzug der Verwesentlichung, pse_090.022
der schon der Sprachgestaltung überhaupt pse_090.023
eigen ist, werden auch diese fallweisen menschlichen Züge ins pse_090.024
Allgemeine gehoben. "Die dichterische Sprache ist eine pse_090.025
Sprache von Mensch zu Mensch" (Fritz Strich). An einem pse_090.026
Gedicht von Goethe oder Eichendorff kann das leicht nachgewiesen pse_090.027
werden. Wie aber in der sogenannten modernen pse_090.028
Lyrik, die ja das Menschliche ausschalten soll? Wir greifen zu pse_090.029
Versen von Gottfried Benn, nicht zu solchen, wo auch bei pse_090.030
ihm das Menschliche deutlich ergreift, sondern zu den "radikalen"; pse_090.031
an ihnen und von ihnen ausgehend sei das Menschliche pse_090.032
an jeder Dichtung, und zwar an ihr als abgeschlossenem pse_090.033
Gebilde, aufgezeigt. Eines der Gedichte mit der Überschrift pse_090.034
"Quartär" lautet:

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Die Welten trinken und tränken pse_090.036
sich Rausch zu neuem Raum pse_090.037
und die letzten Quartäre versenken pse_090.038
den ptolemäischen Traum.

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der Sprache — sondern wegen ihrer Menschlichkeit. pse_090.002
Denn wir wissen bereits, daß in den Worten nicht bloß pse_090.003
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Vermittlung von Mensch zu Mensch. »Das ist ein ekelhafter pse_090.015
Mensch!« und: »Mir tut dieses arme Wesen so leid!« pse_090.016
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Aber das spürt auch der Hörende, er hört das Menschliche pse_090.020
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Sprache von Mensch zu Mensch« (Fritz Strich). An einem pse_090.026
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Lyrik, die ja das Menschliche ausschalten soll? Wir greifen zu pse_090.029
Versen von Gottfried Benn, nicht zu solchen, wo auch bei pse_090.030
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Die Welten trinken und tränken pse_090.036
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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/106>, abgerufen am 21.11.2024.