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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Im Reiche der Cyklopen: eine populäre Darstellung der Stahl- und Eisentechnik. Wien u. a., 1900.

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Erster Abschnitt.

In der Zeit, da die Schiffsschraube noch nicht zu absoluter Herrschaft gelangt
war, kam Brunel auf die Idee, beide Arten von Bewegungsmechanismen zugleich
nutzbar zu machen und überdies einen Schiffskörper von denkbar größten Dimen-
sionen zu schaffen. So kam der Plan zu dem Riesenschiffe "Great Eastern"
zu Stande. Brunel war mit dem Unternehmer Russel Scott alliirt, und beide
waren von der Durchführbarkeit des Planes so sehr überzeugt, daß sie ihr ganzes
Vermögen daran wandten und schließlich auch dem pecuniären Ruin verfielen.
Im Jahre 1852 in Angriff genommen, erforderte der Bau des Riesenschiffes bis
zum Stapellaufe fünf Jahre. Die Dimensionen waren: 207 Meter Länge bei
einer Breite von 36.6 und einem Tiefgang von 9 Meter; das Deplacement betrug
27.400 Tonnen, war also fast zehnmal größer als bei dem "Great Britain".
Der eiserne Schiffskörper wog 6250 Tonnen, das Holzwerk der Verdecke 2500 Tonnen.
Ganz ungeheuer waren für damalige Verhältnisse die Maschinen von 3600 Pferde-
[Abbildung] Fig. 297.

"Great Britain", erster eiserner Schrauben-Oceandampfer (1845).

stärken für die Schaufel-
räder und 3800 Pferde-
stärken für die Schraube.

Mit dem "Great
Eastern" hatte Brunel
das Unglaubliche verwirk-
licht. Die ganze Welt war
seinerzeit von den Nach-
richten über diesen schwim-
menden Koloß erfüllt, und
der Erbauer selber scheint vor seinem Werke bewundernd gestanden zu sein.
Gleichwohl waren demselben nur Mißgeschicke vorbehalten. So gleich beim
Stapellauf. Wegen des ungeheueren Gewichtes hatte man sich für die eisernen
Gleitbahnen (statt für die herkömmlichen hölzernen) entschieden. Als die Stützen
fielen, bewegte sich der Koloß nicht um eine Linie. Er mußte schleunigst wieder
neu unterfangen und dann durch hydraulische Maschinen Zoll um Zoll vorwärts
geschoben werden, eine Arbeit, welche die Kleinigkeit von fast anderthalb Millionen
Gulden verursachte. Dennoch war dieses Fiasco ein glücklicher Zufall, ein Werk
der Vorsehung. Brunel hatte nämlich, nicht ohne einiges Grausen, hinterher nach-
gerechnet, daß das mächtige Schiff beim raschen Eintauchen in die Themse (auf
der Werft von Millwall) eine Fluthwelle erzeugt haben würde, welche -- 5 bis
6 Meter hoch -- genügt hätte, das ganze gegenüberliegende flache Themseufer,
auf welchem Hunderttausende von Zuschauern standen, momentan dreimal manns-
hoch unter Wasser zu setzen. Niemand drüben in ihrem Bereiche wäre dem Tode
entgangen.

Im Jahre 1852 begonnen, wurde der "Great Eastern" erst sieben Jahre
später in Fahrt gestellt, doch konnte er, verschiedener nachträglicher Reparaturen
wegen, erst das Jahr darauf (1860) die erste Oceanfahrt antreten. Die Passagier-

Erſter Abſchnitt.

In der Zeit, da die Schiffsſchraube noch nicht zu abſoluter Herrſchaft gelangt
war, kam Brunel auf die Idee, beide Arten von Bewegungsmechanismen zugleich
nutzbar zu machen und überdies einen Schiffskörper von denkbar größten Dimen-
ſionen zu ſchaffen. So kam der Plan zu dem Rieſenſchiffe »Great Eaſtern«
zu Stande. Brunel war mit dem Unternehmer Ruſſel Scott alliirt, und beide
waren von der Durchführbarkeit des Planes ſo ſehr überzeugt, daß ſie ihr ganzes
Vermögen daran wandten und ſchließlich auch dem pecuniären Ruin verfielen.
Im Jahre 1852 in Angriff genommen, erforderte der Bau des Rieſenſchiffes bis
zum Stapellaufe fünf Jahre. Die Dimenſionen waren: 207 Meter Länge bei
einer Breite von 36‧6 und einem Tiefgang von 9 Meter; das Deplacement betrug
27.400 Tonnen, war alſo faſt zehnmal größer als bei dem »Great Britain«.
Der eiſerne Schiffskörper wog 6250 Tonnen, das Holzwerk der Verdecke 2500 Tonnen.
Ganz ungeheuer waren für damalige Verhältniſſe die Maſchinen von 3600 Pferde-
[Abbildung] Fig. 297.

»Great Britain«, erſter eiſerner Schrauben-Oceandampfer (1845).

ſtärken für die Schaufel-
räder und 3800 Pferde-
ſtärken für die Schraube.

Mit dem »Great
Eaſtern« hatte Brunel
das Unglaubliche verwirk-
licht. Die ganze Welt war
ſeinerzeit von den Nach-
richten über dieſen ſchwim-
menden Koloß erfüllt, und
der Erbauer ſelber ſcheint vor ſeinem Werke bewundernd geſtanden zu ſein.
Gleichwohl waren demſelben nur Mißgeſchicke vorbehalten. So gleich beim
Stapellauf. Wegen des ungeheueren Gewichtes hatte man ſich für die eiſernen
Gleitbahnen (ſtatt für die herkömmlichen hölzernen) entſchieden. Als die Stützen
fielen, bewegte ſich der Koloß nicht um eine Linie. Er mußte ſchleunigſt wieder
neu unterfangen und dann durch hydrauliſche Maſchinen Zoll um Zoll vorwärts
geſchoben werden, eine Arbeit, welche die Kleinigkeit von faſt anderthalb Millionen
Gulden verurſachte. Dennoch war dieſes Fiasco ein glücklicher Zufall, ein Werk
der Vorſehung. Brunel hatte nämlich, nicht ohne einiges Grauſen, hinterher nach-
gerechnet, daß das mächtige Schiff beim raſchen Eintauchen in die Themſe (auf
der Werft von Millwall) eine Fluthwelle erzeugt haben würde, welche — 5 bis
6 Meter hoch — genügt hätte, das ganze gegenüberliegende flache Themſeufer,
auf welchem Hunderttauſende von Zuſchauern ſtanden, momentan dreimal manns-
hoch unter Waſſer zu ſetzen. Niemand drüben in ihrem Bereiche wäre dem Tode
entgangen.

Im Jahre 1852 begonnen, wurde der »Great Eaſtern« erſt ſieben Jahre
ſpäter in Fahrt geſtellt, doch konnte er, verſchiedener nachträglicher Reparaturen
wegen, erſt das Jahr darauf (1860) die erſte Oceanfahrt antreten. Die Paſſagier-

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[366/0408] Erſter Abſchnitt. In der Zeit, da die Schiffsſchraube noch nicht zu abſoluter Herrſchaft gelangt war, kam Brunel auf die Idee, beide Arten von Bewegungsmechanismen zugleich nutzbar zu machen und überdies einen Schiffskörper von denkbar größten Dimen- ſionen zu ſchaffen. So kam der Plan zu dem Rieſenſchiffe »Great Eaſtern« zu Stande. Brunel war mit dem Unternehmer Ruſſel Scott alliirt, und beide waren von der Durchführbarkeit des Planes ſo ſehr überzeugt, daß ſie ihr ganzes Vermögen daran wandten und ſchließlich auch dem pecuniären Ruin verfielen. Im Jahre 1852 in Angriff genommen, erforderte der Bau des Rieſenſchiffes bis zum Stapellaufe fünf Jahre. Die Dimenſionen waren: 207 Meter Länge bei einer Breite von 36‧6 und einem Tiefgang von 9 Meter; das Deplacement betrug 27.400 Tonnen, war alſo faſt zehnmal größer als bei dem »Great Britain«. Der eiſerne Schiffskörper wog 6250 Tonnen, das Holzwerk der Verdecke 2500 Tonnen. Ganz ungeheuer waren für damalige Verhältniſſe die Maſchinen von 3600 Pferde- [Abbildung Fig. 297. »Great Britain«, erſter eiſerner Schrauben-Oceandampfer (1845).] ſtärken für die Schaufel- räder und 3800 Pferde- ſtärken für die Schraube. Mit dem »Great Eaſtern« hatte Brunel das Unglaubliche verwirk- licht. Die ganze Welt war ſeinerzeit von den Nach- richten über dieſen ſchwim- menden Koloß erfüllt, und der Erbauer ſelber ſcheint vor ſeinem Werke bewundernd geſtanden zu ſein. Gleichwohl waren demſelben nur Mißgeſchicke vorbehalten. So gleich beim Stapellauf. Wegen des ungeheueren Gewichtes hatte man ſich für die eiſernen Gleitbahnen (ſtatt für die herkömmlichen hölzernen) entſchieden. Als die Stützen fielen, bewegte ſich der Koloß nicht um eine Linie. Er mußte ſchleunigſt wieder neu unterfangen und dann durch hydrauliſche Maſchinen Zoll um Zoll vorwärts geſchoben werden, eine Arbeit, welche die Kleinigkeit von faſt anderthalb Millionen Gulden verurſachte. Dennoch war dieſes Fiasco ein glücklicher Zufall, ein Werk der Vorſehung. Brunel hatte nämlich, nicht ohne einiges Grauſen, hinterher nach- gerechnet, daß das mächtige Schiff beim raſchen Eintauchen in die Themſe (auf der Werft von Millwall) eine Fluthwelle erzeugt haben würde, welche — 5 bis 6 Meter hoch — genügt hätte, das ganze gegenüberliegende flache Themſeufer, auf welchem Hunderttauſende von Zuſchauern ſtanden, momentan dreimal manns- hoch unter Waſſer zu ſetzen. Niemand drüben in ihrem Bereiche wäre dem Tode entgangen. Im Jahre 1852 begonnen, wurde der »Great Eaſtern« erſt ſieben Jahre ſpäter in Fahrt geſtellt, doch konnte er, verſchiedener nachträglicher Reparaturen wegen, erſt das Jahr darauf (1860) die erſte Oceanfahrt antreten. Die Paſſagier-

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Im Reiche der Cyklopen: eine populäre Darstellung der Stahl- und Eisentechnik. Wien u. a., 1900, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_cyklopen_1900/408>, abgerufen am 22.11.2024.