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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Hoch-Armenien.
betreffend, von Moses ergänzt wurden. Hin und wieder ward gar
Moses' Verfasserschaft geleugnet1, und Thatsache ist es auch, daß
sich in dem fraglichen Werke Andeutungen und Aussprüche fanden,
die gegenüber dem angeblichen Verfasser in einem ausgesprochenen
anachronistischen Verhältnisse stehen2.

Repräsentiren Salum, Aharon und zum Theile auch Gregor
Magistros die schöne, Moses, Agathangelus die historisch-wissen-
schaftliche Literatur, so ist David der bedeutsamste Vertreter auf
dem Gebiete der Philosophie. Auch dieser Classiker der arme-
nischen Uebersetzerperiode hat seine Vorbildung meist außerhalb
seiner Heimat, zumal in Alexandria und Constantinopel erhalten
und anfänglich nur durch Uebertragungen auf die geistige Ent-
wickelung seines Volkes eingewirkt. Die berühmteste dieser Ueber-
tragungen ist jene der Aristotelischen Schriften. Dies classische
Bildungsferment scheint nun freilich im Mutterlande Davids
nicht jenen intensiven Erfolg gehabt zu haben, der seinen Aus-
druck in einer vollkommenen Durchgeistigung der gesammten nach-
maligen literarischen und wissenschaftlichen Thätigkeit gefunden
haben würde. Der Aristotelische Geist hatte keineswegs das
armenische Volk, ja nicht einmal den gebildeteren Theil desselben
durchtränkt. Verkörpert in einer einzigen Person, eben in jener
des Uebersetzers, erscheint das armenische Werk des griechischen
Philosophen als geistiger Denkstein im Geistesleben der Armenier,
weiter nichts. Viel größeres Aufsehen machten und mehr dem
Ideenkreise der damaligen Zeit sich anschmiegend waren Davids
Original-Arbeiten, zumal dessen Schrift über das "Kreuz der
Nestorianer"3, in der er mehr theologische Fragen behandelte
und durch seine strenge Orthodoxie dem allgemeinen Verständnisse,
in Folge des damals noch unmittelbarer wirkenden Abfalles des
Patriarchen Nestorius4, näher stand, als durch seine Meisterüber-

1 St. Martin, II, 301 u. ff.
2 An sonstigen bedeutenden Uebertragungen wären hervorzuheben:
Euklids Geometrie von Gregor Mag.; Abhandlungen Platos von dem-
selben; dann Uebersetzungen der historischen Bibliothek des Diodor von
Sicilien, die Werke von Kallimachos, Adronicus, Olympiodor, wahrschein-
lich auch die Schriften Hyppokrates' und die Homerischen Epopöen.
3 Bei Ritter, X.
4 Nestorius, Patriarch von Constantinopel, wurde auf der "Räuber-

Hoch-Armenien.
betreffend, von Moſes ergänzt wurden. Hin und wieder ward gar
Moſes’ Verfaſſerſchaft geleugnet1, und Thatſache iſt es auch, daß
ſich in dem fraglichen Werke Andeutungen und Ausſprüche fanden,
die gegenüber dem angeblichen Verfaſſer in einem ausgeſprochenen
anachroniſtiſchen Verhältniſſe ſtehen2.

Repräſentiren Salum, Aharon und zum Theile auch Gregor
Magiſtros die ſchöne, Moſes, Agathangelus die hiſtoriſch-wiſſen-
ſchaftliche Literatur, ſo iſt David der bedeutſamſte Vertreter auf
dem Gebiete der Philoſophie. Auch dieſer Claſſiker der arme-
niſchen Ueberſetzerperiode hat ſeine Vorbildung meiſt außerhalb
ſeiner Heimat, zumal in Alexandria und Conſtantinopel erhalten
und anfänglich nur durch Uebertragungen auf die geiſtige Ent-
wickelung ſeines Volkes eingewirkt. Die berühmteſte dieſer Ueber-
tragungen iſt jene der Ariſtoteliſchen Schriften. Dies claſſiſche
Bildungsferment ſcheint nun freilich im Mutterlande Davids
nicht jenen intenſiven Erfolg gehabt zu haben, der ſeinen Aus-
druck in einer vollkommenen Durchgeiſtigung der geſammten nach-
maligen literariſchen und wiſſenſchaftlichen Thätigkeit gefunden
haben würde. Der Ariſtoteliſche Geiſt hatte keineswegs das
armeniſche Volk, ja nicht einmal den gebildeteren Theil deſſelben
durchtränkt. Verkörpert in einer einzigen Perſon, eben in jener
des Ueberſetzers, erſcheint das armeniſche Werk des griechiſchen
Philoſophen als geiſtiger Denkſtein im Geiſtesleben der Armenier,
weiter nichts. Viel größeres Aufſehen machten und mehr dem
Ideenkreiſe der damaligen Zeit ſich anſchmiegend waren Davids
Original-Arbeiten, zumal deſſen Schrift über das „Kreuz der
Neſtorianer“3, in der er mehr theologiſche Fragen behandelte
und durch ſeine ſtrenge Orthodoxie dem allgemeinen Verſtändniſſe,
in Folge des damals noch unmittelbarer wirkenden Abfalles des
Patriarchen Neſtorius4, näher ſtand, als durch ſeine Meiſterüber-

1 St. Martin, II, 301 u. ff.
2 An ſonſtigen bedeutenden Uebertragungen wären hervorzuheben:
Euklids Geometrie von Gregor Mag.; Abhandlungen Platos von dem-
ſelben; dann Ueberſetzungen der hiſtoriſchen Bibliothek des Diodor von
Sicilien, die Werke von Kallimachos, Adronicus, Olympiodor, wahrſchein-
lich auch die Schriften Hyppokrates’ und die Homeriſchen Epopöen.
3 Bei Ritter, X.
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[66/0098] Hoch-Armenien. betreffend, von Moſes ergänzt wurden. Hin und wieder ward gar Moſes’ Verfaſſerſchaft geleugnet 1, und Thatſache iſt es auch, daß ſich in dem fraglichen Werke Andeutungen und Ausſprüche fanden, die gegenüber dem angeblichen Verfaſſer in einem ausgeſprochenen anachroniſtiſchen Verhältniſſe ſtehen 2. Repräſentiren Salum, Aharon und zum Theile auch Gregor Magiſtros die ſchöne, Moſes, Agathangelus die hiſtoriſch-wiſſen- ſchaftliche Literatur, ſo iſt David der bedeutſamſte Vertreter auf dem Gebiete der Philoſophie. Auch dieſer Claſſiker der arme- niſchen Ueberſetzerperiode hat ſeine Vorbildung meiſt außerhalb ſeiner Heimat, zumal in Alexandria und Conſtantinopel erhalten und anfänglich nur durch Uebertragungen auf die geiſtige Ent- wickelung ſeines Volkes eingewirkt. Die berühmteſte dieſer Ueber- tragungen iſt jene der Ariſtoteliſchen Schriften. Dies claſſiſche Bildungsferment ſcheint nun freilich im Mutterlande Davids nicht jenen intenſiven Erfolg gehabt zu haben, der ſeinen Aus- druck in einer vollkommenen Durchgeiſtigung der geſammten nach- maligen literariſchen und wiſſenſchaftlichen Thätigkeit gefunden haben würde. Der Ariſtoteliſche Geiſt hatte keineswegs das armeniſche Volk, ja nicht einmal den gebildeteren Theil deſſelben durchtränkt. Verkörpert in einer einzigen Perſon, eben in jener des Ueberſetzers, erſcheint das armeniſche Werk des griechiſchen Philoſophen als geiſtiger Denkſtein im Geiſtesleben der Armenier, weiter nichts. Viel größeres Aufſehen machten und mehr dem Ideenkreiſe der damaligen Zeit ſich anſchmiegend waren Davids Original-Arbeiten, zumal deſſen Schrift über das „Kreuz der Neſtorianer“ 3, in der er mehr theologiſche Fragen behandelte und durch ſeine ſtrenge Orthodoxie dem allgemeinen Verſtändniſſe, in Folge des damals noch unmittelbarer wirkenden Abfalles des Patriarchen Neſtorius 4, näher ſtand, als durch ſeine Meiſterüber- 1 St. Martin, II, 301 u. ff. 2 An ſonſtigen bedeutenden Uebertragungen wären hervorzuheben: Euklids Geometrie von Gregor Mag.; Abhandlungen Platos von dem- ſelben; dann Ueberſetzungen der hiſtoriſchen Bibliothek des Diodor von Sicilien, die Werke von Kallimachos, Adronicus, Olympiodor, wahrſchein- lich auch die Schriften Hyppokrates’ und die Homeriſchen Epopöen. 3 Bei Ritter, X. 4 Neſtorius, Patriarch von Conſtantinopel, wurde auf der „Räuber-

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/98>, abgerufen am 24.11.2024.