Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Etschmiadsin, der Patriarchensitz. sicht erkennen. Nur der Grundplan erinnert an den griechischenBaustyl und hiemit ist auch der Fühlungspunkt mit dem Gründer, König Tiridates II., gefunden, der in seiner Baulust nur antike Formen, wie er sie in Rom und in Griechenland kennen gelernt hatte, zur Geltung kommen lassen wollte. Die Hauptmasse der Kirche ist übrigens vollkommen armenischen Styls, nebenbei mit Vorsprüngen, Hallen und Thürmen in unregelmäßiger An- ordnung versehen; eine Art der Schmälerung des ursprünglichen Styltypus, die man auch an der Aja Sofia zu studiren, oder besser: zu beklagen Gelegenheit findet. Ueber der Herzmitte des gleicharmigen Kreuzes, das nach vier Weltrichtungen ebensoviele Schiffe bildet, ruht auf vier gewaltigen Pfeilern die uralte Kuppel. Unter dieser erhebt sich der Hauptaltar mit Alabastersäulen aus Tabris, wunderbar hervorleuchtend aus dem matthellen Raume, den die gewaltigen Porphyrwände einschließen1. In dem über- mäßigen Detail aller äußeren und inneren architektonischen Aus- schmückungen, Zuthaten und Ornamenten ist immerhin das typische Gepräge des armenischen Baustyles gewahrt, wenngleich dieselben aus den verschiedensten Epochen herrühren. Nur ein Denkmal, diesem Lande völlig fremden Baustyles, hat sich in spärlichen, immerhin aber noch genug interessanten Resten erhalten, der jonische Prachtpalast2, den Tiridates für seine Schwester zu Kharnei (etwas über zwei Meilen südöstlich von Eriwan) erbauen hat lassen. Dort erheben sich die Trümmer des, durch eines der furchtbaren Erdbeben, welche früher häufig den Ararat-Bezirk heimsuchten, zerstörten Baues an den Steilhängen einer kleinen Schlucht, am Fuße des bei 12,000 Fuß hohen Ala-Dagh. Die Perser nennen die Ruine auch heute noch Takth Dertad ("Thron des Dertad"), ein Beweis, wie mächtig auch bei den anders- gläubigen Nachbarvölkern die alt-armenischen Geschehnisse nach- geklungen haben. Um Etschmiadsin selbst breitet sich ein Theil jenes frucht- 1 Ansicht bei Dubois, Voy. III, pl. VII--VIII, und bei Parrot, "Reisen", I, 87. 2 Dubois, ebd.
Etſchmiadſin, der Patriarchenſitz. ſicht erkennen. Nur der Grundplan erinnert an den griechiſchenBauſtyl und hiemit iſt auch der Fühlungspunkt mit dem Gründer, König Tiridates II., gefunden, der in ſeiner Bauluſt nur antike Formen, wie er ſie in Rom und in Griechenland kennen gelernt hatte, zur Geltung kommen laſſen wollte. Die Hauptmaſſe der Kirche iſt übrigens vollkommen armeniſchen Styls, nebenbei mit Vorſprüngen, Hallen und Thürmen in unregelmäßiger An- ordnung verſehen; eine Art der Schmälerung des urſprünglichen Styltypus, die man auch an der Aja Sofia zu ſtudiren, oder beſſer: zu beklagen Gelegenheit findet. Ueber der Herzmitte des gleicharmigen Kreuzes, das nach vier Weltrichtungen ebenſoviele Schiffe bildet, ruht auf vier gewaltigen Pfeilern die uralte Kuppel. Unter dieſer erhebt ſich der Hauptaltar mit Alabaſterſäulen aus Tabris, wunderbar hervorleuchtend aus dem matthellen Raume, den die gewaltigen Porphyrwände einſchließen1. In dem über- mäßigen Detail aller äußeren und inneren architektoniſchen Aus- ſchmückungen, Zuthaten und Ornamenten iſt immerhin das typiſche Gepräge des armeniſchen Bauſtyles gewahrt, wenngleich dieſelben aus den verſchiedenſten Epochen herrühren. Nur ein Denkmal, dieſem Lande völlig fremden Bauſtyles, hat ſich in ſpärlichen, immerhin aber noch genug intereſſanten Reſten erhalten, der joniſche Prachtpalaſt2, den Tiridates für ſeine Schweſter zu Kharnei (etwas über zwei Meilen ſüdöſtlich von Eriwan) erbauen hat laſſen. Dort erheben ſich die Trümmer des, durch eines der furchtbaren Erdbeben, welche früher häufig den Ararat-Bezirk heimſuchten, zerſtörten Baues an den Steilhängen einer kleinen Schlucht, am Fuße des bei 12,000 Fuß hohen Ala-Dagh. Die Perſer nennen die Ruine auch heute noch Takth Dertad („Thron des Dertad“), ein Beweis, wie mächtig auch bei den anders- gläubigen Nachbarvölkern die alt-armeniſchen Geſchehniſſe nach- geklungen haben. Um Etſchmiadſin ſelbſt breitet ſich ein Theil jenes frucht- 1 Anſicht bei Dubois, Voy. III, pl. VII—VIII, und bei Parrot, „Reiſen“, I, 87. 2 Dubois, ebd.
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Etſchmiadſin, der Patriarchenſitz.
ſicht erkennen. Nur der Grundplan erinnert an den griechiſchen
Bauſtyl und hiemit iſt auch der Fühlungspunkt mit dem Gründer,
König Tiridates II., gefunden, der in ſeiner Bauluſt nur antike
Formen, wie er ſie in Rom und in Griechenland kennen gelernt
hatte, zur Geltung kommen laſſen wollte. Die Hauptmaſſe der
Kirche iſt übrigens vollkommen armeniſchen Styls, nebenbei
mit Vorſprüngen, Hallen und Thürmen in unregelmäßiger An-
ordnung verſehen; eine Art der Schmälerung des urſprünglichen
Styltypus, die man auch an der Aja Sofia zu ſtudiren, oder
beſſer: zu beklagen Gelegenheit findet. Ueber der Herzmitte des
gleicharmigen Kreuzes, das nach vier Weltrichtungen ebenſoviele
Schiffe bildet, ruht auf vier gewaltigen Pfeilern die uralte Kuppel.
Unter dieſer erhebt ſich der Hauptaltar mit Alabaſterſäulen aus
Tabris, wunderbar hervorleuchtend aus dem matthellen Raume,
den die gewaltigen Porphyrwände einſchließen 1. In dem über-
mäßigen Detail aller äußeren und inneren architektoniſchen Aus-
ſchmückungen, Zuthaten und Ornamenten iſt immerhin das typiſche
Gepräge des armeniſchen Bauſtyles gewahrt, wenngleich dieſelben
aus den verſchiedenſten Epochen herrühren. Nur ein Denkmal,
dieſem Lande völlig fremden Bauſtyles, hat ſich in ſpärlichen,
immerhin aber noch genug intereſſanten Reſten erhalten, der
joniſche Prachtpalaſt 2, den Tiridates für ſeine Schweſter zu
Kharnei (etwas über zwei Meilen ſüdöſtlich von Eriwan) erbauen
hat laſſen. Dort erheben ſich die Trümmer des, durch eines der
furchtbaren Erdbeben, welche früher häufig den Ararat-Bezirk
heimſuchten, zerſtörten Baues an den Steilhängen einer kleinen
Schlucht, am Fuße des bei 12,000 Fuß hohen Ala-Dagh. Die
Perſer nennen die Ruine auch heute noch Takth Dertad („Thron
des Dertad“), ein Beweis, wie mächtig auch bei den anders-
gläubigen Nachbarvölkern die alt-armeniſchen Geſchehniſſe nach-
geklungen haben.
Um Etſchmiadſin ſelbſt breitet ſich ein Theil jenes frucht-
reichen Tafellandes, das der Araxes durchſtrömt. In dem alt-
ehrwürdigen Kloſtergarten ſtehen auch die unförmlichen Sarko-
1 Anſicht bei Dubois, Voy. III, pl. VII—VIII, und bei Parrot,
„Reiſen“, I, 87.
2 Dubois, ebd.
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