Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Kars. Jahrhunderts an die Byzantiner1, von wo ab die Quellen einegroße Lücke in Bezug auf die weiteren Schicksale und Ereignisse, welche mit Kars verflochten sein dürften, fühlen lassen. Die Seldschuken, welche bekanntlich allenthalben die byzantinische Erbschaft antraten, waren auch in den Besitz dieses Grenzboll- werkes gegen die Perser und Georgier getreten, doch wahrscheinlich nicht für lange Zeit, da die allgemeine Mongolenfluth auch die einsamen, wenig fruchtbaren Tafelländer Armeniens nicht ver- schonte und ihre neue Herrschaft mit Feuer und Schwert zur Geltung brachte. Schließlich fiel die Stadt in die Hände der Osmanen, seit welcher Zeit sie erst ihre Bedeutung als Grenz- bollwerk erlangte, da Sultan Murad III. es war, der vor etwa drei Jahrhunderten (1579) die ersten Befestigungen anlegen ließ 2, Befestigungen, die sich in ihrer ursprünglichen Form und Stärke bis auf den Tag erhalten hatten. Es ist dies zunächst das domi- nirende Castell im Norden der Stadt, über hoher Uferstufe des Karsflusses dräuend, mit einfacher Umwallung gegen die sturm- freie nördliche und nordwestliche Seite und mit doppelter gegen die zugänglicheren Abdachungen nach Süd und Südost. An diesen Abdachungen liegt auch die alte, man darf in Betracht ihrer Antecedentien wohl sagen, klassische Stadt, in kurzen, steilen Terrassen erbaut, meist aus sehr hohen, mehrstöckigen Häusern bestehend, die von der Ferne gesehen, eines der pittoreskesten Städtebilder präsentiren. In der Nähe ist es freilich anders und dieselben luftigen Steinbauten, meist aus dunklem, düsterem Basalt, begrenzen die denkbar schmalsten Straßen, wahre Cloaken, in denen sich Bewohner und Hausthiere, die schakalartigen Straßen- köter nicht ausgenommen, chaotisch herumtummeln. Es scheint in Kars nicht immer so gewesen zu sein, denn wir besitzen orien- talische Reiseberichte, welche Wunderbares genug von der mäch- tigen Grenzstadt zu berichten wissen, und die vielfach die Sorge der Sultane hervorheben, welche diese für Kars an den Tag legten. Das eigentliche Hinderniß, daß Kars niemals zu einer wahren und dauernden Blüthe sich emporschwingen konnte, mag eben darin liegen, daß es als Grenzbollwerk seit jeher den an- 1 St. Martin, Memoire sur l'Armenie, I, a. a. O. 2 Hammer-Purgstall, "Gesch. d. osm. Reiches", IV, 76.
Kars. Jahrhunderts an die Byzantiner1, von wo ab die Quellen einegroße Lücke in Bezug auf die weiteren Schickſale und Ereigniſſe, welche mit Kars verflochten ſein dürften, fühlen laſſen. Die Seldſchuken, welche bekanntlich allenthalben die byzantiniſche Erbſchaft antraten, waren auch in den Beſitz dieſes Grenzboll- werkes gegen die Perſer und Georgier getreten, doch wahrſcheinlich nicht für lange Zeit, da die allgemeine Mongolenfluth auch die einſamen, wenig fruchtbaren Tafelländer Armeniens nicht ver- ſchonte und ihre neue Herrſchaft mit Feuer und Schwert zur Geltung brachte. Schließlich fiel die Stadt in die Hände der Osmanen, ſeit welcher Zeit ſie erſt ihre Bedeutung als Grenz- bollwerk erlangte, da Sultan Murad III. es war, der vor etwa drei Jahrhunderten (1579) die erſten Befeſtigungen anlegen ließ 2, Befeſtigungen, die ſich in ihrer urſprünglichen Form und Stärke bis auf den Tag erhalten hatten. Es iſt dies zunächſt das domi- nirende Caſtell im Norden der Stadt, über hoher Uferſtufe des Karsfluſſes dräuend, mit einfacher Umwallung gegen die ſturm- freie nördliche und nordweſtliche Seite und mit doppelter gegen die zugänglicheren Abdachungen nach Süd und Südoſt. An dieſen Abdachungen liegt auch die alte, man darf in Betracht ihrer Antecedentien wohl ſagen, klaſſiſche Stadt, in kurzen, ſteilen Terraſſen erbaut, meiſt aus ſehr hohen, mehrſtöckigen Häuſern beſtehend, die von der Ferne geſehen, eines der pittoreskeſten Städtebilder präſentiren. In der Nähe iſt es freilich anders und dieſelben luftigen Steinbauten, meiſt aus dunklem, düſterem Baſalt, begrenzen die denkbar ſchmalſten Straßen, wahre Cloaken, in denen ſich Bewohner und Hausthiere, die ſchakalartigen Straßen- köter nicht ausgenommen, chaotiſch herumtummeln. Es ſcheint in Kars nicht immer ſo geweſen zu ſein, denn wir beſitzen orien- taliſche Reiſeberichte, welche Wunderbares genug von der mäch- tigen Grenzſtadt zu berichten wiſſen, und die vielfach die Sorge der Sultane hervorheben, welche dieſe für Kars an den Tag legten. Das eigentliche Hinderniß, daß Kars niemals zu einer wahren und dauernden Blüthe ſich emporſchwingen konnte, mag eben darin liegen, daß es als Grenzbollwerk ſeit jeher den an- 1 St. Martin, Mémoire sur l’Armenie, I, a. a. O. 2 Hammer-Purgſtall, „Geſch. d. osm. Reiches“, IV, 76.
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Jahrhunderts an die Byzantiner 1, von wo ab die Quellen eine
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welche mit Kars verflochten ſein dürften, fühlen laſſen. Die
Seldſchuken, welche bekanntlich allenthalben die byzantiniſche
Erbſchaft antraten, waren auch in den Beſitz dieſes Grenzboll-
werkes gegen die Perſer und Georgier getreten, doch wahrſcheinlich
nicht für lange Zeit, da die allgemeine Mongolenfluth auch die
einſamen, wenig fruchtbaren Tafelländer Armeniens nicht ver-
ſchonte und ihre neue Herrſchaft mit Feuer und Schwert zur
Geltung brachte. Schließlich fiel die Stadt in die Hände der
Osmanen, ſeit welcher Zeit ſie erſt ihre Bedeutung als Grenz-
bollwerk erlangte, da Sultan Murad III. es war, der vor etwa
drei Jahrhunderten (1579) die erſten Befeſtigungen anlegen ließ 2,
Befeſtigungen, die ſich in ihrer urſprünglichen Form und Stärke
bis auf den Tag erhalten hatten. Es iſt dies zunächſt das domi-
nirende Caſtell im Norden der Stadt, über hoher Uferſtufe des
Karsfluſſes dräuend, mit einfacher Umwallung gegen die ſturm-
freie nördliche und nordweſtliche Seite und mit doppelter gegen
die zugänglicheren Abdachungen nach Süd und Südoſt. An
dieſen Abdachungen liegt auch die alte, man darf in Betracht
ihrer Antecedentien wohl ſagen, klaſſiſche Stadt, in kurzen, ſteilen
Terraſſen erbaut, meiſt aus ſehr hohen, mehrſtöckigen Häuſern
beſtehend, die von der Ferne geſehen, eines der pittoreskeſten
Städtebilder präſentiren. In der Nähe iſt es freilich anders und
dieſelben luftigen Steinbauten, meiſt aus dunklem, düſterem Baſalt,
begrenzen die denkbar ſchmalſten Straßen, wahre Cloaken, in
denen ſich Bewohner und Hausthiere, die ſchakalartigen Straßen-
köter nicht ausgenommen, chaotiſch herumtummeln. Es ſcheint
in Kars nicht immer ſo geweſen zu ſein, denn wir beſitzen orien-
taliſche Reiſeberichte, welche Wunderbares genug von der mäch-
tigen Grenzſtadt zu berichten wiſſen, und die vielfach die Sorge
der Sultane hervorheben, welche dieſe für Kars an den Tag
legten. Das eigentliche Hinderniß, daß Kars niemals zu einer
wahren und dauernden Blüthe ſich emporſchwingen konnte, mag
eben darin liegen, daß es als Grenzbollwerk ſeit jeher den an-
1 St. Martin, Mémoire sur l’Armenie, I, a. a. O.
2 Hammer-Purgſtall, „Geſch. d. osm. Reiches“, IV, 76.
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