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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Umgebung von Bajazid. -- Die Bajazider Kurden-Tribus.
nahezu sechsmonatlichen Winter mit Schneestürmen, Frost und
Unbilden aller Art, so erscheint uns dies Territorium würdig
der Bewohner, die es noch erbärmlicher machen, als es ohnedies
von Natur aus ist ... Trotz all dieser Thatsachen besitzt Bajazid
dennoch einen hervorragenden militärischen Werth, der nur
Strategen vom Schlage der türkischen Generale nicht klar zu
werden vermochte. Das Thal von Bajazid ist das einzige,
welches, neben seiner natürlichen Communication mit Erzerum
-- ein Handelsweg, der seit Jahrhunderten besteht -- auch mit
dem Seebecken von Van und der Quellregion des Tigris in
Verbindung steht, und zwar durch eine ganz leidliche Communi-
cation. Kein geringeres Volk wie die Römer hat diese Thatsache
zuerst erkannt und von ihr auch den bestmöglichsten Gebrauch
gemacht. Tacitus nennt dieses Territorium, durch das das
Römerheer des Corbuls nach Artaxata marschirte, Taurantium,
"das Land des Taurus-Einganges"1, eine Bezeichnung, die zur
Genüge auf die strategische Bedeutung desselben hinweist. Ein
weiterer Vortheil für die Kriegführung in diesem Gebiete ist der
von altersher bekannte Reichthum an Heerden. Ueberall auf
den prächtigen Weidestrecken des östlichen Murad-Beckens trifft
man auf Lämmer- und Ziegenrudel, die oft nach Tausenden
von Stücken zählen. Freilich erforderte deren ungestörter Besitz
bisher, selbst in den Zeiten des tiefsten Friedens, einen ganz an-
sehnlichen Apparat lebenden Schutzes, denn bei der Gewaltthätig-
keit der Gebirgsbewohner bedarf sozusagen jedes Thier seinen
eigenen Wächter, und Niemand, sei er nun Freund oder Feind
seines Nachbars, konnte seiner Habe froh werden.

Was die Kurdenstämme westwärts von Bajazid anbetrifft,
so sind es sammt und sonders solche, welche seit jeher mit der
Pforte in Streit und Hader lagen. Die richtige Politik gegen
diese unzuverlässigen Grenzhorden hat indeß nur Rußland zu ver-
folgen gewußt2. -- Es ist aus verschiedenen Episoden der letzten
russisch-türkischen Kriege hinlänglich erwiesen, wieviel Anstrengung
es sich die Gouverneure des Kaukasus kosten ließen, um in irgend

1 Mannert, "Geogr. d. Griech. u. Röm.", V, 2, 228.
2 Vgl. A. E. Macintosh, "Reise etc.", bei K. Koch, "Die kaukasischen
Länder", 237.

Umgebung von Bajazid. — Die Bajazider Kurden-Tribus.
nahezu ſechsmonatlichen Winter mit Schneeſtürmen, Froſt und
Unbilden aller Art, ſo erſcheint uns dies Territorium würdig
der Bewohner, die es noch erbärmlicher machen, als es ohnedies
von Natur aus iſt … Trotz all dieſer Thatſachen beſitzt Bajazid
dennoch einen hervorragenden militäriſchen Werth, der nur
Strategen vom Schlage der türkiſchen Generale nicht klar zu
werden vermochte. Das Thal von Bajazid iſt das einzige,
welches, neben ſeiner natürlichen Communication mit Erzerum
— ein Handelsweg, der ſeit Jahrhunderten beſteht — auch mit
dem Seebecken von Van und der Quellregion des Tigris in
Verbindung ſteht, und zwar durch eine ganz leidliche Communi-
cation. Kein geringeres Volk wie die Römer hat dieſe Thatſache
zuerſt erkannt und von ihr auch den beſtmöglichſten Gebrauch
gemacht. Tacitus nennt dieſes Territorium, durch das das
Römerheer des Corbuls nach Artaxata marſchirte, Taurantium,
„das Land des Taurus-Einganges“1, eine Bezeichnung, die zur
Genüge auf die ſtrategiſche Bedeutung deſſelben hinweiſt. Ein
weiterer Vortheil für die Kriegführung in dieſem Gebiete iſt der
von altersher bekannte Reichthum an Heerden. Ueberall auf
den prächtigen Weideſtrecken des öſtlichen Murad-Beckens trifft
man auf Lämmer- und Ziegenrudel, die oft nach Tauſenden
von Stücken zählen. Freilich erforderte deren ungeſtörter Beſitz
bisher, ſelbſt in den Zeiten des tiefſten Friedens, einen ganz an-
ſehnlichen Apparat lebenden Schutzes, denn bei der Gewaltthätig-
keit der Gebirgsbewohner bedarf ſozuſagen jedes Thier ſeinen
eigenen Wächter, und Niemand, ſei er nun Freund oder Feind
ſeines Nachbars, konnte ſeiner Habe froh werden.

Was die Kurdenſtämme weſtwärts von Bajazid anbetrifft,
ſo ſind es ſammt und ſonders ſolche, welche ſeit jeher mit der
Pforte in Streit und Hader lagen. Die richtige Politik gegen
dieſe unzuverläſſigen Grenzhorden hat indeß nur Rußland zu ver-
folgen gewußt2. — Es iſt aus verſchiedenen Epiſoden der letzten
ruſſiſch-türkiſchen Kriege hinlänglich erwieſen, wieviel Anſtrengung
es ſich die Gouverneure des Kaukaſus koſten ließen, um in irgend

1 Mannert, „Geogr. d. Griech. u. Röm.“, V, 2, 228.
2 Vgl. A. E. Macintoſh, „Reiſe ꝛc.“, bei K. Koch, „Die kaukaſiſchen
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[7/0039] Umgebung von Bajazid. — Die Bajazider Kurden-Tribus. nahezu ſechsmonatlichen Winter mit Schneeſtürmen, Froſt und Unbilden aller Art, ſo erſcheint uns dies Territorium würdig der Bewohner, die es noch erbärmlicher machen, als es ohnedies von Natur aus iſt … Trotz all dieſer Thatſachen beſitzt Bajazid dennoch einen hervorragenden militäriſchen Werth, der nur Strategen vom Schlage der türkiſchen Generale nicht klar zu werden vermochte. Das Thal von Bajazid iſt das einzige, welches, neben ſeiner natürlichen Communication mit Erzerum — ein Handelsweg, der ſeit Jahrhunderten beſteht — auch mit dem Seebecken von Van und der Quellregion des Tigris in Verbindung ſteht, und zwar durch eine ganz leidliche Communi- cation. Kein geringeres Volk wie die Römer hat dieſe Thatſache zuerſt erkannt und von ihr auch den beſtmöglichſten Gebrauch gemacht. Tacitus nennt dieſes Territorium, durch das das Römerheer des Corbuls nach Artaxata marſchirte, Taurantium, „das Land des Taurus-Einganges“ 1, eine Bezeichnung, die zur Genüge auf die ſtrategiſche Bedeutung deſſelben hinweiſt. Ein weiterer Vortheil für die Kriegführung in dieſem Gebiete iſt der von altersher bekannte Reichthum an Heerden. Ueberall auf den prächtigen Weideſtrecken des öſtlichen Murad-Beckens trifft man auf Lämmer- und Ziegenrudel, die oft nach Tauſenden von Stücken zählen. Freilich erforderte deren ungeſtörter Beſitz bisher, ſelbſt in den Zeiten des tiefſten Friedens, einen ganz an- ſehnlichen Apparat lebenden Schutzes, denn bei der Gewaltthätig- keit der Gebirgsbewohner bedarf ſozuſagen jedes Thier ſeinen eigenen Wächter, und Niemand, ſei er nun Freund oder Feind ſeines Nachbars, konnte ſeiner Habe froh werden. Was die Kurdenſtämme weſtwärts von Bajazid anbetrifft, ſo ſind es ſammt und ſonders ſolche, welche ſeit jeher mit der Pforte in Streit und Hader lagen. Die richtige Politik gegen dieſe unzuverläſſigen Grenzhorden hat indeß nur Rußland zu ver- folgen gewußt 2. — Es iſt aus verſchiedenen Epiſoden der letzten ruſſiſch-türkiſchen Kriege hinlänglich erwieſen, wieviel Anſtrengung es ſich die Gouverneure des Kaukaſus koſten ließen, um in irgend 1 Mannert, „Geogr. d. Griech. u. Röm.“, V, 2, 228. 2 Vgl. A. E. Macintoſh, „Reiſe ꝛc.“, bei K. Koch, „Die kaukaſiſchen Länder“, 237.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/39>, abgerufen am 21.11.2024.