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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Einleitende Bemerkungen.
gekommen wäre. Bei der notorischen türkischen Nachlässigkeit
und Sorglosigkeit gewannen die Russen Zeit, erhebliche Ver-
stärkungen nach dem Arpatschai zu dirigiren, was ihnen umso
leichter wurde, als bereits Anfangs August türkischerseits die
weitere Invasion Abchasiens aufgegeben wurde und die Ein-
schiffung der dortigen Truppen und Abchafen am 8. desselben
Monats ihren Abschluß erreicht hatte. Gleichwohl blieb die
russische Actions-Armee auch fernerhin vollkommen inoffensiv und
am 10. August überschritten die ersten fliegenden Detachements
der Türken die Ararat-Kette und erschienen so auf russischem
Gebiete. General Tergukassoff befand sich um diese Zeit nächst
Igdyr vorwärts des Araxes, ohne sich ernstlich mit seinem Gegner
Ismail Kurd Pascha einzulassen, der auch Bajazid wieder besetzt
hatte und die in der Citadelle zurückgebliebene russische Besatzung
ernstlich bedrängte; anders am Arpatschai, wo Mukhtar Pascha
am 23. August die Offensive ergriff und den Russen bei Ge-
dikler in der Ebene östlich von Kars einen empfindlichen Schlag
beibrachte. Dieser Sieg trug dem türkischen Marschall von
Seiten des Sultans ein Beglückwünschungstelegramm ein. Zwei
Tage später gewannen die Türken auch die günstige Position am
Kyzil-Tepe und verdrängten so ihre Gegner vollends aus dem
Bereiche jener dominirenden Höhen, die sich im Bogen zwischen
Kars und Ani (am Arpatschai) legen. Die Russen verhielten
sich von da ab wieder vollends in der Defensive, indem sie sich
in der Position von Kurukdere concentrirten und die so drin-
genden Verstärkungen abwarteten, die, in Anbetracht der unge-
heueren Entfernungen, noch immer nicht eingetroffen waren.

So verging der ganze September in gegenseitiger Unthätigkeit.
Am 2. October begann aber eine Reihe von Kämpfen, die nach
der Hartnäckigkeit, mit der sie beiderseits stattfanden, und nach der
Zahl der hiebei aufgewendeten Streitkräfte, nothgedrungen zu
einer Entscheidung führen mußten. Eine solche war aber bei der
vorgeschrittenen Jahreszeit doppelt geboten. Die ersten dieser
Kämpfe fielen zwischen den 2. und 4. October, wo mit wech-
selndem Glücke um einzelne Positionen des Aladscha-Gebirges
gestritten wurde. Die Russen hatten den großen Jaghni-Hügel
bereits genommen, als sie sich, angeblich wegen Wassermangels,
wieder zurückzogen. Auch am 10. gelang es Mukhtar Pascha

Einleitende Bemerkungen.
gekommen wäre. Bei der notoriſchen türkiſchen Nachläſſigkeit
und Sorgloſigkeit gewannen die Ruſſen Zeit, erhebliche Ver-
ſtärkungen nach dem Arpatſchai zu dirigiren, was ihnen umſo
leichter wurde, als bereits Anfangs Auguſt türkiſcherſeits die
weitere Invaſion Abchaſiens aufgegeben wurde und die Ein-
ſchiffung der dortigen Truppen und Abchafen am 8. deſſelben
Monats ihren Abſchluß erreicht hatte. Gleichwohl blieb die
ruſſiſche Actions-Armee auch fernerhin vollkommen inoffenſiv und
am 10. Auguſt überſchritten die erſten fliegenden Detachements
der Türken die Ararat-Kette und erſchienen ſo auf ruſſiſchem
Gebiete. General Tergukaſſoff befand ſich um dieſe Zeit nächſt
Igdyr vorwärts des Araxes, ohne ſich ernſtlich mit ſeinem Gegner
Ismail Kurd Paſcha einzulaſſen, der auch Bajazid wieder beſetzt
hatte und die in der Citadelle zurückgebliebene ruſſiſche Beſatzung
ernſtlich bedrängte; anders am Arpatſchai, wo Mukhtar Paſcha
am 23. Auguſt die Offenſive ergriff und den Ruſſen bei Ge-
dikler in der Ebene öſtlich von Kars einen empfindlichen Schlag
beibrachte. Dieſer Sieg trug dem türkiſchen Marſchall von
Seiten des Sultans ein Beglückwünſchungstelegramm ein. Zwei
Tage ſpäter gewannen die Türken auch die günſtige Poſition am
Kyzil-Tepe und verdrängten ſo ihre Gegner vollends aus dem
Bereiche jener dominirenden Höhen, die ſich im Bogen zwiſchen
Kars und Ani (am Arpatſchai) legen. Die Ruſſen verhielten
ſich von da ab wieder vollends in der Defenſive, indem ſie ſich
in der Poſition von Kurukdere concentrirten und die ſo drin-
genden Verſtärkungen abwarteten, die, in Anbetracht der unge-
heueren Entfernungen, noch immer nicht eingetroffen waren.

So verging der ganze September in gegenſeitiger Unthätigkeit.
Am 2. October begann aber eine Reihe von Kämpfen, die nach
der Hartnäckigkeit, mit der ſie beiderſeits ſtattfanden, und nach der
Zahl der hiebei aufgewendeten Streitkräfte, nothgedrungen zu
einer Entſcheidung führen mußten. Eine ſolche war aber bei der
vorgeſchrittenen Jahreszeit doppelt geboten. Die erſten dieſer
Kämpfe fielen zwiſchen den 2. und 4. October, wo mit wech-
ſelndem Glücke um einzelne Poſitionen des Aladſcha-Gebirges
geſtritten wurde. Die Ruſſen hatten den großen Jaghni-Hügel
bereits genommen, als ſie ſich, angeblich wegen Waſſermangels,
wieder zurückzogen. Auch am 10. gelang es Mukhtar Paſcha

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[XXIV/0028] Einleitende Bemerkungen. gekommen wäre. Bei der notoriſchen türkiſchen Nachläſſigkeit und Sorgloſigkeit gewannen die Ruſſen Zeit, erhebliche Ver- ſtärkungen nach dem Arpatſchai zu dirigiren, was ihnen umſo leichter wurde, als bereits Anfangs Auguſt türkiſcherſeits die weitere Invaſion Abchaſiens aufgegeben wurde und die Ein- ſchiffung der dortigen Truppen und Abchafen am 8. deſſelben Monats ihren Abſchluß erreicht hatte. Gleichwohl blieb die ruſſiſche Actions-Armee auch fernerhin vollkommen inoffenſiv und am 10. Auguſt überſchritten die erſten fliegenden Detachements der Türken die Ararat-Kette und erſchienen ſo auf ruſſiſchem Gebiete. General Tergukaſſoff befand ſich um dieſe Zeit nächſt Igdyr vorwärts des Araxes, ohne ſich ernſtlich mit ſeinem Gegner Ismail Kurd Paſcha einzulaſſen, der auch Bajazid wieder beſetzt hatte und die in der Citadelle zurückgebliebene ruſſiſche Beſatzung ernſtlich bedrängte; anders am Arpatſchai, wo Mukhtar Paſcha am 23. Auguſt die Offenſive ergriff und den Ruſſen bei Ge- dikler in der Ebene öſtlich von Kars einen empfindlichen Schlag beibrachte. Dieſer Sieg trug dem türkiſchen Marſchall von Seiten des Sultans ein Beglückwünſchungstelegramm ein. Zwei Tage ſpäter gewannen die Türken auch die günſtige Poſition am Kyzil-Tepe und verdrängten ſo ihre Gegner vollends aus dem Bereiche jener dominirenden Höhen, die ſich im Bogen zwiſchen Kars und Ani (am Arpatſchai) legen. Die Ruſſen verhielten ſich von da ab wieder vollends in der Defenſive, indem ſie ſich in der Poſition von Kurukdere concentrirten und die ſo drin- genden Verſtärkungen abwarteten, die, in Anbetracht der unge- heueren Entfernungen, noch immer nicht eingetroffen waren. So verging der ganze September in gegenſeitiger Unthätigkeit. Am 2. October begann aber eine Reihe von Kämpfen, die nach der Hartnäckigkeit, mit der ſie beiderſeits ſtattfanden, und nach der Zahl der hiebei aufgewendeten Streitkräfte, nothgedrungen zu einer Entſcheidung führen mußten. Eine ſolche war aber bei der vorgeſchrittenen Jahreszeit doppelt geboten. Die erſten dieſer Kämpfe fielen zwiſchen den 2. und 4. October, wo mit wech- ſelndem Glücke um einzelne Poſitionen des Aladſcha-Gebirges geſtritten wurde. Die Ruſſen hatten den großen Jaghni-Hügel bereits genommen, als ſie ſich, angeblich wegen Waſſermangels, wieder zurückzogen. Auch am 10. gelang es Mukhtar Paſcha

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. XXIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/28>, abgerufen am 21.11.2024.