Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Antike Denkmäler zu Boghasköj. Tschapan Oghlu Gewerbe und Production in niegeahntem Gradeaufblühten1. Selbst unter den ersten Nachfolgern der Regierung war es noch anders, damals, als der energische Izzet Pascha auf allen Wegen die Symbole seiner Macht, den Pfahl, errichten hatte lassen, vor dem sich selbst das ungebundene Gesindel des Anti-Taurus, die Kurden und Afscharen, scheu in ihre Schlupf- winkel verkrochen2. Die Sitten waren damals so patriarchalisch, daß selbst europäische Reisende nur angenehme Erfahrungen machten, und zwar in demselben Lande, das heute nur mehr mit Lebensgefahr betreten werden könnte. Es ist ein Theil des alten Kappadokien, mit seinen geheimnißvollen Ruinenresten zu Boghasköi und den abenteuerlichen Felssculpturen daselbst, die in der Zeit der neuen Zustände keine europäischen Forscher mehr angelockt haben3. Besser im Allgemeinen ist es mit der benachbarten Pontusprovinz bestellt, wo sich zwischen mäßig bewaldeten Höhen weite Thäler, jene des Irschil Irmak und seiner Zuflüsse, dehnen mit Ortschaften, wie Niksar, Tokat, Mersiwan und vor Allem Amasia, prächtige Oasen in der üppigen Vegetationsfülle ihrer natürlichen Gartenlandschaften wie begraben. Die Segnungen 1 Dieser Tschapan Oghlu war ein großer Bewunderer von Napoleon I., dessen Consuln und Emissäre bei ihm stets die freundlichste Aufnahme fanden. Daß er die unter seinem Regimente so blühende Stadt Jüsgat (mit vielen armenischen Colonisten) eigentlich erst von einem elenden Dorfe zu einer solchen erhob, wollen wir nur nebenher bemerken. Biel bedeut- samer erscheint die Thatsache, daß Tschapan Oghlus Gerechtigkeitsgefühl, Hospitalität und große Toleranz das Wunder bewirkten, daß viele der seinerzeit hier internirten russischen Gefangenen ihren Glauben abschworen und sich im Orte colonisirten. (Vgl. W. M. Leake, "Journal of a Tour in Asia Minor", bei Ritter a. a. O., 18.) 2 Perrot in "Rev. de deux Mondes" (1863), 338. 3 Es sind die Reste eines aus colossalen Quadern erbauten Tempels
mit theilweise erhaltenen Gemächern und von Mauern und Thürmen um- geben. (Grundplan bei W. Hamilton, "Asia Minor", Nr. 11.) Noch viel bedeutsamer sind die Felssculpturen des sogenannten Jazili-Kaia oder "be- schriebenen Steins", die einen Blick in eine ferne, räthselhafte Vorzeit ge- statten, die weit über die Epoche der Griechen und Römer hinausreicht. Die Relief-Darstellungen haben auch nichts mit ähnlichen Werken der Assyrier gemein, obgleich ihr Alter, wenn nicht noch höher hinauf, min- destens in die Zeit der zweiten assyrischen Weltherrschaft reichen dürfte. (Vgl. Texier, "Asie Mineure", I, 214 u. ff.) Antike Denkmäler zu Boghasköj. Tſchapan Oghlu Gewerbe und Production in niegeahntem Gradeaufblühten1. Selbſt unter den erſten Nachfolgern der Regierung war es noch anders, damals, als der energiſche Izzet Paſcha auf allen Wegen die Symbole ſeiner Macht, den Pfahl, errichten hatte laſſen, vor dem ſich ſelbſt das ungebundene Geſindel des Anti-Taurus, die Kurden und Afſcharen, ſcheu in ihre Schlupf- winkel verkrochen2. Die Sitten waren damals ſo patriarchaliſch, daß ſelbſt europäiſche Reiſende nur angenehme Erfahrungen machten, und zwar in demſelben Lande, das heute nur mehr mit Lebensgefahr betreten werden könnte. Es iſt ein Theil des alten Kappadokien, mit ſeinen geheimnißvollen Ruinenreſten zu Boghasköi und den abenteuerlichen Felsſculpturen daſelbſt, die in der Zeit der neuen Zuſtände keine europäiſchen Forſcher mehr angelockt haben3. Beſſer im Allgemeinen iſt es mit der benachbarten Pontusprovinz beſtellt, wo ſich zwiſchen mäßig bewaldeten Höhen weite Thäler, jene des Irſchil Irmak und ſeiner Zuflüſſe, dehnen mit Ortſchaften, wie Nikſar, Tokat, Merſiwan und vor Allem Amaſia, prächtige Oaſen in der üppigen Vegetationsfülle ihrer natürlichen Gartenlandſchaften wie begraben. Die Segnungen 1 Dieſer Tſchapan Oghlu war ein großer Bewunderer von Napoleon I., deſſen Conſuln und Emiſſäre bei ihm ſtets die freundlichſte Aufnahme fanden. Daß er die unter ſeinem Regimente ſo blühende Stadt Jüsgat (mit vielen armeniſchen Coloniſten) eigentlich erſt von einem elenden Dorfe zu einer ſolchen erhob, wollen wir nur nebenher bemerken. Biel bedeut- ſamer erſcheint die Thatſache, daß Tſchapan Oghlus Gerechtigkeitsgefühl, Hospitalität und große Toleranz das Wunder bewirkten, daß viele der ſeinerzeit hier internirten ruſſiſchen Gefangenen ihren Glauben abſchworen und ſich im Orte coloniſirten. (Vgl. W. M. Leake, „Journal of a Tour in Asia Minor“, bei Ritter a. a. O., 18.) 2 Perrot in „Rev. de deux Mondes“ (1863), 338. 3 Es ſind die Reſte eines aus coloſſalen Quadern erbauten Tempels
mit theilweiſe erhaltenen Gemächern und von Mauern und Thürmen um- geben. (Grundplan bei W. Hamilton, „Asia Minor“, Nr. 11.) Noch viel bedeutſamer ſind die Felsſculpturen des ſogenannten Jazili-Kaia oder „be- ſchriebenen Steins“, die einen Blick in eine ferne, räthſelhafte Vorzeit ge- ſtatten, die weit über die Epoche der Griechen und Römer hinausreicht. Die Relief-Darſtellungen haben auch nichts mit ähnlichen Werken der Aſſyrier gemein, obgleich ihr Alter, wenn nicht noch höher hinauf, min- deſtens in die Zeit der zweiten aſſyriſchen Weltherrſchaft reichen dürfte. (Vgl. Texier, „Asie Mineure“, I, 214 u. ff.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0221" n="189"/><fw place="top" type="header">Antike Denkmäler zu Boghasköj.</fw><lb/> Tſchapan Oghlu Gewerbe und Production in niegeahntem Grade<lb/> aufblühten<note place="foot" n="1">Dieſer Tſchapan Oghlu war ein großer Bewunderer von Napoleon <hi rendition="#aq">I.</hi>,<lb/> deſſen Conſuln und Emiſſäre bei ihm ſtets die freundlichſte Aufnahme<lb/> fanden. Daß er die unter ſeinem Regimente ſo blühende Stadt Jüsgat<lb/> (mit vielen armeniſchen Coloniſten) eigentlich erſt von einem elenden Dorfe<lb/> zu einer ſolchen erhob, wollen wir nur nebenher bemerken. Biel bedeut-<lb/> ſamer erſcheint die Thatſache, daß Tſchapan Oghlus Gerechtigkeitsgefühl,<lb/> Hospitalität und große Toleranz das Wunder bewirkten, daß viele der<lb/> ſeinerzeit hier internirten ruſſiſchen Gefangenen ihren Glauben abſchworen<lb/> und ſich im Orte coloniſirten. (Vgl. W. M. Leake, <hi rendition="#aq">„Journal of a Tour<lb/> in Asia Minor“</hi>, bei Ritter a. a. O., 18.)</note>. Selbſt unter den erſten Nachfolgern der Regierung<lb/> war es noch anders, damals, als der energiſche Izzet Paſcha<lb/> auf allen Wegen die Symbole ſeiner Macht, den Pfahl, errichten<lb/> hatte laſſen, vor dem ſich ſelbſt das ungebundene Geſindel des<lb/> Anti-Taurus, die Kurden und Afſcharen, ſcheu in ihre Schlupf-<lb/> winkel verkrochen<note place="foot" n="2">Perrot in <hi rendition="#aq">„Rev. de deux Mondes“</hi> (1863), 338.</note>. Die Sitten waren damals ſo patriarchaliſch,<lb/> daß ſelbſt europäiſche Reiſende nur angenehme Erfahrungen<lb/> machten, und zwar in demſelben Lande, das heute nur mehr mit<lb/> Lebensgefahr betreten werden könnte. Es iſt ein Theil des alten<lb/> Kappadokien, mit ſeinen geheimnißvollen Ruinenreſten zu Boghasköi<lb/> und den abenteuerlichen Felsſculpturen daſelbſt, die in der Zeit<lb/> der neuen Zuſtände keine europäiſchen Forſcher mehr angelockt<lb/> haben<note place="foot" n="3">Es ſind die Reſte eines aus coloſſalen Quadern erbauten Tempels<lb/> mit theilweiſe erhaltenen Gemächern und von Mauern und Thürmen um-<lb/> geben. (Grundplan bei W. Hamilton, <hi rendition="#aq">„Asia Minor“,</hi> Nr. 11.) Noch viel<lb/> bedeutſamer ſind die Felsſculpturen des ſogenannten Jazili-Kaia oder „be-<lb/> ſchriebenen Steins“, die einen Blick in eine ferne, räthſelhafte Vorzeit ge-<lb/> ſtatten, die weit über die Epoche der Griechen und Römer hinausreicht.<lb/> Die Relief-Darſtellungen haben auch nichts mit ähnlichen Werken der<lb/> Aſſyrier gemein, obgleich ihr Alter, wenn nicht noch höher hinauf, min-<lb/> deſtens in die Zeit der zweiten aſſyriſchen Weltherrſchaft reichen dürfte.<lb/> (Vgl. Texier, <hi rendition="#aq">„Asie Mineure“, I</hi>, 214 u. ff.)</note>. Beſſer im Allgemeinen iſt es mit der benachbarten<lb/> Pontusprovinz beſtellt, wo ſich zwiſchen mäßig bewaldeten Höhen<lb/> weite Thäler, jene des Irſchil Irmak und ſeiner Zuflüſſe, dehnen<lb/> mit Ortſchaften, wie Nikſar, Tokat, Merſiwan und vor Allem<lb/> Amaſia, prächtige Oaſen in der üppigen Vegetationsfülle ihrer<lb/> natürlichen Gartenlandſchaften wie begraben. Die Segnungen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [189/0221]
Antike Denkmäler zu Boghasköj.
Tſchapan Oghlu Gewerbe und Production in niegeahntem Grade
aufblühten 1. Selbſt unter den erſten Nachfolgern der Regierung
war es noch anders, damals, als der energiſche Izzet Paſcha
auf allen Wegen die Symbole ſeiner Macht, den Pfahl, errichten
hatte laſſen, vor dem ſich ſelbſt das ungebundene Geſindel des
Anti-Taurus, die Kurden und Afſcharen, ſcheu in ihre Schlupf-
winkel verkrochen 2. Die Sitten waren damals ſo patriarchaliſch,
daß ſelbſt europäiſche Reiſende nur angenehme Erfahrungen
machten, und zwar in demſelben Lande, das heute nur mehr mit
Lebensgefahr betreten werden könnte. Es iſt ein Theil des alten
Kappadokien, mit ſeinen geheimnißvollen Ruinenreſten zu Boghasköi
und den abenteuerlichen Felsſculpturen daſelbſt, die in der Zeit
der neuen Zuſtände keine europäiſchen Forſcher mehr angelockt
haben 3. Beſſer im Allgemeinen iſt es mit der benachbarten
Pontusprovinz beſtellt, wo ſich zwiſchen mäßig bewaldeten Höhen
weite Thäler, jene des Irſchil Irmak und ſeiner Zuflüſſe, dehnen
mit Ortſchaften, wie Nikſar, Tokat, Merſiwan und vor Allem
Amaſia, prächtige Oaſen in der üppigen Vegetationsfülle ihrer
natürlichen Gartenlandſchaften wie begraben. Die Segnungen
1 Dieſer Tſchapan Oghlu war ein großer Bewunderer von Napoleon I.,
deſſen Conſuln und Emiſſäre bei ihm ſtets die freundlichſte Aufnahme
fanden. Daß er die unter ſeinem Regimente ſo blühende Stadt Jüsgat
(mit vielen armeniſchen Coloniſten) eigentlich erſt von einem elenden Dorfe
zu einer ſolchen erhob, wollen wir nur nebenher bemerken. Biel bedeut-
ſamer erſcheint die Thatſache, daß Tſchapan Oghlus Gerechtigkeitsgefühl,
Hospitalität und große Toleranz das Wunder bewirkten, daß viele der
ſeinerzeit hier internirten ruſſiſchen Gefangenen ihren Glauben abſchworen
und ſich im Orte coloniſirten. (Vgl. W. M. Leake, „Journal of a Tour
in Asia Minor“, bei Ritter a. a. O., 18.)
2 Perrot in „Rev. de deux Mondes“ (1863), 338.
3 Es ſind die Reſte eines aus coloſſalen Quadern erbauten Tempels
mit theilweiſe erhaltenen Gemächern und von Mauern und Thürmen um-
geben. (Grundplan bei W. Hamilton, „Asia Minor“, Nr. 11.) Noch viel
bedeutſamer ſind die Felsſculpturen des ſogenannten Jazili-Kaia oder „be-
ſchriebenen Steins“, die einen Blick in eine ferne, räthſelhafte Vorzeit ge-
ſtatten, die weit über die Epoche der Griechen und Römer hinausreicht.
Die Relief-Darſtellungen haben auch nichts mit ähnlichen Werken der
Aſſyrier gemein, obgleich ihr Alter, wenn nicht noch höher hinauf, min-
deſtens in die Zeit der zweiten aſſyriſchen Weltherrſchaft reichen dürfte.
(Vgl. Texier, „Asie Mineure“, I, 214 u. ff.)
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