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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Hellespont und Ilion. -- Smyrna.
standener Fahrt durch diesen Sund, Hundert und mehr Feuer-
schlünde aus den verschiedenen Werken auf ihn herabgeblickt
hatten ... Es ist eben die Schwelle, wo sich nach des Dichters
Wort Asien von Europa riß ...

Auf unserem Wege längs des ägäischen Gestades nach
Smyrna, der gleich altberühmten Localität, gäbe es wohl manche
Station für die in classischen Erinnerungen schwelgende Phan-
tasie, aber sie alle zu befriedigen würde zu weit führen. So
blicken wir auch nur von Weitem auf die Waldberge von Lesbos,
der Heimat Alcäus' und der Sappho, Arions und Phanias; auf
die großartigen Trümmer von Pergamos mit den Ruinen eines
Palastes (muthmaßlich aus der Zeit der unabhängigen Attaliden)
und den türkischen Schmutzhütten inmitten der Marmorpracht 1.
Dann öffnet sich ein weitläufiger Golf, zum Theile von Bergen,
anderntheils von Ebenen umzogen, in dessen Hintergrund Smyrna,
die natürliche moderne Hauptstadt Anatoliens und drittgrößte
des türkischen Reiches liegt.

Unter den levantinischen Küstenstätten hat Smyrna, einst
die "Perle Joniens", noch lange nicht die Würdigung gefunden,
die das "östliche Neapel" zweifellos verdient. So kennt und
liebt man das neue Athen des Namens und der Localität halber,
obgleich die neu-hellenische Capitale mit dem einstigen attischen
Emporium nichts zu schaffen hat; man bewundert unterwegs die
aufklimmenden Häuser-Terrassen Syras, wenn der Postdampfer
einige Stunden im geräumigen Hafenbecken vor Anker liegt;
man schwärmt vom schimmernden Beirut, in dessen Tropengärten
die Schneewipfel des Libanon niederblicken, aber man weiß in
der Regel wenig Fesselndes über Smyrna zu berichten. Und
dennoch hat diese Stadt ihre landschaftlichen Reize, die im unge-
trübten Vollgenusse wesentlich dadurch gehoben werden, daß mit
denselben historische Erinnerungen verwoben sind, die in die
dunkelste Vorzeit hineinreichen 2. Schon im homerischen Alter-

1 Busch, "Türkei", 133.
2 Die Stadt liegt auf derselben Stelle, welche Alexander d. Gr. in
Folge eines Traumgesichtes, am Fuße des Berges Pagos für deren
Wiederaufbau erwählte, nachdem die ursprünglich auf der nordöstlichen
Seite der Bucht gelegene und der Sage nach von einer Amazone ge-
gründete, durch Alyattes, dem Könige der Lydier, aber zerstört worden

Hellespont und Ilion. — Smyrna.
ſtandener Fahrt durch dieſen Sund, Hundert und mehr Feuer-
ſchlünde aus den verſchiedenen Werken auf ihn herabgeblickt
hatten … Es iſt eben die Schwelle, wo ſich nach des Dichters
Wort Aſien von Europa riß …

Auf unſerem Wege längs des ägäiſchen Geſtades nach
Smyrna, der gleich altberühmten Localität, gäbe es wohl manche
Station für die in claſſiſchen Erinnerungen ſchwelgende Phan-
taſie, aber ſie alle zu befriedigen würde zu weit führen. So
blicken wir auch nur von Weitem auf die Waldberge von Lesbos,
der Heimat Alcäus’ und der Sappho, Arions und Phanias; auf
die großartigen Trümmer von Pergamos mit den Ruinen eines
Palaſtes (muthmaßlich aus der Zeit der unabhängigen Attaliden)
und den türkiſchen Schmutzhütten inmitten der Marmorpracht 1.
Dann öffnet ſich ein weitläufiger Golf, zum Theile von Bergen,
anderntheils von Ebenen umzogen, in deſſen Hintergrund Smyrna,
die natürliche moderne Hauptſtadt Anatoliens und drittgrößte
des türkiſchen Reiches liegt.

Unter den levantiniſchen Küſtenſtätten hat Smyrna, einſt
die „Perle Joniens“, noch lange nicht die Würdigung gefunden,
die das „öſtliche Neapel“ zweifellos verdient. So kennt und
liebt man das neue Athen des Namens und der Localität halber,
obgleich die neu-helleniſche Capitale mit dem einſtigen attiſchen
Emporium nichts zu ſchaffen hat; man bewundert unterwegs die
aufklimmenden Häuſer-Terraſſen Syras, wenn der Poſtdampfer
einige Stunden im geräumigen Hafenbecken vor Anker liegt;
man ſchwärmt vom ſchimmernden Beirut, in deſſen Tropengärten
die Schneewipfel des Libanon niederblicken, aber man weiß in
der Regel wenig Feſſelndes über Smyrna zu berichten. Und
dennoch hat dieſe Stadt ihre landſchaftlichen Reize, die im unge-
trübten Vollgenuſſe weſentlich dadurch gehoben werden, daß mit
denſelben hiſtoriſche Erinnerungen verwoben ſind, die in die
dunkelſte Vorzeit hineinreichen 2. Schon im homeriſchen Alter-

1 Buſch, „Türkei“, 133.
2 Die Stadt liegt auf derſelben Stelle, welche Alexander d. Gr. in
Folge eines Traumgeſichtes, am Fuße des Berges Pagos für deren
Wiederaufbau erwählte, nachdem die urſprünglich auf der nordöſtlichen
Seite der Bucht gelegene und der Sage nach von einer Amazone ge-
gründete, durch Alyattes, dem Könige der Lydier, aber zerſtört worden
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[167/0199] Hellespont und Ilion. — Smyrna. ſtandener Fahrt durch dieſen Sund, Hundert und mehr Feuer- ſchlünde aus den verſchiedenen Werken auf ihn herabgeblickt hatten … Es iſt eben die Schwelle, wo ſich nach des Dichters Wort Aſien von Europa riß … Auf unſerem Wege längs des ägäiſchen Geſtades nach Smyrna, der gleich altberühmten Localität, gäbe es wohl manche Station für die in claſſiſchen Erinnerungen ſchwelgende Phan- taſie, aber ſie alle zu befriedigen würde zu weit führen. So blicken wir auch nur von Weitem auf die Waldberge von Lesbos, der Heimat Alcäus’ und der Sappho, Arions und Phanias; auf die großartigen Trümmer von Pergamos mit den Ruinen eines Palaſtes (muthmaßlich aus der Zeit der unabhängigen Attaliden) und den türkiſchen Schmutzhütten inmitten der Marmorpracht 1. Dann öffnet ſich ein weitläufiger Golf, zum Theile von Bergen, anderntheils von Ebenen umzogen, in deſſen Hintergrund Smyrna, die natürliche moderne Hauptſtadt Anatoliens und drittgrößte des türkiſchen Reiches liegt. Unter den levantiniſchen Küſtenſtätten hat Smyrna, einſt die „Perle Joniens“, noch lange nicht die Würdigung gefunden, die das „öſtliche Neapel“ zweifellos verdient. So kennt und liebt man das neue Athen des Namens und der Localität halber, obgleich die neu-helleniſche Capitale mit dem einſtigen attiſchen Emporium nichts zu ſchaffen hat; man bewundert unterwegs die aufklimmenden Häuſer-Terraſſen Syras, wenn der Poſtdampfer einige Stunden im geräumigen Hafenbecken vor Anker liegt; man ſchwärmt vom ſchimmernden Beirut, in deſſen Tropengärten die Schneewipfel des Libanon niederblicken, aber man weiß in der Regel wenig Feſſelndes über Smyrna zu berichten. Und dennoch hat dieſe Stadt ihre landſchaftlichen Reize, die im unge- trübten Vollgenuſſe weſentlich dadurch gehoben werden, daß mit denſelben hiſtoriſche Erinnerungen verwoben ſind, die in die dunkelſte Vorzeit hineinreichen 2. Schon im homeriſchen Alter- 1 Buſch, „Türkei“, 133. 2 Die Stadt liegt auf derſelben Stelle, welche Alexander d. Gr. in Folge eines Traumgeſichtes, am Fuße des Berges Pagos für deren Wiederaufbau erwählte, nachdem die urſprünglich auf der nordöſtlichen Seite der Bucht gelegene und der Sage nach von einer Amazone ge- gründete, durch Alyattes, dem Könige der Lydier, aber zerſtört worden

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/199>, abgerufen am 25.11.2024.