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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Anhang. Anatolische Fragmente.

Indem wir durch die Schlucht des Kara-Su, der bei Bi-
ledschik vorbeiströmt, unsere Route nach Wezierhan fortsetzen,
gelangen wir bald thalabwärts des Sakariah nach Lefkeh und
von dort in die Ebene des einst weitberühmten Nicäa.

Wie nicht bald an einem Orte Kleinasiens manifestirt sich
hier die beispiellos rasch Entartung des osmanischen Volkes.
Unweit der Stelle der einst so glanzreichen Stadt des Antigonus
liegt heute ein elendes Dorf von etlichen Dutzend ineinandergehäuften
Holzhäusern, während das Ruinenfeld mit seinen gewaltigen
Mauern, Thoren und Thürmen etwas abseits situirt ist ...
Isnik ist der türkische Name dieses traurigen Denkmales an
eine große Vergangenheit. Wer zwischen dem Immergrün, den
Platanen und Cypressen des bithynischen Gestadelandes wandelt
und sich beim Anblicke der Trümmer vielleicht in die Zeit der
Kirchenversammlungen versetzt denkt, wo ein Constantin, den
man ungerechterweise den "Großen" nennt, den ersten Impuls
zum christlichen Zelotismus gab, dem werden hier noch ganz
andere Dinge in den Sinn kommen. Nicäa, oder eigentlich
"Isnik", ist keine byzantinische Ruinenstadt allein; im Innern
derselben gewahrt man allenthalben die Fragmente weitläufiger
Bazars und Moscheen, ein Beweis, daß einst auch das osmanische

die Prinzen Mohammed und Bajazid, von welchen der eine von seinem
älteren Bruder (Osman II.), der andere von seinem jüngeren Bruder
Mustafa umgebracht wurde. Auch in der Aja-Sofia wuchern nur düstere
Erinnerungen. Dort haben sich mit der Zeit zum ewigen Schlafe die
erbittertsten Feinde zusammengefunden. Selim II. ruht neben Nur-Banu
der Frau seines Sohnes Murad. Nebenan schlummern siebenzehn
Brüder, die Mahommed III., in der steten Furcht von ihnen verdrängt
und seines Thrones beraubt zu werden, grausam hinwürgen ließ. Nicht
weit von diesem unheimlichen Denkmale morgenländischer Despotenwirthschaf,
liegt das Marmor-Mausoleum Mustafa I. Unter seinem Kuppeldache
ruhen Vater und Sohn, die beide eines gewaltsamen Todes starben. Nicht
weit von der Ruhestätte des unglücklichen Selim III., stoßen wir auf jene
Mahmuds II., der jüngsten von allen. Es ist ganz aus weißem Marmor
und das Innere erhält Licht durch sieben große, mit vergoldeten Gittern
geschlossene Fenster. Das Innere ist -- mit Sophas, Armsesseln, seidenen
Draperien, ja sogar mit Uhren ausgeschmückt, so daß man glaubt, sich in
einem Salon, nicht aber in einer Gruft zu befinden. Auf dem gewaltigen
Sarkophage ruht das mit einer Feder geschmückte Fez des Sultans.
Anhang. Anatoliſche Fragmente.

Indem wir durch die Schlucht des Kara-Su, der bei Bi-
ledſchik vorbeiſtrömt, unſere Route nach Wezierhan fortſetzen,
gelangen wir bald thalabwärts des Sakariah nach Lefkeh und
von dort in die Ebene des einſt weitberühmten Nicäa.

Wie nicht bald an einem Orte Kleinaſiens manifeſtirt ſich
hier die beiſpiellos raſch Entartung des osmaniſchen Volkes.
Unweit der Stelle der einſt ſo glanzreichen Stadt des Antigonus
liegt heute ein elendes Dorf von etlichen Dutzend ineinandergehäuften
Holzhäuſern, während das Ruinenfeld mit ſeinen gewaltigen
Mauern, Thoren und Thürmen etwas abſeits ſituirt iſt …
Isnik iſt der türkiſche Name dieſes traurigen Denkmales an
eine große Vergangenheit. Wer zwiſchen dem Immergrün, den
Platanen und Cypreſſen des bithyniſchen Geſtadelandes wandelt
und ſich beim Anblicke der Trümmer vielleicht in die Zeit der
Kirchenverſammlungen verſetzt denkt, wo ein Conſtantin, den
man ungerechterweiſe den „Großen“ nennt, den erſten Impuls
zum chriſtlichen Zelotismus gab, dem werden hier noch ganz
andere Dinge in den Sinn kommen. Nicäa, oder eigentlich
„Isnik“, iſt keine byzantiniſche Ruinenſtadt allein; im Innern
derſelben gewahrt man allenthalben die Fragmente weitläufiger
Bazars und Moſcheen, ein Beweis, daß einſt auch das osmaniſche

die Prinzen Mohammed und Bajazid, von welchen der eine von ſeinem
älteren Bruder (Osman II.), der andere von ſeinem jüngeren Bruder
Muſtafa umgebracht wurde. Auch in der Aja-Sofia wuchern nur düſtere
Erinnerungen. Dort haben ſich mit der Zeit zum ewigen Schlafe die
erbittertſten Feinde zuſammengefunden. Selim II. ruht neben Nur-Banu
der Frau ſeines Sohnes Murad. Nebenan ſchlummern ſiebenzehn
Brüder, die Mahommed III., in der ſteten Furcht von ihnen verdrängt
und ſeines Thrones beraubt zu werden, grauſam hinwürgen ließ. Nicht
weit von dieſem unheimlichen Denkmale morgenländiſcher Deſpotenwirthſchaf,
liegt das Marmor-Mauſoleum Muſtafa I. Unter ſeinem Kuppeldache
ruhen Vater und Sohn, die beide eines gewaltſamen Todes ſtarben. Nicht
weit von der Ruheſtätte des unglücklichen Selim III., ſtoßen wir auf jene
Mahmuds II., der jüngſten von allen. Es iſt ganz aus weißem Marmor
und das Innere erhält Licht durch ſieben große, mit vergoldeten Gittern
geſchloſſene Fenſter. Das Innere iſt — mit Sophas, Armſeſſeln, ſeidenen
Draperien, ja ſogar mit Uhren ausgeſchmückt, ſo daß man glaubt, ſich in
einem Salon, nicht aber in einer Gruft zu befinden. Auf dem gewaltigen
Sarkophage ruht das mit einer Feder geſchmückte Fez des Sultans.
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[156/0188] Anhang. Anatoliſche Fragmente. Indem wir durch die Schlucht des Kara-Su, der bei Bi- ledſchik vorbeiſtrömt, unſere Route nach Wezierhan fortſetzen, gelangen wir bald thalabwärts des Sakariah nach Lefkeh und von dort in die Ebene des einſt weitberühmten Nicäa. Wie nicht bald an einem Orte Kleinaſiens manifeſtirt ſich hier die beiſpiellos raſch Entartung des osmaniſchen Volkes. Unweit der Stelle der einſt ſo glanzreichen Stadt des Antigonus liegt heute ein elendes Dorf von etlichen Dutzend ineinandergehäuften Holzhäuſern, während das Ruinenfeld mit ſeinen gewaltigen Mauern, Thoren und Thürmen etwas abſeits ſituirt iſt … Isnik iſt der türkiſche Name dieſes traurigen Denkmales an eine große Vergangenheit. Wer zwiſchen dem Immergrün, den Platanen und Cypreſſen des bithyniſchen Geſtadelandes wandelt und ſich beim Anblicke der Trümmer vielleicht in die Zeit der Kirchenverſammlungen verſetzt denkt, wo ein Conſtantin, den man ungerechterweiſe den „Großen“ nennt, den erſten Impuls zum chriſtlichen Zelotismus gab, dem werden hier noch ganz andere Dinge in den Sinn kommen. Nicäa, oder eigentlich „Isnik“, iſt keine byzantiniſche Ruinenſtadt allein; im Innern derſelben gewahrt man allenthalben die Fragmente weitläufiger Bazars und Moſcheen, ein Beweis, daß einſt auch das osmaniſche 2 2 die Prinzen Mohammed und Bajazid, von welchen der eine von ſeinem älteren Bruder (Osman II.), der andere von ſeinem jüngeren Bruder Muſtafa umgebracht wurde. Auch in der Aja-Sofia wuchern nur düſtere Erinnerungen. Dort haben ſich mit der Zeit zum ewigen Schlafe die erbittertſten Feinde zuſammengefunden. Selim II. ruht neben Nur-Banu der Frau ſeines Sohnes Murad. Nebenan ſchlummern ſiebenzehn Brüder, die Mahommed III., in der ſteten Furcht von ihnen verdrängt und ſeines Thrones beraubt zu werden, grauſam hinwürgen ließ. Nicht weit von dieſem unheimlichen Denkmale morgenländiſcher Deſpotenwirthſchaf, liegt das Marmor-Mauſoleum Muſtafa I. Unter ſeinem Kuppeldache ruhen Vater und Sohn, die beide eines gewaltſamen Todes ſtarben. Nicht weit von der Ruheſtätte des unglücklichen Selim III., ſtoßen wir auf jene Mahmuds II., der jüngſten von allen. Es iſt ganz aus weißem Marmor und das Innere erhält Licht durch ſieben große, mit vergoldeten Gittern geſchloſſene Fenſter. Das Innere iſt — mit Sophas, Armſeſſeln, ſeidenen Draperien, ja ſogar mit Uhren ausgeſchmückt, ſo daß man glaubt, ſich in einem Salon, nicht aber in einer Gruft zu befinden. Auf dem gewaltigen Sarkophage ruht das mit einer Feder geſchmückte Fez des Sultans.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/188>, abgerufen am 22.11.2024.