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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Urumijah. -- Armeniens culturhistorische Stellung.
lichen Wirbel. Es war ein Act seltener Kühnheit, einem wilden
Strom-Ungethüme durch eine wiederholte derartige Fahrt seine
Geheimnisse und Schrecken abzulauschen, würdig der Jugend eines
Mannes, dem späterhin die Lorbern höchsten Ruhmes zu Theil
werden sollten.

Auch der Tigris besitzt, und zwar unterhalb der Vereinigung
seiner beiden Quellflüsse ein derartiges Stromdefile. Es ist aber
minder großartig, ohne eigentliche Katarakte und von geringerer
Längenausdehnung. Auch ist es, obgleich Xenophon es auf seinem
Rückzuge nicht zu forciren wagte, von türkischen Expeditions-
colonnen wiederholt zurückgelegt worden. Von diesem Defile
ostwärts gewinnt auch das Taurussystem an Massigkeit, indem
es zwischen dem Van-See und dem rasch südostwärts abfallenden
Tigris weitläufige, wilde Alpenländer breitet, jenes von Hakiari
und Rowandiz. An der türkisch-persischen Grenze tritt diese
orographische Gruppe mit dem Hochlande von Azerbedjan, von
wo aus wir unseren Rundblick auf die armenischen Hochländer
eröffnet hatten, in Verbindung 1.

So hätten wir die geographische Situation in großen Zügen
erschöpft und einen plastischen Ueberblick über jene Ländermasse
gewonnen, dessen historische und culturgeschichtliche Bedeutung
erst recht zum Ausdrucke gelangt, wenn wir sie in ihrem natür-
lichen Zusammenhange mit dem asiatischen Continente, zumal mit
dem iranischen Hochlande, und weiter in ihrer Fortsetzung zur
anatolischen Halbinsel betrachten. Es ist eine, von Geographen
vielfach hervorgehobene Eigenthümlichkeit, daß gewisse Haupt-

1 Urumijah, mit seinem großen Salzsee, liegt der Grenze zunächst.
Die Stadt ist einer der Hauptsitze der nestorianischen Christen, doch haben
verschiedene Missionsanstalten mit der Zeit erhebliche Fortschritte in ihrem
vermeintlichen Bekehrerwerke gemacht. Am meisten geeignet zu diesem
Berufe sollen die amerikanischen Missionäre sein; sie sind in der Regel
nicht nur kenntnißreich, sondern besitzen auch eine auffallend gesunde Leibes-
constitution, zwei durchaus nothwendige Eigenschaften, um unter Asiaten
zu leben. Einen Hauptvortheil haben sie dadurch voraus, daß sie bei der
Bekehrung nicht gleich mit der Bibel und mit den Glaubenssätzen beginnen,
sondern den Leuten, die an ihrem Unterrichte theilnehmen, erst soviel
Bildung und Kenntnisse beizubringen juchen, daß sie im Stande sind, die
christliche Religion ihrem ganzen Wesen nach zu erfassen. (Wilbraham,
bei Koch, "Kaukas. Länd.", 185.)
Schweiger-Lerchenfeld, Freih. von, Armenien. 9

Urumijah. — Armeniens culturhiſtoriſche Stellung.
lichen Wirbel. Es war ein Act ſeltener Kühnheit, einem wilden
Strom-Ungethüme durch eine wiederholte derartige Fahrt ſeine
Geheimniſſe und Schrecken abzulauſchen, würdig der Jugend eines
Mannes, dem ſpäterhin die Lorbern höchſten Ruhmes zu Theil
werden ſollten.

Auch der Tigris beſitzt, und zwar unterhalb der Vereinigung
ſeiner beiden Quellflüſſe ein derartiges Stromdefilé. Es iſt aber
minder großartig, ohne eigentliche Katarakte und von geringerer
Längenausdehnung. Auch iſt es, obgleich Xenophon es auf ſeinem
Rückzuge nicht zu forciren wagte, von türkiſchen Expeditions-
colonnen wiederholt zurückgelegt worden. Von dieſem Defilé
oſtwärts gewinnt auch das Taurusſyſtem an Maſſigkeit, indem
es zwiſchen dem Van-See und dem raſch ſüdoſtwärts abfallenden
Tigris weitläufige, wilde Alpenländer breitet, jenes von Hakiari
und Rowandiz. An der türkiſch-perſiſchen Grenze tritt dieſe
orographiſche Gruppe mit dem Hochlande von Azerbedjan, von
wo aus wir unſeren Rundblick auf die armeniſchen Hochländer
eröffnet hatten, in Verbindung 1.

So hätten wir die geographiſche Situation in großen Zügen
erſchöpft und einen plaſtiſchen Ueberblick über jene Ländermaſſe
gewonnen, deſſen hiſtoriſche und culturgeſchichtliche Bedeutung
erſt recht zum Ausdrucke gelangt, wenn wir ſie in ihrem natür-
lichen Zuſammenhange mit dem aſiatiſchen Continente, zumal mit
dem iraniſchen Hochlande, und weiter in ihrer Fortſetzung zur
anatoliſchen Halbinſel betrachten. Es iſt eine, von Geographen
vielfach hervorgehobene Eigenthümlichkeit, daß gewiſſe Haupt-

1 Urumijah, mit ſeinem großen Salzſee, liegt der Grenze zunächſt.
Die Stadt iſt einer der Hauptſitze der neſtorianiſchen Chriſten, doch haben
verſchiedene Miſſionsanſtalten mit der Zeit erhebliche Fortſchritte in ihrem
vermeintlichen Bekehrerwerke gemacht. Am meiſten geeignet zu dieſem
Berufe ſollen die amerikaniſchen Miſſionäre ſein; ſie ſind in der Regel
nicht nur kenntnißreich, ſondern beſitzen auch eine auffallend geſunde Leibes-
conſtitution, zwei durchaus nothwendige Eigenſchaften, um unter Aſiaten
zu leben. Einen Hauptvortheil haben ſie dadurch voraus, daß ſie bei der
Bekehrung nicht gleich mit der Bibel und mit den Glaubensſätzen beginnen,
ſondern den Leuten, die an ihrem Unterrichte theilnehmen, erſt ſoviel
Bildung und Kenntniſſe beizubringen juchen, daß ſie im Stande ſind, die
chriſtliche Religion ihrem ganzen Weſen nach zu erfaſſen. (Wilbraham,
bei Koch, „Kaukaſ. Länd.“, 185.)
Schweiger-Lerchenfeld, Freih. von, Armenien. 9
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[129/0161] Urumijah. — Armeniens culturhiſtoriſche Stellung. lichen Wirbel. Es war ein Act ſeltener Kühnheit, einem wilden Strom-Ungethüme durch eine wiederholte derartige Fahrt ſeine Geheimniſſe und Schrecken abzulauſchen, würdig der Jugend eines Mannes, dem ſpäterhin die Lorbern höchſten Ruhmes zu Theil werden ſollten. Auch der Tigris beſitzt, und zwar unterhalb der Vereinigung ſeiner beiden Quellflüſſe ein derartiges Stromdefilé. Es iſt aber minder großartig, ohne eigentliche Katarakte und von geringerer Längenausdehnung. Auch iſt es, obgleich Xenophon es auf ſeinem Rückzuge nicht zu forciren wagte, von türkiſchen Expeditions- colonnen wiederholt zurückgelegt worden. Von dieſem Defilé oſtwärts gewinnt auch das Taurusſyſtem an Maſſigkeit, indem es zwiſchen dem Van-See und dem raſch ſüdoſtwärts abfallenden Tigris weitläufige, wilde Alpenländer breitet, jenes von Hakiari und Rowandiz. An der türkiſch-perſiſchen Grenze tritt dieſe orographiſche Gruppe mit dem Hochlande von Azerbedjan, von wo aus wir unſeren Rundblick auf die armeniſchen Hochländer eröffnet hatten, in Verbindung 1. So hätten wir die geographiſche Situation in großen Zügen erſchöpft und einen plaſtiſchen Ueberblick über jene Ländermaſſe gewonnen, deſſen hiſtoriſche und culturgeſchichtliche Bedeutung erſt recht zum Ausdrucke gelangt, wenn wir ſie in ihrem natür- lichen Zuſammenhange mit dem aſiatiſchen Continente, zumal mit dem iraniſchen Hochlande, und weiter in ihrer Fortſetzung zur anatoliſchen Halbinſel betrachten. Es iſt eine, von Geographen vielfach hervorgehobene Eigenthümlichkeit, daß gewiſſe Haupt- 1 Urumijah, mit ſeinem großen Salzſee, liegt der Grenze zunächſt. Die Stadt iſt einer der Hauptſitze der neſtorianiſchen Chriſten, doch haben verſchiedene Miſſionsanſtalten mit der Zeit erhebliche Fortſchritte in ihrem vermeintlichen Bekehrerwerke gemacht. Am meiſten geeignet zu dieſem Berufe ſollen die amerikaniſchen Miſſionäre ſein; ſie ſind in der Regel nicht nur kenntnißreich, ſondern beſitzen auch eine auffallend geſunde Leibes- conſtitution, zwei durchaus nothwendige Eigenſchaften, um unter Aſiaten zu leben. Einen Hauptvortheil haben ſie dadurch voraus, daß ſie bei der Bekehrung nicht gleich mit der Bibel und mit den Glaubensſätzen beginnen, ſondern den Leuten, die an ihrem Unterrichte theilnehmen, erſt ſoviel Bildung und Kenntniſſe beizubringen juchen, daß ſie im Stande ſind, die chriſtliche Religion ihrem ganzen Weſen nach zu erfaſſen. (Wilbraham, bei Koch, „Kaukaſ. Länd.“, 185.) Schweiger-Lerchenfeld, Freih. von, Armenien. 9

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/161>, abgerufen am 22.11.2024.