Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Ueberblick auf Gesammt-Armenien. Bezug auf die Niveau-Verhältnisse eines von allem Baumwuchseentblößten Landes, noch auf Grund pflanzengeographischer Mo- mente mit der eigentlichen Fixirung des fraglichen Begriffswortes fertig werden. Daß die Steppe, ja selbst die Wüste, nur ein ökonomischer und kein geographischer Begriff sei, mußte sich gar bald aus verschiedenen experimentellen Thatsachen herausstellen, wie es ja auch erwiesen ist, daß die öden Steppenstrecken des heutigen Mesopotamien doch erst eine Errungenschaft der letzten Jahrhunderte seien, indem wilde Verwahrlosung dort überhand nahm, wo vorher unter dem Einflusse des belebenden feuchten Elementes die üppigsten Culturoasen bestanden hatten 1. Auch ist mit der Steppe sowenig, wie mit der Wüste, ein plattes Stück Land gemeint, in welchem es keinerlei Niveau-Unterschiede gibt. Im Wesentlichen sind die Steppen des Tieflandes wohl mehr oder weniger eben, häufig aber breitet sich die schwarzerdige Steppen- decke mit ihrer ganz eigenthümlichen organischen Welt über weite, undulirte Strecken, wobei freilich jene eigenthümliche, scheinbar unbegrenzte Scenerie verloren geht, -- jene der unendlichen Ein- förmigkeit, voll ergreifender poetischer Effecte 2. Die armenischen Steppen haben zudem eine sehr bedeutende Elevation, und so wird es häufig schwer, die Grenze zu bestimmen, wo die eigent- liche Grassteppe aufhört und die Alpentrift beginnt. Die bedeu- tendsten jener Gattung sind die ausgedehnten Grasplateaux zu 1 Wenn im ninivitischen Frühling die Jagdhunde in die Wildniß rennen, kommen sie vom Blumenstaub gelb gefärbt zurück. (Layard, "Niniveh and its Rem., I, 78".) Da die Canäle aber aufgehört haben ihren Dienst zu thun, wird im Sommer eine brennende Wüste daraus und statt der Millionen, die einst hier lebten, trifft man hin und wieder ein Dorf mit einigen hundert diebischen Arabern, Türken und Kurden. (Bei Braun, "Gemälde etc.", 187.) 2 Am originellsten und großartigsten im Herbste, wenn, vom Sturme
gepeitscht, die spirigen abgebrochenen Pflanzenleichen dahinjagen. Dann rollen sie sich zu mächtigen Kugelformen zusammen, hüpfen und springen in kurzen und großen Absätzen über die schwarze Erde, welche durch die Sonnenhitze in unzählige Risse barst. Es ist ein wahrer Hexentanz. Nicht im unheimlichen Dunkel der Waldeinsamkeit, am Unkenteiche, nicht im Felsenreiche des Brockens spielt das großartige Naturballet. Das ist Alles viel zu eng. Die unendliche Steppe lieh den Boden und der uner- meßliche Himmel wurde zur beweglichen Coulisse. (Radde, a. a. O., 29,) Ueberblick auf Geſammt-Armenien. Bezug auf die Niveau-Verhältniſſe eines von allem Baumwuchſeentblößten Landes, noch auf Grund pflanzengeographiſcher Mo- mente mit der eigentlichen Fixirung des fraglichen Begriffswortes fertig werden. Daß die Steppe, ja ſelbſt die Wüſte, nur ein ökonomiſcher und kein geographiſcher Begriff ſei, mußte ſich gar bald aus verſchiedenen experimentellen Thatſachen herausſtellen, wie es ja auch erwieſen iſt, daß die öden Steppenſtrecken des heutigen Meſopotamien doch erſt eine Errungenſchaft der letzten Jahrhunderte ſeien, indem wilde Verwahrloſung dort überhand nahm, wo vorher unter dem Einfluſſe des belebenden feuchten Elementes die üppigſten Culturoaſen beſtanden hatten 1. Auch iſt mit der Steppe ſowenig, wie mit der Wüſte, ein plattes Stück Land gemeint, in welchem es keinerlei Niveau-Unterſchiede gibt. Im Weſentlichen ſind die Steppen des Tieflandes wohl mehr oder weniger eben, häufig aber breitet ſich die ſchwarzerdige Steppen- decke mit ihrer ganz eigenthümlichen organiſchen Welt über weite, undulirte Strecken, wobei freilich jene eigenthümliche, ſcheinbar unbegrenzte Scenerie verloren geht, — jene der unendlichen Ein- förmigkeit, voll ergreifender poetiſcher Effecte 2. Die armeniſchen Steppen haben zudem eine ſehr bedeutende Elevation, und ſo wird es häufig ſchwer, die Grenze zu beſtimmen, wo die eigent- liche Grasſteppe aufhört und die Alpentrift beginnt. Die bedeu- tendſten jener Gattung ſind die ausgedehnten Grasplateaux zu 1 Wenn im ninivitiſchen Frühling die Jagdhunde in die Wildniß rennen, kommen ſie vom Blumenſtaub gelb gefärbt zurück. (Layard, „Niniveh and its Rem., I, 78“.) Da die Canäle aber aufgehört haben ihren Dienſt zu thun, wird im Sommer eine brennende Wüſte daraus und ſtatt der Millionen, die einſt hier lebten, trifft man hin und wieder ein Dorf mit einigen hundert diebiſchen Arabern, Türken und Kurden. (Bei Braun, „Gemälde ꝛc.“, 187.) 2 Am originellſten und großartigſten im Herbſte, wenn, vom Sturme
gepeitſcht, die ſpirigen abgebrochenen Pflanzenleichen dahinjagen. Dann rollen ſie ſich zu mächtigen Kugelformen zuſammen, hüpfen und ſpringen in kurzen und großen Abſätzen über die ſchwarze Erde, welche durch die Sonnenhitze in unzählige Riſſe barſt. Es iſt ein wahrer Hexentanz. Nicht im unheimlichen Dunkel der Waldeinſamkeit, am Unkenteiche, nicht im Felſenreiche des Brockens ſpielt das großartige Naturballet. Das iſt Alles viel zu eng. Die unendliche Steppe lieh den Boden und der uner- meßliche Himmel wurde zur beweglichen Couliſſe. (Radde, a. a. O., 29,) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0156" n="124"/><fw place="top" type="header">Ueberblick auf Geſammt-Armenien.</fw><lb/> Bezug auf die Niveau-Verhältniſſe eines von allem Baumwuchſe<lb/> entblößten Landes, noch auf Grund pflanzengeographiſcher Mo-<lb/> mente mit der eigentlichen Fixirung des fraglichen Begriffswortes<lb/> fertig werden. Daß die Steppe, ja ſelbſt die Wüſte, nur ein<lb/> ökonomiſcher und kein geographiſcher Begriff ſei, mußte ſich gar<lb/> bald aus verſchiedenen experimentellen Thatſachen herausſtellen,<lb/> wie es ja auch erwieſen iſt, daß die öden Steppenſtrecken des<lb/> heutigen Meſopotamien doch erſt eine Errungenſchaft der letzten<lb/> Jahrhunderte ſeien, indem wilde Verwahrloſung dort überhand<lb/> nahm, wo vorher unter dem Einfluſſe des belebenden feuchten<lb/> Elementes die üppigſten Culturoaſen beſtanden hatten <note place="foot" n="1">Wenn im ninivitiſchen Frühling die Jagdhunde in die Wildniß<lb/> rennen, kommen ſie vom Blumenſtaub gelb gefärbt zurück. (Layard,<lb/><hi rendition="#aq">„Niniveh and its Rem., I, 78“.</hi>) Da die Canäle aber aufgehört haben<lb/> ihren Dienſt zu thun, wird im Sommer eine brennende Wüſte daraus<lb/> und ſtatt der Millionen, die einſt hier lebten, trifft man hin und wieder<lb/> ein Dorf mit einigen hundert diebiſchen Arabern, Türken und Kurden.<lb/> (Bei Braun, „Gemälde ꝛc.“, 187.)</note>. Auch iſt<lb/> mit der Steppe ſowenig, wie mit der Wüſte, ein plattes Stück<lb/> Land gemeint, in welchem es keinerlei Niveau-Unterſchiede gibt.<lb/> Im Weſentlichen ſind die Steppen des Tieflandes wohl mehr oder<lb/> weniger eben, häufig aber breitet ſich die ſchwarzerdige Steppen-<lb/> decke mit ihrer ganz eigenthümlichen organiſchen Welt über weite,<lb/> undulirte Strecken, wobei freilich jene eigenthümliche, ſcheinbar<lb/> unbegrenzte Scenerie verloren geht, — jene der unendlichen Ein-<lb/> förmigkeit, voll ergreifender poetiſcher Effecte <note place="foot" n="2">Am originellſten und großartigſten im Herbſte, wenn, vom Sturme<lb/> gepeitſcht, die ſpirigen abgebrochenen Pflanzenleichen dahinjagen. Dann<lb/> rollen ſie ſich zu mächtigen Kugelformen zuſammen, hüpfen und ſpringen<lb/> in kurzen und großen Abſätzen über die ſchwarze Erde, welche durch die<lb/> Sonnenhitze in unzählige Riſſe barſt. Es iſt ein wahrer Hexentanz.<lb/> Nicht im unheimlichen Dunkel der Waldeinſamkeit, am Unkenteiche, nicht<lb/> im Felſenreiche des Brockens ſpielt das großartige Naturballet. Das iſt<lb/> Alles viel zu eng. Die unendliche Steppe lieh den Boden und der uner-<lb/> meßliche Himmel wurde zur beweglichen Couliſſe. (Radde, a. a. O., 29,)</note>. Die armeniſchen<lb/> Steppen haben zudem eine ſehr bedeutende Elevation, und ſo<lb/> wird es häufig ſchwer, die Grenze zu beſtimmen, wo die eigent-<lb/> liche Grasſteppe aufhört und die Alpentrift beginnt. Die bedeu-<lb/> tendſten jener Gattung ſind die ausgedehnten Grasplateaux zu<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [124/0156]
Ueberblick auf Geſammt-Armenien.
Bezug auf die Niveau-Verhältniſſe eines von allem Baumwuchſe
entblößten Landes, noch auf Grund pflanzengeographiſcher Mo-
mente mit der eigentlichen Fixirung des fraglichen Begriffswortes
fertig werden. Daß die Steppe, ja ſelbſt die Wüſte, nur ein
ökonomiſcher und kein geographiſcher Begriff ſei, mußte ſich gar
bald aus verſchiedenen experimentellen Thatſachen herausſtellen,
wie es ja auch erwieſen iſt, daß die öden Steppenſtrecken des
heutigen Meſopotamien doch erſt eine Errungenſchaft der letzten
Jahrhunderte ſeien, indem wilde Verwahrloſung dort überhand
nahm, wo vorher unter dem Einfluſſe des belebenden feuchten
Elementes die üppigſten Culturoaſen beſtanden hatten 1. Auch iſt
mit der Steppe ſowenig, wie mit der Wüſte, ein plattes Stück
Land gemeint, in welchem es keinerlei Niveau-Unterſchiede gibt.
Im Weſentlichen ſind die Steppen des Tieflandes wohl mehr oder
weniger eben, häufig aber breitet ſich die ſchwarzerdige Steppen-
decke mit ihrer ganz eigenthümlichen organiſchen Welt über weite,
undulirte Strecken, wobei freilich jene eigenthümliche, ſcheinbar
unbegrenzte Scenerie verloren geht, — jene der unendlichen Ein-
förmigkeit, voll ergreifender poetiſcher Effecte 2. Die armeniſchen
Steppen haben zudem eine ſehr bedeutende Elevation, und ſo
wird es häufig ſchwer, die Grenze zu beſtimmen, wo die eigent-
liche Grasſteppe aufhört und die Alpentrift beginnt. Die bedeu-
tendſten jener Gattung ſind die ausgedehnten Grasplateaux zu
1 Wenn im ninivitiſchen Frühling die Jagdhunde in die Wildniß
rennen, kommen ſie vom Blumenſtaub gelb gefärbt zurück. (Layard,
„Niniveh and its Rem., I, 78“.) Da die Canäle aber aufgehört haben
ihren Dienſt zu thun, wird im Sommer eine brennende Wüſte daraus
und ſtatt der Millionen, die einſt hier lebten, trifft man hin und wieder
ein Dorf mit einigen hundert diebiſchen Arabern, Türken und Kurden.
(Bei Braun, „Gemälde ꝛc.“, 187.)
2 Am originellſten und großartigſten im Herbſte, wenn, vom Sturme
gepeitſcht, die ſpirigen abgebrochenen Pflanzenleichen dahinjagen. Dann
rollen ſie ſich zu mächtigen Kugelformen zuſammen, hüpfen und ſpringen
in kurzen und großen Abſätzen über die ſchwarze Erde, welche durch die
Sonnenhitze in unzählige Riſſe barſt. Es iſt ein wahrer Hexentanz.
Nicht im unheimlichen Dunkel der Waldeinſamkeit, am Unkenteiche, nicht
im Felſenreiche des Brockens ſpielt das großartige Naturballet. Das iſt
Alles viel zu eng. Die unendliche Steppe lieh den Boden und der uner-
meßliche Himmel wurde zur beweglichen Couliſſe. (Radde, a. a. O., 29,)
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