Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Van und die Kurden. wohl die Nothwendigkeit einer Uebersicht von dem Kurdenvolke,dessen Schicksale allenthalben mit jenen der Armenier im Laufe der Jahrhunderte verflochten waren. Die Ethnologie nennt die Kurden ein autochthones Volk des Zagros-Systemes, also jener unwirthlichen, großartigen Gebirgs-Territorien zwischen dem west- lichen Eufrat und dem iranischen Hochlande, die sie heute noch innehaben. Ob jene wilden, unbezwingbaren Bergvölker, mit denen bereits die ersten assyrischen Dynastien vollauf zu thun hatten, Kurden gewesen sind, oder nur deren Vorläufer, muß so lange eine offene Frage bleiben, bis eine andere Quelle, als die des Herodot ausfindig gemacht wird, der allerdings für die erstere Nachricht einzutreten sich geneigt zeigt. Es dürfte indeß für unseren Zweck genügen, die Kurdengeschichte von jenem Zeit- punkte ab näher zu betrachten, wo sie in die ersten Beziehungen zu den türkischen Völkern trat ... Um das Jahr 1000 er- stürmte der Kurdenfürst Merwan die finstere Basaltstadt Djar- bekr am oberen Tigris, die bis dahin arabisches Besitzthum ge- wesen 1. Es war zu einer Zeit, in welcher das Chalifat bereits arg an innerer Zerrüttung litt und die an dessen Peripherie ge- legenen Provinzen sich mälig vom Stammlande abzubröckeln begannen. Merwan war der Begründer einer ihrerzeit berühm- ten Kurdendynastie, der Merwaniden, die hundert Jahre lang in den Hochlandschaften des Eufrat und Tigris herrschte und mit ihren Schaaren weit und breit Schrecken verbreitete. Aber das angestammte Gebrechen des gesammten Kurdenvolkes, seine Zersplitterung in zahlreiche Winkeldespotien und seine unglückliche, arge Uneinigkeit, ward bereits damals, in der Zeit des Glanzes, dem Bergvolke zum Verderben, und so konnte es den damals noch sehr kriegerischen Turkmenen Vorder-Asiens unter Ortok nicht schwer fallen, sich der Kurden-Metropole Diarbekr zu be- mächtigen 2. Der Verlust dieser Stadt allein genügte, um das gesammte damalige Kurdenthum unrettbar zu discreditiren. Um das altersgraue Kara-Amid -- wie die Türken heute noch Diar- wie in den Facaden der Königsgräber, das Symbol der höchsten Gott- heit. Das Ganze mag wohl das großartigste historische Denkmal der Welt sein. (J. Braun, "Historische Landschaften", 269.) 1 Hammer-Purgstall, "Geschichte d. osm. Reiches", II, 439. 2 Deguignes, "Geschichte der Humen etc.", bei Ritter, XI, 35.
Van und die Kurden. wohl die Nothwendigkeit einer Ueberſicht von dem Kurdenvolke,deſſen Schickſale allenthalben mit jenen der Armenier im Laufe der Jahrhunderte verflochten waren. Die Ethnologie nennt die Kurden ein autochthones Volk des Zagros-Syſtemes, alſo jener unwirthlichen, großartigen Gebirgs-Territorien zwiſchen dem weſt- lichen Eufrat und dem iraniſchen Hochlande, die ſie heute noch innehaben. Ob jene wilden, unbezwingbaren Bergvölker, mit denen bereits die erſten aſſyriſchen Dynaſtien vollauf zu thun hatten, Kurden geweſen ſind, oder nur deren Vorläufer, muß ſo lange eine offene Frage bleiben, bis eine andere Quelle, als die des Herodot ausfindig gemacht wird, der allerdings für die erſtere Nachricht einzutreten ſich geneigt zeigt. Es dürfte indeß für unſeren Zweck genügen, die Kurdengeſchichte von jenem Zeit- punkte ab näher zu betrachten, wo ſie in die erſten Beziehungen zu den türkiſchen Völkern trat … Um das Jahr 1000 er- ſtürmte der Kurdenfürſt Merwan die finſtere Baſaltſtadt Djar- bekr am oberen Tigris, die bis dahin arabiſches Beſitzthum ge- weſen 1. Es war zu einer Zeit, in welcher das Chalifat bereits arg an innerer Zerrüttung litt und die an deſſen Peripherie ge- legenen Provinzen ſich mälig vom Stammlande abzubröckeln begannen. Merwan war der Begründer einer ihrerzeit berühm- ten Kurdendynaſtie, der Merwaniden, die hundert Jahre lang in den Hochlandſchaften des Eufrat und Tigris herrſchte und mit ihren Schaaren weit und breit Schrecken verbreitete. Aber das angeſtammte Gebrechen des geſammten Kurdenvolkes, ſeine Zerſplitterung in zahlreiche Winkeldespotien und ſeine unglückliche, arge Uneinigkeit, ward bereits damals, in der Zeit des Glanzes, dem Bergvolke zum Verderben, und ſo konnte es den damals noch ſehr kriegeriſchen Turkmenen Vorder-Aſiens unter Ortok nicht ſchwer fallen, ſich der Kurden-Metropole Diarbekr zu be- mächtigen 2. Der Verluſt dieſer Stadt allein genügte, um das geſammte damalige Kurdenthum unrettbar zu discreditiren. Um das altersgraue Kara-Amid — wie die Türken heute noch Diar- wie in den Façaden der Königsgräber, das Symbol der höchſten Gott- heit. Das Ganze mag wohl das großartigſte hiſtoriſche Denkmal der Welt ſein. (J. Braun, „Hiſtoriſche Landſchaften“, 269.) 1 Hammer-Purgſtall, „Geſchichte d. osm. Reiches“, II, 439. 2 Deguignes, „Geſchichte der Humen ꝛc.“, bei Ritter, XI, 35.
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der Jahrhunderte verflochten waren. Die Ethnologie nennt die
Kurden ein autochthones Volk des Zagros-Syſtemes, alſo jener
unwirthlichen, großartigen Gebirgs-Territorien zwiſchen dem weſt-
lichen Eufrat und dem iraniſchen Hochlande, die ſie heute noch
innehaben. Ob jene wilden, unbezwingbaren Bergvölker, mit
denen bereits die erſten aſſyriſchen Dynaſtien vollauf zu thun
hatten, Kurden geweſen ſind, oder nur deren Vorläufer, muß ſo
lange eine offene Frage bleiben, bis eine andere Quelle, als die
des Herodot ausfindig gemacht wird, der allerdings für die
erſtere Nachricht einzutreten ſich geneigt zeigt. Es dürfte indeß
für unſeren Zweck genügen, die Kurdengeſchichte von jenem Zeit-
punkte ab näher zu betrachten, wo ſie in die erſten Beziehungen
zu den türkiſchen Völkern trat … Um das Jahr 1000 er-
ſtürmte der Kurdenfürſt Merwan die finſtere Baſaltſtadt Djar-
bekr am oberen Tigris, die bis dahin arabiſches Beſitzthum ge-
weſen 1. Es war zu einer Zeit, in welcher das Chalifat bereits
arg an innerer Zerrüttung litt und die an deſſen Peripherie ge-
legenen Provinzen ſich mälig vom Stammlande abzubröckeln
begannen. Merwan war der Begründer einer ihrerzeit berühm-
ten Kurdendynaſtie, der Merwaniden, die hundert Jahre lang
in den Hochlandſchaften des Eufrat und Tigris herrſchte und
mit ihren Schaaren weit und breit Schrecken verbreitete. Aber
das angeſtammte Gebrechen des geſammten Kurdenvolkes, ſeine
Zerſplitterung in zahlreiche Winkeldespotien und ſeine unglückliche,
arge Uneinigkeit, ward bereits damals, in der Zeit des Glanzes,
dem Bergvolke zum Verderben, und ſo konnte es den damals
noch ſehr kriegeriſchen Turkmenen Vorder-Aſiens unter Ortok
nicht ſchwer fallen, ſich der Kurden-Metropole Diarbekr zu be-
mächtigen 2. Der Verluſt dieſer Stadt allein genügte, um das
geſammte damalige Kurdenthum unrettbar zu discreditiren. Um
das altersgraue Kara-Amid — wie die Türken heute noch Diar-
2
1 Hammer-Purgſtall, „Geſchichte d. osm. Reiches“, II, 439.
2 Deguignes, „Geſchichte der Humen ꝛc.“, bei Ritter, XI, 35.
2 wie in den Façaden der Königsgräber, das Symbol der höchſten Gott-
heit. Das Ganze mag wohl das großartigſte hiſtoriſche Denkmal der
Welt ſein. (J. Braun, „Hiſtoriſche Landſchaften“, 269.)
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