vermögen. So elend winkelig und im hohen Grade unwohnlich die Niederlassung selbst ist, so anmuthig nimmt sich die unmittel- bare Umgebung derselben aus.
Van liegt mitten im Gartengrün und so präsentirt es sich auch jenem Reisenden, der von Westen -- also dem gewöhnlichen Reisewege der Europäer -- längs des See-Ufers der Stadt sich nähert. Jede ordentliche Haushaltung ist im Besitze eines Hauses in der Stadt und eines Landhauses mit den entsprechenden Gärten im Weichbilde derselben. Diesen unbefestigten Theil ihres Wohnsitzes nennen sie "Baglar", d. i.: die Gärten und unterscheiden ihn scharf von der eigentlichen Stadt, "Van Schehri". In diese Gärten ziehen alle Einwohner zur Sommerszeit, alle Hauptwege darin sind mit schmucken Häusern besetzt, aber auch jedes derar- tige Tusculum von hohen Lehmmauern umzogen, so daß man in der Nähe nur diese, aus der Ferne, sobald man in der Ebene verbleibt, nur die Baumkronen, namentlich schöne und zahlreiche Silberpappeln gewahrt. Im Ganzen zieht sich diese grüne Insel bis zum Seegestade, an dem, Kähne ausgenommen, von Reisenden aus den verschiedenen Decennien auch nicht ein Schiff, dem man sich zu einer längeren Fahrt anvertrauen könnte, angetroffen wurde. Der See, der einen bedeutenden Salzgehalt hat, ist tief- blau, an den Rändern, namentlich im Norden und Westen, durch Abspiegelung gewaltiger Schneehäupter etwas nüancirter in der Grundfarbe, sonst aber ziemlich reizlos, da er keine eigentlichen Uferortschaften besitzt 1. Im Süden des Van-Beckens liegen die früheren Schlupfwinkel des einst weit berühmten Kurdenfürsten Mahmud Khan. Wir haben gelegentlich unserer Beschreibung von Bajazid des Winkeldespoten Belul-Kurd gedacht 2. Sein Rivale jenseits des Ala-Gebirges war nun dieser Mahmud Khan. Wie kein Zweiter in diesen verrufenen Gauen hat er dazu bei- getragen, Wohlstand, Sitte und Ordnung zu untergraben und die spärliche Cultur auf Jahrzehnte hinaus zu ersticken. Im Laufe seiner Herrschaft hatte er bei hundert, meist armenische Ortschaften unter seine Botmäßigkeit gebracht, und seine ange- maßten Souveränitätsrechte auszunützen gewußt, wie kaum der
1 Vgl. J. Brant, Notes of a journey etc. . ., 397.
2 Siehe oben, S. 5.
Van und die Kurden.
vermögen. So elend winkelig und im hohen Grade unwohnlich die Niederlaſſung ſelbſt iſt, ſo anmuthig nimmt ſich die unmittel- bare Umgebung derſelben aus.
Van liegt mitten im Gartengrün und ſo präſentirt es ſich auch jenem Reiſenden, der von Weſten — alſo dem gewöhnlichen Reiſewege der Europäer — längs des See-Ufers der Stadt ſich nähert. Jede ordentliche Haushaltung iſt im Beſitze eines Hauſes in der Stadt und eines Landhauſes mit den entſprechenden Gärten im Weichbilde derſelben. Dieſen unbefeſtigten Theil ihres Wohnſitzes nennen ſie „Baglar“, d. i.: die Gärten und unterſcheiden ihn ſcharf von der eigentlichen Stadt, „Van Schehri“. In dieſe Gärten ziehen alle Einwohner zur Sommerszeit, alle Hauptwege darin ſind mit ſchmucken Häuſern beſetzt, aber auch jedes derar- tige Tusculum von hohen Lehmmauern umzogen, ſo daß man in der Nähe nur dieſe, aus der Ferne, ſobald man in der Ebene verbleibt, nur die Baumkronen, namentlich ſchöne und zahlreiche Silberpappeln gewahrt. Im Ganzen zieht ſich dieſe grüne Inſel bis zum Seegeſtade, an dem, Kähne ausgenommen, von Reiſenden aus den verſchiedenen Decennien auch nicht ein Schiff, dem man ſich zu einer längeren Fahrt anvertrauen könnte, angetroffen wurde. Der See, der einen bedeutenden Salzgehalt hat, iſt tief- blau, an den Rändern, namentlich im Norden und Weſten, durch Abſpiegelung gewaltiger Schneehäupter etwas nüancirter in der Grundfarbe, ſonſt aber ziemlich reizlos, da er keine eigentlichen Uferortſchaften beſitzt 1. Im Süden des Van-Beckens liegen die früheren Schlupfwinkel des einſt weit berühmten Kurdenfürſten Mahmud Khan. Wir haben gelegentlich unſerer Beſchreibung von Bajazid des Winkeldespoten Belul-Kurd gedacht 2. Sein Rivale jenſeits des Ala-Gebirges war nun dieſer Mahmud Khan. Wie kein Zweiter in dieſen verrufenen Gauen hat er dazu bei- getragen, Wohlſtand, Sitte und Ordnung zu untergraben und die ſpärliche Cultur auf Jahrzehnte hinaus zu erſticken. Im Laufe ſeiner Herrſchaft hatte er bei hundert, meiſt armeniſche Ortſchaften unter ſeine Botmäßigkeit gebracht, und ſeine ange- maßten Souveränitätsrechte auszunützen gewußt, wie kaum der
1 Vgl. J. Brant, Notes of a journey etc. . ., 397.
2 Siehe oben, S. 5.
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Van und die Kurden.
vermögen. So elend winkelig und im hohen Grade unwohnlich
die Niederlaſſung ſelbſt iſt, ſo anmuthig nimmt ſich die unmittel-
bare Umgebung derſelben aus.
Van liegt mitten im Gartengrün und ſo präſentirt es ſich
auch jenem Reiſenden, der von Weſten — alſo dem gewöhnlichen
Reiſewege der Europäer — längs des See-Ufers der Stadt ſich
nähert. Jede ordentliche Haushaltung iſt im Beſitze eines Hauſes
in der Stadt und eines Landhauſes mit den entſprechenden
Gärten im Weichbilde derſelben. Dieſen unbefeſtigten Theil ihres
Wohnſitzes nennen ſie „Baglar“, d. i.: die Gärten und unterſcheiden
ihn ſcharf von der eigentlichen Stadt, „Van Schehri“. In dieſe
Gärten ziehen alle Einwohner zur Sommerszeit, alle Hauptwege
darin ſind mit ſchmucken Häuſern beſetzt, aber auch jedes derar-
tige Tusculum von hohen Lehmmauern umzogen, ſo daß man
in der Nähe nur dieſe, aus der Ferne, ſobald man in der Ebene
verbleibt, nur die Baumkronen, namentlich ſchöne und zahlreiche
Silberpappeln gewahrt. Im Ganzen zieht ſich dieſe grüne Inſel
bis zum Seegeſtade, an dem, Kähne ausgenommen, von Reiſenden
aus den verſchiedenen Decennien auch nicht ein Schiff, dem man
ſich zu einer längeren Fahrt anvertrauen könnte, angetroffen
wurde. Der See, der einen bedeutenden Salzgehalt hat, iſt tief-
blau, an den Rändern, namentlich im Norden und Weſten, durch
Abſpiegelung gewaltiger Schneehäupter etwas nüancirter in der
Grundfarbe, ſonſt aber ziemlich reizlos, da er keine eigentlichen
Uferortſchaften beſitzt 1. Im Süden des Van-Beckens liegen die
früheren Schlupfwinkel des einſt weit berühmten Kurdenfürſten
Mahmud Khan. Wir haben gelegentlich unſerer Beſchreibung
von Bajazid des Winkeldespoten Belul-Kurd gedacht 2. Sein
Rivale jenſeits des Ala-Gebirges war nun dieſer Mahmud Khan.
Wie kein Zweiter in dieſen verrufenen Gauen hat er dazu bei-
getragen, Wohlſtand, Sitte und Ordnung zu untergraben und
die ſpärliche Cultur auf Jahrzehnte hinaus zu erſticken. Im
Laufe ſeiner Herrſchaft hatte er bei hundert, meiſt armeniſche
Ortſchaften unter ſeine Botmäßigkeit gebracht, und ſeine ange-
maßten Souveränitätsrechte auszunützen gewußt, wie kaum der
1 Vgl. J. Brant, Notes of a journey etc. . ., 397.
2 Siehe oben, S. 5.
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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/132>, abgerufen am 22.07.2024.
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