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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Van und die Kurden.
ist es zunächst festgestellt, daß in der assyrischen Geschichte in
zwei ziemlich weit von einander abstehenden Epochen der Name
einer Königin Semiramis auftaucht. Moses von Chorene erzählt
nämlich nach und mit verschiedenen Schriftstellern, Ninos sei
nicht, wie Ktesias es darstellt, ruhig im Genusse der Herrschaft
gestorben, sondern von seinem Weibe (Semiramis) gestürzt und
vertrieben worden. Die neueren Orientalisten haben nun con-
statirt, daß dies einfach eine Verwechslung des großen Ninos
mit dem elenden Ninos II., mit dem die Dynastie Kavus aus-
starb, sowie der großen Semiramis des Ktesias mit der späteren
Herrscherin gleichen Namens, von der Herodot berichtet, sei. Die
Regierungszeit der beiden genannten assyrischen Könige und ihrer
Gattinnen liegt aber mindestens tausend Jahre auseinander1, was
für das Alter der Stadt Van, die durch ihren armenischen
Namen auf die Gründerin hindeutet, einen sehr erheblichen Aus-
fall gibt. Von dem muthmaßlich sehr hohen Alter der Stadt
spricht auch der Umstand, daß sie schon zur Zeit Alexanders
vollends dem Verfalle preisgegeben war. Damals wurde sie
von dem armenischen Könige Van wieder erbaut, eine Nengründung,
die auch noch unter den Arsaciden platzgriff, so unter dem Könige
Valarsaces, dem zweiten Beherrscher Armeniens aus diesem Ge-
schlechte. Trotz ihrer stillen Abgelegenheit in der großen Plateau-
senkung zwischen dem Taurussystem und dem armenischen Hoch-
lande sind dieser hochinteressanten Stadt schwere Prüfungen
keineswegs erspart geblieben. Die Seldschuken traten bald in
ihren Besitz, ohne ihr etwas anzuthun, was von den Tartaren
nicht behauptet werden kann, die unter dem berüchtigten Völker-
mörder Temur Lenk nach hergebrachter Gewohnheit in die Stadt
eindrangen, sie plünderten und vernichteten. Besser sind im
Ganzen die Perser und Turkmenen mit Van verfahren. Im
Jahre 1533, also beinahe hundert Jahre nach der Eroberung

1 J. Kruger, "Geschichte der Assyrier und Iranier", 127. Nach Euse-
bius regierte die jüngere Semiramis 17 Jahre (bis 768 v. Chr.), was
auch aus einem monumentalen Zeugnisse im brittischen Museum, auf das
sich Rawlinson (im "Athenaeum", Nr. 1381) beruft, unzweifelhaft hervor-
geht. Das fragliche Monument ist eine gut erhaltene Statue des Gottes
Nebo aus Chala (Ninive) mit einer Inschrift, nach der der Künstler sie seinem
Könige Phallukha (Ninos II.), und dessen Gattin Samnuramit widmet.

Van und die Kurden.
iſt es zunächſt feſtgeſtellt, daß in der aſſyriſchen Geſchichte in
zwei ziemlich weit von einander abſtehenden Epochen der Name
einer Königin Semiramis auftaucht. Moſes von Chorene erzählt
nämlich nach und mit verſchiedenen Schriftſtellern, Ninos ſei
nicht, wie Kteſias es darſtellt, ruhig im Genuſſe der Herrſchaft
geſtorben, ſondern von ſeinem Weibe (Semiramis) geſtürzt und
vertrieben worden. Die neueren Orientaliſten haben nun con-
ſtatirt, daß dies einfach eine Verwechslung des großen Ninos
mit dem elenden Ninos II., mit dem die Dynaſtie Kavus aus-
ſtarb, ſowie der großen Semiramis des Kteſias mit der ſpäteren
Herrſcherin gleichen Namens, von der Herodot berichtet, ſei. Die
Regierungszeit der beiden genannten aſſyriſchen Könige und ihrer
Gattinnen liegt aber mindeſtens tauſend Jahre auseinander1, was
für das Alter der Stadt Van, die durch ihren armeniſchen
Namen auf die Gründerin hindeutet, einen ſehr erheblichen Aus-
fall gibt. Von dem muthmaßlich ſehr hohen Alter der Stadt
ſpricht auch der Umſtand, daß ſie ſchon zur Zeit Alexanders
vollends dem Verfalle preisgegeben war. Damals wurde ſie
von dem armeniſchen Könige Van wieder erbaut, eine Nengründung,
die auch noch unter den Arſaciden platzgriff, ſo unter dem Könige
Valarſaces, dem zweiten Beherrſcher Armeniens aus dieſem Ge-
ſchlechte. Trotz ihrer ſtillen Abgelegenheit in der großen Plateau-
ſenkung zwiſchen dem Taurusſyſtem und dem armeniſchen Hoch-
lande ſind dieſer hochintereſſanten Stadt ſchwere Prüfungen
keineswegs erſpart geblieben. Die Seldſchuken traten bald in
ihren Beſitz, ohne ihr etwas anzuthun, was von den Tartaren
nicht behauptet werden kann, die unter dem berüchtigten Völker-
mörder Temur Lenk nach hergebrachter Gewohnheit in die Stadt
eindrangen, ſie plünderten und vernichteten. Beſſer ſind im
Ganzen die Perſer und Turkmenen mit Van verfahren. Im
Jahre 1533, alſo beinahe hundert Jahre nach der Eroberung

1 J. Kruger, „Geſchichte der Aſſyrier und Iranier“, 127. Nach Euſe-
bius regierte die jüngere Semiramis 17 Jahre (bis 768 v. Chr.), was
auch aus einem monumentalen Zeugniſſe im brittiſchen Muſeum, auf das
ſich Rawlinſon (im „Athenaeum“, Nr. 1381) beruft, unzweifelhaft hervor-
geht. Das fragliche Monument iſt eine gut erhaltene Statue des Gottes
Nebo aus Chala (Ninive) mit einer Inſchrift, nach der der Künſtler ſie ſeinem
Könige Phallukha (Ninos II.), und deſſen Gattin Samnuramit widmet.
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[98/0130] Van und die Kurden. iſt es zunächſt feſtgeſtellt, daß in der aſſyriſchen Geſchichte in zwei ziemlich weit von einander abſtehenden Epochen der Name einer Königin Semiramis auftaucht. Moſes von Chorene erzählt nämlich nach und mit verſchiedenen Schriftſtellern, Ninos ſei nicht, wie Kteſias es darſtellt, ruhig im Genuſſe der Herrſchaft geſtorben, ſondern von ſeinem Weibe (Semiramis) geſtürzt und vertrieben worden. Die neueren Orientaliſten haben nun con- ſtatirt, daß dies einfach eine Verwechslung des großen Ninos mit dem elenden Ninos II., mit dem die Dynaſtie Kavus aus- ſtarb, ſowie der großen Semiramis des Kteſias mit der ſpäteren Herrſcherin gleichen Namens, von der Herodot berichtet, ſei. Die Regierungszeit der beiden genannten aſſyriſchen Könige und ihrer Gattinnen liegt aber mindeſtens tauſend Jahre auseinander 1, was für das Alter der Stadt Van, die durch ihren armeniſchen Namen auf die Gründerin hindeutet, einen ſehr erheblichen Aus- fall gibt. Von dem muthmaßlich ſehr hohen Alter der Stadt ſpricht auch der Umſtand, daß ſie ſchon zur Zeit Alexanders vollends dem Verfalle preisgegeben war. Damals wurde ſie von dem armeniſchen Könige Van wieder erbaut, eine Nengründung, die auch noch unter den Arſaciden platzgriff, ſo unter dem Könige Valarſaces, dem zweiten Beherrſcher Armeniens aus dieſem Ge- ſchlechte. Trotz ihrer ſtillen Abgelegenheit in der großen Plateau- ſenkung zwiſchen dem Taurusſyſtem und dem armeniſchen Hoch- lande ſind dieſer hochintereſſanten Stadt ſchwere Prüfungen keineswegs erſpart geblieben. Die Seldſchuken traten bald in ihren Beſitz, ohne ihr etwas anzuthun, was von den Tartaren nicht behauptet werden kann, die unter dem berüchtigten Völker- mörder Temur Lenk nach hergebrachter Gewohnheit in die Stadt eindrangen, ſie plünderten und vernichteten. Beſſer ſind im Ganzen die Perſer und Turkmenen mit Van verfahren. Im Jahre 1533, alſo beinahe hundert Jahre nach der Eroberung 1 J. Kruger, „Geſchichte der Aſſyrier und Iranier“, 127. Nach Euſe- bius regierte die jüngere Semiramis 17 Jahre (bis 768 v. Chr.), was auch aus einem monumentalen Zeugniſſe im brittiſchen Muſeum, auf das ſich Rawlinſon (im „Athenaeum“, Nr. 1381) beruft, unzweifelhaft hervor- geht. Das fragliche Monument iſt eine gut erhaltene Statue des Gottes Nebo aus Chala (Ninive) mit einer Inſchrift, nach der der Künſtler ſie ſeinem Könige Phallukha (Ninos II.), und deſſen Gattin Samnuramit widmet.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/130>, abgerufen am 22.11.2024.