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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Die ost-pontischen Küstengaue.
Sommer zieht Alles auf die Alpen und nur am Karawanenwege
finden sich Leute ein, um den vorüberziehenden Händlern ihre
Erzeugnisse, meist aber nur Rohproducte, darunter vorzügliche
Butter und Käsearten, anzubieten. Am einsamsten sind die Gaue
von Of und Rizeh, mit dunklen Waldgebirgen im Innern und
versteckten Dörfern, welche unter den mächtigsten Kronen von
Eschen, Buchen, Buxbaum, Nußbäumen und Castanien wie be-
graben liegen. Besonders malerisch und zugleich interessant ist
das Städtchen Of, dessen geistig regsame Bevölkerung den Ruf
genießt, die gelehrtesten Ulemas und Rechtskundigen in Constan-
tinopel ihre Landsleute nennen zu können1. Der freie, unab-
hängige Sinn dieses Volkes, verbunden mit Rohheit, aber auch
strengen Sitten, Mäßigkeit und Klugheit, machte es bisher stets
zu den hartnäckigsten Gegnern ihrer nominellen Beherrscher, an
denen sie sich durch Raubzüge und Ueberfälle rächen für die Ver-
suche gewaltsamer Unterwerfung, die nur einmal in früheren
Jahrzehnten (unter Abdullah Pascha von Trapezunt) einiger-
maßen gelungen ist. Zur Verhinderung einer dauernden tür-
kischen Occupation hat bisher wohl auch in hohem Grade die
Natur des Berglandes beigetragen und die Türken selbst nennen
es nie anders als Tschengelistan, d. i.: "Das Land der Widerhaken".

Nicht minder malerisch und in Bezug auf seine Vergangen-
heit interessant ist die Hauptstadt des nächsten Gaues, Rizeh.
Zu beiden Seiten des ausmündenden krystallhellen Bergflüßchens
zieht sich, von der schmalen Küstenfläche in halbmondförmigen
Etagen die buschigen Hänge hinan, das anmuthige Städtchen,
die einstige römische Grenzfestung gegen die Lazen. Die Natur
entfaltet sich von hier ab bereits mit weit größerer Ueppigkeit,
auch die Gebirge steigen immer steiler hinan und in die wald-
dunklen Schluchten, welche sich gegen den östlichen Nachbar-Gau
von Hemschin senken, blicken bereits die Schneehauben des
Katschghar-Gebirges. Allenthalben sind die natürlichen Porphyr-
hügel, welche aus dem frischen Gartengrün des Gestadelandes
hervortauchen, mit Burgruinen geschmückt2, wie die türkische Tra-
dition sagt, jene genuäsische Schlösser (Dschiniwiz-Hissarlar).

1 Ritter, "Erdkunde", XVIII, 919.
2 Koch, "Wanderungen im Orient", II.

Die oſt-pontiſchen Küſtengaue.
Sommer zieht Alles auf die Alpen und nur am Karawanenwege
finden ſich Leute ein, um den vorüberziehenden Händlern ihre
Erzeugniſſe, meiſt aber nur Rohproducte, darunter vorzügliche
Butter und Käſearten, anzubieten. Am einſamſten ſind die Gaue
von Of und Rizeh, mit dunklen Waldgebirgen im Innern und
verſteckten Dörfern, welche unter den mächtigſten Kronen von
Eſchen, Buchen, Buxbaum, Nußbäumen und Caſtanien wie be-
graben liegen. Beſonders maleriſch und zugleich intereſſant iſt
das Städtchen Of, deſſen geiſtig regſame Bevölkerung den Ruf
genießt, die gelehrteſten Ulemas und Rechtskundigen in Conſtan-
tinopel ihre Landsleute nennen zu können1. Der freie, unab-
hängige Sinn dieſes Volkes, verbunden mit Rohheit, aber auch
ſtrengen Sitten, Mäßigkeit und Klugheit, machte es bisher ſtets
zu den hartnäckigſten Gegnern ihrer nominellen Beherrſcher, an
denen ſie ſich durch Raubzüge und Ueberfälle rächen für die Ver-
ſuche gewaltſamer Unterwerfung, die nur einmal in früheren
Jahrzehnten (unter Abdullah Paſcha von Trapezunt) einiger-
maßen gelungen iſt. Zur Verhinderung einer dauernden tür-
kiſchen Occupation hat bisher wohl auch in hohem Grade die
Natur des Berglandes beigetragen und die Türken ſelbſt nennen
es nie anders als Tſchengelistan, d. i.: „Das Land der Widerhaken“.

Nicht minder maleriſch und in Bezug auf ſeine Vergangen-
heit intereſſant iſt die Hauptſtadt des nächſten Gaues, Rizeh.
Zu beiden Seiten des ausmündenden kryſtallhellen Bergflüßchens
zieht ſich, von der ſchmalen Küſtenfläche in halbmondförmigen
Etagen die buſchigen Hänge hinan, das anmuthige Städtchen,
die einſtige römiſche Grenzfeſtung gegen die Lazen. Die Natur
entfaltet ſich von hier ab bereits mit weit größerer Ueppigkeit,
auch die Gebirge ſteigen immer ſteiler hinan und in die wald-
dunklen Schluchten, welche ſich gegen den öſtlichen Nachbar-Gau
von Hemſchin ſenken, blicken bereits die Schneehauben des
Katſchghar-Gebirges. Allenthalben ſind die natürlichen Porphyr-
hügel, welche aus dem friſchen Gartengrün des Geſtadelandes
hervortauchen, mit Burgruinen geſchmückt2, wie die türkiſche Tra-
dition ſagt, jene genuäſiſche Schlöſſer (Dſchiniwiz-Hiſſarlar).

1 Ritter, „Erdkunde“, XVIII, 919.
2 Koch, „Wanderungen im Orient“, II.
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[87/0119] Die oſt-pontiſchen Küſtengaue. Sommer zieht Alles auf die Alpen und nur am Karawanenwege finden ſich Leute ein, um den vorüberziehenden Händlern ihre Erzeugniſſe, meiſt aber nur Rohproducte, darunter vorzügliche Butter und Käſearten, anzubieten. Am einſamſten ſind die Gaue von Of und Rizeh, mit dunklen Waldgebirgen im Innern und verſteckten Dörfern, welche unter den mächtigſten Kronen von Eſchen, Buchen, Buxbaum, Nußbäumen und Caſtanien wie be- graben liegen. Beſonders maleriſch und zugleich intereſſant iſt das Städtchen Of, deſſen geiſtig regſame Bevölkerung den Ruf genießt, die gelehrteſten Ulemas und Rechtskundigen in Conſtan- tinopel ihre Landsleute nennen zu können 1. Der freie, unab- hängige Sinn dieſes Volkes, verbunden mit Rohheit, aber auch ſtrengen Sitten, Mäßigkeit und Klugheit, machte es bisher ſtets zu den hartnäckigſten Gegnern ihrer nominellen Beherrſcher, an denen ſie ſich durch Raubzüge und Ueberfälle rächen für die Ver- ſuche gewaltſamer Unterwerfung, die nur einmal in früheren Jahrzehnten (unter Abdullah Paſcha von Trapezunt) einiger- maßen gelungen iſt. Zur Verhinderung einer dauernden tür- kiſchen Occupation hat bisher wohl auch in hohem Grade die Natur des Berglandes beigetragen und die Türken ſelbſt nennen es nie anders als Tſchengelistan, d. i.: „Das Land der Widerhaken“. Nicht minder maleriſch und in Bezug auf ſeine Vergangen- heit intereſſant iſt die Hauptſtadt des nächſten Gaues, Rizeh. Zu beiden Seiten des ausmündenden kryſtallhellen Bergflüßchens zieht ſich, von der ſchmalen Küſtenfläche in halbmondförmigen Etagen die buſchigen Hänge hinan, das anmuthige Städtchen, die einſtige römiſche Grenzfeſtung gegen die Lazen. Die Natur entfaltet ſich von hier ab bereits mit weit größerer Ueppigkeit, auch die Gebirge ſteigen immer ſteiler hinan und in die wald- dunklen Schluchten, welche ſich gegen den öſtlichen Nachbar-Gau von Hemſchin ſenken, blicken bereits die Schneehauben des Katſchghar-Gebirges. Allenthalben ſind die natürlichen Porphyr- hügel, welche aus dem friſchen Gartengrün des Geſtadelandes hervortauchen, mit Burgruinen geſchmückt 2, wie die türkiſche Tra- dition ſagt, jene genuäſiſche Schlöſſer (Dſchiniwiz-Hiſſarlar). 1 Ritter, „Erdkunde“, XVIII, 919. 2 Koch, „Wanderungen im Orient“, II.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/119>, abgerufen am 24.11.2024.