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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Das pontisch-armenische Gestade-Land.

Nach diesem Intermezzo wollen wir uns nun wieder dem
pontischen Küstenlande zuwenden. Um den richtigen Ueberblick
über die politischen und socialen Zustände der östlich liegenden
Gebirgswelt und deren geographische Bedingungen kennen zu
lernen, bedarf es zunächst einer knappen Situationsskizze von
Trapezunt ab bis über Batum hinaus, wo die imposanten und
urwüchsigen Gebirgsformen mälig zusammenschrumpfen, um durch
die Sumpf- und Dünenstriche des cholchischen Küstengebietes und
später durch die urwaldartige Vegetationszone im mingrelischen
Tieflande ersetzt zu werden. Das fragliche Küstengebirge von
den Thoren Trapezunts bis zu seiner natürlichen östlichen Ab-
grenzung am Tschoruk-Flusse, ist von den allgemeinen Zeitläufen,
von den politischen oder civilisatorischen Umwandlungen oder
Entwicklungsstufen der Nachbargebiete in einer Weise isolirt ge-
blieben, wie kein zweites Territorium in Vorder-Asien. Schon
die Lage desselben abseits irgend einer hervorragenden Völker-
straße, an der Peripherie mächtiger Weltreiche, deren Grenz-
marke sie unter den buntesten Wandlungen der politischen Machtver-
hältnisse in Vorder-Asien seit zwei Jahrtausenden geblieben,
mußte genügen, um den Bewohnern dieser abgelegenen Gebirgs-
gaue eine gewisse Selbstständigkeit, ja Unabhängigkeit zu ver-
schaffen. So war es, als Xenophon mit seinen Zehntausend über
die Pässe des pontischen Küstengebirges nach Trapezunt herabzog,
und das gleiche Verhältniß blieb, als später Trajan seine Ca-
stelle an diesem Gestade errichtete, und Justinian Anstrengungen
machte, Herr der Gebirgsvölker zu werden. Bekannter als jeder
andere Zwischenfall sind die blutigen Reibereien in den lazischen
Hochbergen aus der Zeit Mithridates d. Gr., und dieser unbän-
dige Unabhängigkeitsdrang ist den Völkern bis in unsere Tage
hinein geblieben. Zahlreiche Rebellionen füllen die moderne Ge-
schichte dieser Küstengaue aus und selbst die culturvermittelnde

lichsten Vexationen unterliegen, wären die kaukasischen Biedermänner mit
ihrer zügellosen Barbarei wohl kaum gewesen. Daß der kaukasische Aelpler
überdies in den Marschen des Nildeltas eine ziemlich wunderliche Staffage
abgegeben hätte, wollen wir nur nebenher bemerken; viel drastischer würde
sich die Thatsache ausgenommen haben, diese, jeder Civilisation unzugäng-
lichen Gurgelabschneider im Schatten der Memnonsstatuen und unter den
Sycomoren von Fayum auf uraltem Culturmoder wandeln zu sehen.
Das pontiſch-armeniſche Geſtade-Land.

Nach dieſem Intermezzo wollen wir uns nun wieder dem
pontiſchen Küſtenlande zuwenden. Um den richtigen Ueberblick
über die politiſchen und ſocialen Zuſtände der öſtlich liegenden
Gebirgswelt und deren geographiſche Bedingungen kennen zu
lernen, bedarf es zunächſt einer knappen Situationsſkizze von
Trapezunt ab bis über Batum hinaus, wo die impoſanten und
urwüchſigen Gebirgsformen mälig zuſammenſchrumpfen, um durch
die Sumpf- und Dünenſtriche des cholchiſchen Küſtengebietes und
ſpäter durch die urwaldartige Vegetationszone im mingreliſchen
Tieflande erſetzt zu werden. Das fragliche Küſtengebirge von
den Thoren Trapezunts bis zu ſeiner natürlichen öſtlichen Ab-
grenzung am Tſchoruk-Fluſſe, iſt von den allgemeinen Zeitläufen,
von den politiſchen oder civiliſatoriſchen Umwandlungen oder
Entwicklungsſtufen der Nachbargebiete in einer Weiſe iſolirt ge-
blieben, wie kein zweites Territorium in Vorder-Aſien. Schon
die Lage deſſelben abſeits irgend einer hervorragenden Völker-
ſtraße, an der Peripherie mächtiger Weltreiche, deren Grenz-
marke ſie unter den bunteſten Wandlungen der politiſchen Machtver-
hältniſſe in Vorder-Aſien ſeit zwei Jahrtauſenden geblieben,
mußte genügen, um den Bewohnern dieſer abgelegenen Gebirgs-
gaue eine gewiſſe Selbſtſtändigkeit, ja Unabhängigkeit zu ver-
ſchaffen. So war es, als Xenophon mit ſeinen Zehntauſend über
die Päſſe des pontiſchen Küſtengebirges nach Trapezunt herabzog,
und das gleiche Verhältniß blieb, als ſpäter Trajan ſeine Ca-
ſtelle an dieſem Geſtade errichtete, und Juſtinian Anſtrengungen
machte, Herr der Gebirgsvölker zu werden. Bekannter als jeder
andere Zwiſchenfall ſind die blutigen Reibereien in den laziſchen
Hochbergen aus der Zeit Mithridates d. Gr., und dieſer unbän-
dige Unabhängigkeitsdrang iſt den Völkern bis in unſere Tage
hinein geblieben. Zahlreiche Rebellionen füllen die moderne Ge-
ſchichte dieſer Küſtengaue aus und ſelbſt die culturvermittelnde

lichſten Vexationen unterliegen, wären die kaukaſiſchen Biedermänner mit
ihrer zügelloſen Barbarei wohl kaum geweſen. Daß der kaukaſiſche Aelpler
überdies in den Marſchen des Nildeltas eine ziemlich wunderliche Staffage
abgegeben hätte, wollen wir nur nebenher bemerken; viel draſtiſcher würde
ſich die Thatſache ausgenommen haben, dieſe, jeder Civiliſation unzugäng-
lichen Gurgelabſchneider im Schatten der Memnonsſtatuen und unter den
Sycomoren von Fayum auf uraltem Culturmoder wandeln zu ſehen.
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[84/0116] Das pontiſch-armeniſche Geſtade-Land. Nach dieſem Intermezzo wollen wir uns nun wieder dem pontiſchen Küſtenlande zuwenden. Um den richtigen Ueberblick über die politiſchen und ſocialen Zuſtände der öſtlich liegenden Gebirgswelt und deren geographiſche Bedingungen kennen zu lernen, bedarf es zunächſt einer knappen Situationsſkizze von Trapezunt ab bis über Batum hinaus, wo die impoſanten und urwüchſigen Gebirgsformen mälig zuſammenſchrumpfen, um durch die Sumpf- und Dünenſtriche des cholchiſchen Küſtengebietes und ſpäter durch die urwaldartige Vegetationszone im mingreliſchen Tieflande erſetzt zu werden. Das fragliche Küſtengebirge von den Thoren Trapezunts bis zu ſeiner natürlichen öſtlichen Ab- grenzung am Tſchoruk-Fluſſe, iſt von den allgemeinen Zeitläufen, von den politiſchen oder civiliſatoriſchen Umwandlungen oder Entwicklungsſtufen der Nachbargebiete in einer Weiſe iſolirt ge- blieben, wie kein zweites Territorium in Vorder-Aſien. Schon die Lage deſſelben abſeits irgend einer hervorragenden Völker- ſtraße, an der Peripherie mächtiger Weltreiche, deren Grenz- marke ſie unter den bunteſten Wandlungen der politiſchen Machtver- hältniſſe in Vorder-Aſien ſeit zwei Jahrtauſenden geblieben, mußte genügen, um den Bewohnern dieſer abgelegenen Gebirgs- gaue eine gewiſſe Selbſtſtändigkeit, ja Unabhängigkeit zu ver- ſchaffen. So war es, als Xenophon mit ſeinen Zehntauſend über die Päſſe des pontiſchen Küſtengebirges nach Trapezunt herabzog, und das gleiche Verhältniß blieb, als ſpäter Trajan ſeine Ca- ſtelle an dieſem Geſtade errichtete, und Juſtinian Anſtrengungen machte, Herr der Gebirgsvölker zu werden. Bekannter als jeder andere Zwiſchenfall ſind die blutigen Reibereien in den laziſchen Hochbergen aus der Zeit Mithridates d. Gr., und dieſer unbän- dige Unabhängigkeitsdrang iſt den Völkern bis in unſere Tage hinein geblieben. Zahlreiche Rebellionen füllen die moderne Ge- ſchichte dieſer Küſtengaue aus und ſelbſt die culturvermittelnde 1 1 lichſten Vexationen unterliegen, wären die kaukaſiſchen Biedermänner mit ihrer zügelloſen Barbarei wohl kaum geweſen. Daß der kaukaſiſche Aelpler überdies in den Marſchen des Nildeltas eine ziemlich wunderliche Staffage abgegeben hätte, wollen wir nur nebenher bemerken; viel draſtiſcher würde ſich die Thatſache ausgenommen haben, dieſe, jeder Civiliſation unzugäng- lichen Gurgelabſchneider im Schatten der Memnonsſtatuen und unter den Sycomoren von Fayum auf uraltem Culturmoder wandeln zu ſehen.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/116>, abgerufen am 24.11.2024.