Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwann, Theodor: Mikroskopische Untersuchungen über die Uebereinstimmung in der Struktur und dem Wachsthum der Thiere und Pflanzen. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

ziehen im Stande ist, und diese neu zusammengefügten
Moleküle erhalten eben durch diese Zusammenfügungsweise
wieder dieselbe Kraft neue Moleküle anzuziehen. Auch
die erste Entstehung der mannigfaltigen Organismen, die
durch die Geologie nachgewiesene allmählige Ausbildung
der organischen Natur hat nach der teleologischen Ansicht
viel mehr Schwierigkeit, als nach der physikalischen.

Ein anderer Einwurf gegen die teleologische Ansicht
lässt sich aus der vorigen Untersuchung entnehmen. Die
Moleküle werden, wie wir gesehen haben, nicht unmittelbar
auf mannigfaltige Weise so zusammengefügt, wie es der
Zweck des Organismus erfordert, sondern bei der Bildung
der Elementartheile der Organismen liegen Gesetze zu
Grunde, die bei allen Elementartheilen wesentlich dieselben
sind. Man sieht nun keinen Grund ein, wesshalb es so
sein muss, wenn jedem Organismus eine Kraft zu Grunde
liegt, welche die Theile des Organismus nach dem Zweck,
den sie erfüllen sollen, bildet: man sollte viel wahrschein-
licher erwarten, dass das Bildungsprincip, obgleich für
physiologisch dieselben Gebilde ein bestimmtes, doch in
verschiedenen Geweben ebenso verschieden wäre. Diese
Gleichheit der Elementartheile führte bei Pflanzen schon
auf die Vermuthung, dass die Zellen eigentlich die Orga-
nismen seien, und die ganze Pflanze ein nach bestimmten
Gesetzen geordnetes Aggregat dieser Organismen. Da nun
aber die Elementartheile der Thiere sich ganz ebenso ver-
halten, so würde dadurch auch die Individualität eines gan-
zen Thieres verloren gehn, und doch stützt sich gerade auf
das Individuelle eines ganzen Thiers die Annahme, dass
ihm eine einzige, nach einer bestimmten Idee wirkende
Kraft zu Grunde liegt.

Indessen eine vollständige Widerlegung teleologischer
Ansichten ist überhaupt nicht möglich, wenn man nicht
alle Erscheinungen nach der physikalischen Ansicht wirk-
lichverklärt. Eine Widerlegung ist aber auch nicht noth-
wendig, weil die teleologische Erklärungsweise nur dann
zulässig ist, wenn man die Unmöglichkeit der physikalischen

15

ziehen im Stande ist, und diese neu zusammengefügten
Moleküle erhalten eben durch diese Zusammenfügungsweise
wieder dieselbe Kraft neue Moleküle anzuziehen. Auch
die erste Entstehung der mannigfaltigen Organismen, die
durch die Geologie nachgewiesene allmählige Ausbildung
der organischen Natur hat nach der teleologischen Ansicht
viel mehr Schwierigkeit, als nach der physikalischen.

Ein anderer Einwurf gegen die teleologische Ansicht
läſst sich aus der vorigen Untersuchung entnehmen. Die
Moleküle werden, wie wir gesehen haben, nicht unmittelbar
auf mannigfaltige Weise so zusammengefügt, wie es der
Zweck des Organismus erfordert, sondern bei der Bildung
der Elementartheile der Organismen liegen Gesetze zu
Grunde, die bei allen Elementartheilen wesentlich dieselben
sind. Man sieht nun keinen Grund ein, weſshalb es so
sein muſs, wenn jedem Organismus eine Kraft zu Grunde
liegt, welche die Theile des Organismus nach dem Zweck,
den sie erfüllen sollen, bildet: man sollte viel wahrschein-
licher erwarten, daſs das Bildungsprincip, obgleich für
physiologisch dieselben Gebilde ein bestimmtes, doch in
verschiedenen Geweben ebenso verschieden wäre. Diese
Gleichheit der Elementartheile führte bei Pflanzen schon
auf die Vermuthung, daſs die Zellen eigentlich die Orga-
nismen seien, und die ganze Pflanze ein nach bestimmten
Gesetzen geordnetes Aggregat dieser Organismen. Da nun
aber die Elementartheile der Thiere sich ganz ebenso ver-
halten, so würde dadurch auch die Individualität eines gan-
zen Thieres verloren gehn, und doch stützt sich gerade auf
das Individuelle eines ganzen Thiers die Annahme, daſs
ihm eine einzige, nach einer bestimmten Idee wirkende
Kraft zu Grunde liegt.

Indessen eine vollständige Widerlegung teleologischer
Ansichten ist überhaupt nicht möglich, wenn man nicht
alle Erscheinungen nach der physikalischen Ansicht wirk-
lichverklärt. Eine Widerlegung ist aber auch nicht noth-
wendig, weil die teleologische Erklärungsweise nur dann
zulässig ist, wenn man die Unmöglichkeit der physikalischen

15
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0249" n="225"/>
ziehen im Stande ist, und diese neu zusammengefügten<lb/>
Moleküle erhalten eben durch diese Zusammenfügungsweise<lb/>
wieder dieselbe Kraft neue Moleküle anzuziehen. Auch<lb/>
die erste Entstehung der mannigfaltigen Organismen, die<lb/>
durch die Geologie nachgewiesene allmählige Ausbildung<lb/>
der organischen Natur hat nach der teleologischen Ansicht<lb/>
viel mehr Schwierigkeit, als nach der physikalischen.</p><lb/>
          <p>Ein anderer Einwurf gegen die teleologische Ansicht<lb/>&#x017F;st sich aus der vorigen Untersuchung entnehmen. Die<lb/>
Moleküle werden, wie wir gesehen haben, nicht unmittelbar<lb/>
auf mannigfaltige Weise so zusammengefügt, wie es der<lb/>
Zweck des Organismus erfordert, sondern bei der Bildung<lb/>
der Elementartheile der Organismen liegen Gesetze zu<lb/>
Grunde, die bei allen Elementartheilen wesentlich dieselben<lb/>
sind. Man sieht nun keinen Grund ein, we&#x017F;shalb es so<lb/>
sein mu&#x017F;s, wenn jedem Organismus eine Kraft zu Grunde<lb/>
liegt, welche die Theile des Organismus nach dem Zweck,<lb/>
den sie erfüllen sollen, bildet: man sollte viel wahrschein-<lb/>
licher erwarten, da&#x017F;s das Bildungsprincip, obgleich für<lb/>
physiologisch dieselben Gebilde ein bestimmtes, doch in<lb/>
verschiedenen Geweben ebenso verschieden wäre. Diese<lb/>
Gleichheit der Elementartheile führte bei Pflanzen schon<lb/>
auf die Vermuthung, da&#x017F;s die Zellen eigentlich die Orga-<lb/>
nismen seien, und die ganze Pflanze ein nach bestimmten<lb/>
Gesetzen geordnetes Aggregat dieser Organismen. Da nun<lb/>
aber die Elementartheile der Thiere sich ganz ebenso ver-<lb/>
halten, so würde dadurch auch die Individualität eines gan-<lb/>
zen Thieres verloren gehn, und doch stützt sich gerade auf<lb/>
das Individuelle eines ganzen Thiers die Annahme, da&#x017F;s<lb/>
ihm eine einzige, nach einer bestimmten Idee wirkende<lb/>
Kraft zu Grunde liegt.</p><lb/>
          <p>Indessen eine vollständige Widerlegung teleologischer<lb/>
Ansichten ist überhaupt nicht möglich, wenn man nicht<lb/>
alle Erscheinungen nach der physikalischen Ansicht wirk-<lb/>
lichverklärt. Eine Widerlegung ist aber auch nicht noth-<lb/>
wendig, weil die teleologische Erklärungsweise nur dann<lb/>
zulässig ist, wenn man die Unmöglichkeit der physikalischen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">15</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[225/0249] ziehen im Stande ist, und diese neu zusammengefügten Moleküle erhalten eben durch diese Zusammenfügungsweise wieder dieselbe Kraft neue Moleküle anzuziehen. Auch die erste Entstehung der mannigfaltigen Organismen, die durch die Geologie nachgewiesene allmählige Ausbildung der organischen Natur hat nach der teleologischen Ansicht viel mehr Schwierigkeit, als nach der physikalischen. Ein anderer Einwurf gegen die teleologische Ansicht läſst sich aus der vorigen Untersuchung entnehmen. Die Moleküle werden, wie wir gesehen haben, nicht unmittelbar auf mannigfaltige Weise so zusammengefügt, wie es der Zweck des Organismus erfordert, sondern bei der Bildung der Elementartheile der Organismen liegen Gesetze zu Grunde, die bei allen Elementartheilen wesentlich dieselben sind. Man sieht nun keinen Grund ein, weſshalb es so sein muſs, wenn jedem Organismus eine Kraft zu Grunde liegt, welche die Theile des Organismus nach dem Zweck, den sie erfüllen sollen, bildet: man sollte viel wahrschein- licher erwarten, daſs das Bildungsprincip, obgleich für physiologisch dieselben Gebilde ein bestimmtes, doch in verschiedenen Geweben ebenso verschieden wäre. Diese Gleichheit der Elementartheile führte bei Pflanzen schon auf die Vermuthung, daſs die Zellen eigentlich die Orga- nismen seien, und die ganze Pflanze ein nach bestimmten Gesetzen geordnetes Aggregat dieser Organismen. Da nun aber die Elementartheile der Thiere sich ganz ebenso ver- halten, so würde dadurch auch die Individualität eines gan- zen Thieres verloren gehn, und doch stützt sich gerade auf das Individuelle eines ganzen Thiers die Annahme, daſs ihm eine einzige, nach einer bestimmten Idee wirkende Kraft zu Grunde liegt. Indessen eine vollständige Widerlegung teleologischer Ansichten ist überhaupt nicht möglich, wenn man nicht alle Erscheinungen nach der physikalischen Ansicht wirk- lichverklärt. Eine Widerlegung ist aber auch nicht noth- wendig, weil die teleologische Erklärungsweise nur dann zulässig ist, wenn man die Unmöglichkeit der physikalischen 15

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwann_mikroskopische_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwann_mikroskopische_1839/249
Zitationshilfe: Schwann, Theodor: Mikroskopische Untersuchungen über die Uebereinstimmung in der Struktur und dem Wachsthum der Thiere und Pflanzen. Berlin, 1839, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwann_mikroskopische_1839/249>, abgerufen am 27.11.2024.