Zahn einige Tage in nicht zu sehr verdünnter Salzsäure liegen, so wird die nach Ausziehung der Kalkerde Anfangs noch knorpelharte Zahnsubstanz ganz weich, so dass man sie nur in kleinen Stückchen mit der Pinzette herausneh- men kann. Untersucht man diese breiige Masse, so sieht man, dass sie aus Fasern besteht, die stellenweise sich isoliren lassen (s. Tab. III. Fig. 5). Diese Fasern sind zu dick, um etwa die Wände der Kanälchen zu sein: sie bilden die ganze Substanz. Auch können sie nicht wohl Kunstpro- dukt sein, etwa indem die in die Kanälchen eindringende Säure die ihnen zunächst liegende Substanz zuerst auf- löste und dadurch die Zwischensubstanz als eine Faser zurückbliebe; dafür sind sie zu regelmässig und glatt. Es scheint vielmehr, dass die Zahnsubstanz aus diesen Fasern zusammengesetzt ist, die mit einander verwachsen sind, dass sie also identisch mit den Fasern sind, durch deren Verschmelzung, nach Purkinje und Raschkow, der Zahnknorpel sich bildet, und dass diese Verschmelzung der Fasern nicht so vollständig ist, dass sie nicht künstlich wieder aufgelöst werden könnte. Die Fasern laufen an Menschenzähnen in derselben Richtung wie die Kanälchen. Zwischen ihnen konnte ich die Kanälchen nicht mehr se- hen. Nur in der äussersten, unmittelbar unter dem Schmelz liegenden Schichte der Zahnsubstanz sah ich die Fasern nicht, sondern hier war die Masse durch die Salzsäure mehr zerfallen, und es liefen darin feinere Fasern anderer Art in den verschiedensten Richtungen durch einander, welche, wie ich vermuthe, Reste der Zahnröhrchen waren.
Wir müssen also die Zahnsubstanz betrachten als zu- sammengesetzt aus mit einander verschmolzenen Fasern, zwischen denen Kanälchen mit eigenthümlichen Wänden verlaufen. Fasern und Kanälchen stehen beim Menschen ungefähr senkrecht auf der Zahnhöhle. Was haben nun die Fasern und was die Kanälchen mit den Zellen zu schaffen? Ich möchte mich zu der älteren Ansicht hinnei- gen, dass die Zahnsubstanz die verknöcherte Pulpa ist. Nach Purkinje und Raschkow besteht die Pulpa An-
Zahn einige Tage in nicht zu sehr verdünnter Salzsäure liegen, so wird die nach Ausziehung der Kalkerde Anfangs noch knorpelharte Zahnsubstanz ganz weich, so daſs man sie nur in kleinen Stückchen mit der Pinzette herausneh- men kann. Untersucht man diese breiige Masse, so sieht man, daſs sie aus Fasern besteht, die stellenweise sich isoliren lassen (s. Tab. III. Fig. 5). Diese Fasern sind zu dick, um etwa die Wände der Kanälchen zu sein: sie bilden die ganze Substanz. Auch können sie nicht wohl Kunstpro- dukt sein, etwa indem die in die Kanälchen eindringende Säure die ihnen zunächst liegende Substanz zuerst auf- löste und dadurch die Zwischensubstanz als eine Faser zurückbliebe; dafür sind sie zu regelmäſsig und glatt. Es scheint vielmehr, daſs die Zahnsubstanz aus diesen Fasern zusammengesetzt ist, die mit einander verwachsen sind, daſs sie also identisch mit den Fasern sind, durch deren Verschmelzung, nach Purkinje und Raschkow, der Zahnknorpel sich bildet, und daſs diese Verschmelzung der Fasern nicht so vollständig ist, daſs sie nicht künstlich wieder aufgelöst werden könnte. Die Fasern laufen an Menschenzähnen in derselben Richtung wie die Kanälchen. Zwischen ihnen konnte ich die Kanälchen nicht mehr se- hen. Nur in der äuſsersten, unmittelbar unter dem Schmelz liegenden Schichte der Zahnsubstanz sah ich die Fasern nicht, sondern hier war die Masse durch die Salzsäure mehr zerfallen, und es liefen darin feinere Fasern anderer Art in den verschiedensten Richtungen durch einander, welche, wie ich vermuthe, Reste der Zahnröhrchen waren.
Wir müssen also die Zahnsubstanz betrachten als zu- sammengesetzt aus mit einander verschmolzenen Fasern, zwischen denen Kanälchen mit eigenthümlichen Wänden verlaufen. Fasern und Kanälchen stehen beim Menschen ungefähr senkrecht auf der Zahnhöhle. Was haben nun die Fasern und was die Kanälchen mit den Zellen zu schaffen? Ich möchte mich zu der älteren Ansicht hinnei- gen, daſs die Zahnsubstanz die verknöcherte Pulpa ist. Nach Purkinje und Raschkow besteht die Pulpa An-
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Zahn einige Tage in nicht zu sehr verdünnter Salzsäure
liegen, so wird die nach Ausziehung der Kalkerde Anfangs
noch knorpelharte Zahnsubstanz ganz weich, so daſs man
sie nur in kleinen Stückchen mit der Pinzette herausneh-
men kann. Untersucht man diese breiige Masse, so sieht
man, daſs sie aus Fasern besteht, die stellenweise sich isoliren
lassen (s. Tab. III. Fig. 5). Diese Fasern sind zu dick,
um etwa die Wände der Kanälchen zu sein: sie bilden die
ganze Substanz. Auch können sie nicht wohl Kunstpro-
dukt sein, etwa indem die in die Kanälchen eindringende
Säure die ihnen zunächst liegende Substanz zuerst auf-
löste und dadurch die Zwischensubstanz als eine Faser
zurückbliebe; dafür sind sie zu regelmäſsig und glatt. Es
scheint vielmehr, daſs die Zahnsubstanz aus diesen Fasern
zusammengesetzt ist, die mit einander verwachsen sind,
daſs sie also identisch mit den Fasern sind, durch deren
Verschmelzung, nach Purkinje und Raschkow, der
Zahnknorpel sich bildet, und daſs diese Verschmelzung der
Fasern nicht so vollständig ist, daſs sie nicht künstlich
wieder aufgelöst werden könnte. Die Fasern laufen an
Menschenzähnen in derselben Richtung wie die Kanälchen.
Zwischen ihnen konnte ich die Kanälchen nicht mehr se-
hen. Nur in der äuſsersten, unmittelbar unter dem Schmelz
liegenden Schichte der Zahnsubstanz sah ich die Fasern
nicht, sondern hier war die Masse durch die Salzsäure
mehr zerfallen, und es liefen darin feinere Fasern anderer
Art in den verschiedensten Richtungen durch einander,
welche, wie ich vermuthe, Reste der Zahnröhrchen waren.
Wir müssen also die Zahnsubstanz betrachten als zu-
sammengesetzt aus mit einander verschmolzenen Fasern,
zwischen denen Kanälchen mit eigenthümlichen Wänden
verlaufen. Fasern und Kanälchen stehen beim Menschen
ungefähr senkrecht auf der Zahnhöhle. Was haben nun
die Fasern und was die Kanälchen mit den Zellen zu
schaffen? Ich möchte mich zu der älteren Ansicht hinnei-
gen, daſs die Zahnsubstanz die verknöcherte Pulpa ist.
Nach Purkinje und Raschkow besteht die Pulpa An-
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Schwann, Theodor: Mikroskopische Untersuchungen über die Uebereinstimmung in der Struktur und dem Wachsthum der Thiere und Pflanzen. Berlin, 1839, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwann_mikroskopische_1839/148>, abgerufen am 25.11.2024.
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