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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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"Ey," erwiederte Pylades, "das wäre wahrlich
das erstemal, daß wir mit einander die Flucht ergriffen!
Heilig soll uns der Ausspruch Apollo's seyn! doch, wahr
ists, fort müssen wir von diesem Tempel! das Klügste
ist, wir verbergen uns in den dunkeln Grotten, die das
Meer bespült, ferne von unsrem Fahrzeug, damit Keiner,
der es erblickt, dem Herrscher dieses Landes von uns
melden könne, und wir nicht von Waffengewalt, die ge¬
gen uns ausgesendet wird, übermannt werden. Wenn
aber dann die Nacht anbricht, dann laß uns frisch ans
Werk schreiten. Die Lage des Tempels kennen wir nun
schon; irgend eine List wird uns ins Innere des Tem¬
pelraumes führen, und haben wir das Götterbild einmal
auf den Armen, so ist mir vor dem Rückwege nicht
mehr bange. Tapfre stürzen sich muthig in die Gefahr!
haben wir rudernd nicht einen unermeßlichen Weg zu¬
rückgelegt? Nun wäre es doch schmählich, wenn wir
am Ziele umkehrten, und ohne die Beute, die der Gott
uns bezeichnet hat, heimkehrten!"

"Wohlgesprochen," rief Orestes, "es geschehe, wie
du räthst! Wir wollen uns verbergen, bis der Tag vor¬
über ist, die Nacht kröne unser Werk!"

Die Sonne stand schon höher am Himmel, als auf
die Priesterin Diana's, die an der Schwelle ihres Tem¬
pels stand, ein Rinderhirte, der mit schnellen Schritten
vom Meergestade herbeigeeilt kam, zuschritt. Er brachte
die Meldung, daß ein Paar Jünglinge, wohlgefällige
Schlachtopfer der Göttin Artemis, am Ufer gelandet
seyen. "Bereite nur, erhabene Priesterin," sprach er,
"je eher je lieber das heilige Wasserbad, und schicke dich
zu dem Werke an!" -- "Was für Landsleute sind die

„Ey,“ erwiederte Pylades, „das wäre wahrlich
das erſtemal, daß wir mit einander die Flucht ergriffen!
Heilig ſoll uns der Ausſpruch Apollo's ſeyn! doch, wahr
iſts, fort müſſen wir von dieſem Tempel! das Klügſte
iſt, wir verbergen uns in den dunkeln Grotten, die das
Meer beſpült, ferne von unſrem Fahrzeug, damit Keiner,
der es erblickt, dem Herrſcher dieſes Landes von uns
melden könne, und wir nicht von Waffengewalt, die ge¬
gen uns ausgeſendet wird, übermannt werden. Wenn
aber dann die Nacht anbricht, dann laß uns friſch ans
Werk ſchreiten. Die Lage des Tempels kennen wir nun
ſchon; irgend eine Liſt wird uns ins Innere des Tem¬
pelraumes führen, und haben wir das Götterbild einmal
auf den Armen, ſo iſt mir vor dem Rückwege nicht
mehr bange. Tapfre ſtürzen ſich muthig in die Gefahr!
haben wir rudernd nicht einen unermeßlichen Weg zu¬
rückgelegt? Nun wäre es doch ſchmählich, wenn wir
am Ziele umkehrten, und ohne die Beute, die der Gott
uns bezeichnet hat, heimkehrten!“

„Wohlgeſprochen,“ rief Oreſtes, „es geſchehe, wie
du räthſt! Wir wollen uns verbergen, bis der Tag vor¬
über iſt, die Nacht kröne unſer Werk!“

Die Sonne ſtand ſchon höher am Himmel, als auf
die Prieſterin Diana's, die an der Schwelle ihres Tem¬
pels ſtand, ein Rinderhirte, der mit ſchnellen Schritten
vom Meergeſtade herbeigeeilt kam, zuſchritt. Er brachte
die Meldung, daß ein Paar Jünglinge, wohlgefällige
Schlachtopfer der Göttin Artemis, am Ufer gelandet
ſeyen. „Bereite nur, erhabene Prieſterin,“ ſprach er,
„je eher je lieber das heilige Waſſerbad, und ſchicke dich
zu dem Werke an!“ — „Was für Landsleute ſind die

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[47/0069] „Ey,“ erwiederte Pylades, „das wäre wahrlich das erſtemal, daß wir mit einander die Flucht ergriffen! Heilig ſoll uns der Ausſpruch Apollo's ſeyn! doch, wahr iſts, fort müſſen wir von dieſem Tempel! das Klügſte iſt, wir verbergen uns in den dunkeln Grotten, die das Meer beſpült, ferne von unſrem Fahrzeug, damit Keiner, der es erblickt, dem Herrſcher dieſes Landes von uns melden könne, und wir nicht von Waffengewalt, die ge¬ gen uns ausgeſendet wird, übermannt werden. Wenn aber dann die Nacht anbricht, dann laß uns friſch ans Werk ſchreiten. Die Lage des Tempels kennen wir nun ſchon; irgend eine Liſt wird uns ins Innere des Tem¬ pelraumes führen, und haben wir das Götterbild einmal auf den Armen, ſo iſt mir vor dem Rückwege nicht mehr bange. Tapfre ſtürzen ſich muthig in die Gefahr! haben wir rudernd nicht einen unermeßlichen Weg zu¬ rückgelegt? Nun wäre es doch ſchmählich, wenn wir am Ziele umkehrten, und ohne die Beute, die der Gott uns bezeichnet hat, heimkehrten!“ „Wohlgeſprochen,“ rief Oreſtes, „es geſchehe, wie du räthſt! Wir wollen uns verbergen, bis der Tag vor¬ über iſt, die Nacht kröne unſer Werk!“ Die Sonne ſtand ſchon höher am Himmel, als auf die Prieſterin Diana's, die an der Schwelle ihres Tem¬ pels ſtand, ein Rinderhirte, der mit ſchnellen Schritten vom Meergeſtade herbeigeeilt kam, zuſchritt. Er brachte die Meldung, daß ein Paar Jünglinge, wohlgefällige Schlachtopfer der Göttin Artemis, am Ufer gelandet ſeyen. „Bereite nur, erhabene Prieſterin,“ ſprach er, „je eher je lieber das heilige Waſſerbad, und ſchicke dich zu dem Werke an!“ — „Was für Landsleute ſind die

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/69>, abgerufen am 24.11.2024.