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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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ihm Hoffnung und Muth mit den Worten ein: "Unglück¬
licher Sohn, sey getrost. Ich werde dich nicht verrathen;
mag ich nahe, oder ferne seyn, so bin ich dein Wächter,
und nie werde ich deinen Feindinnen feige weichen! Du
siehest auch, wie dort draussen die grauenvollen, alten
Mägde, deren Umgang Götter, Menschen und selbst Thiere
scheuen, die sonst tief drunten in den Finsternissen des
Tartarus wohnen, vom bleiernen Schlafe durch mich ge¬
bändiget, meinem Tempel ferne liegen. Dennoch verlaß
dich nicht auf ihren Schlummer; er wird nicht lange
dauern, denn mir ist immer nur kurze Macht über die
greisen Göttinnen vom Schicksale verliehen. Deßwegen
mußt du bald wieder auf die Flucht; doch sollst du nicht
länger ohne Ziel umher irren. Richte vielmehr deine
Schritte nach Athen, der ehrwürdigen alten Stadt mei¬
ner Schwester Pallas Athene; dort will ich dir für ein
gerechtes Gericht sorgen, vor welchem du deine Stimme
erheben und deine gute Sache vertheidigen kannst. Keine
Furcht soll dich darum bekümmern; ich selbst scheide jetzt
von dir, aber mein Bruder Hermes (Merkurius) wird
dich bewachen und sorgen, daß mein Schützling nicht
verletzt werde."

So sprach Apollo. Noch bevor er jedoch seinen
Tempel und den Orestes verließ, war das Schattenbild
Klytämnestra's im Traum vor die Seelen der schlum¬
mernden Rachegöttinnen getreten, und hatte ihnen die
zornigen Worte zugehaucht: "Ists auch recht, daß ihr
schlafet? Bin ich so ganz von Euch verlassen, daß ich
ungerächt in der Nacht der Unterwelt umherirren muß?
Das Gräßlichste habe ich von meinen nächsten Bluts¬
verwandten erduldet, und kein Gott zürnt darüber, daß

ihm Hoffnung und Muth mit den Worten ein: „Unglück¬
licher Sohn, ſey getroſt. Ich werde dich nicht verrathen;
mag ich nahe, oder ferne ſeyn, ſo bin ich dein Wächter,
und nie werde ich deinen Feindinnen feige weichen! Du
ſieheſt auch, wie dort drauſſen die grauenvollen, alten
Mägde, deren Umgang Götter, Menſchen und ſelbſt Thiere
ſcheuen, die ſonſt tief drunten in den Finſterniſſen des
Tartarus wohnen, vom bleiernen Schlafe durch mich ge¬
bändiget, meinem Tempel ferne liegen. Dennoch verlaß
dich nicht auf ihren Schlummer; er wird nicht lange
dauern, denn mir iſt immer nur kurze Macht über die
greiſen Göttinnen vom Schickſale verliehen. Deßwegen
mußt du bald wieder auf die Flucht; doch ſollſt du nicht
länger ohne Ziel umher irren. Richte vielmehr deine
Schritte nach Athen, der ehrwürdigen alten Stadt mei¬
ner Schweſter Pallas Athene; dort will ich dir für ein
gerechtes Gericht ſorgen, vor welchem du deine Stimme
erheben und deine gute Sache vertheidigen kannſt. Keine
Furcht ſoll dich darum bekümmern; ich ſelbſt ſcheide jetzt
von dir, aber mein Bruder Hermes (Merkurius) wird
dich bewachen und ſorgen, daß mein Schützling nicht
verletzt werde.“

So ſprach Apollo. Noch bevor er jedoch ſeinen
Tempel und den Oreſtes verließ, war das Schattenbild
Klytämneſtra's im Traum vor die Seelen der ſchlum¬
mernden Rachegöttinnen getreten, und hatte ihnen die
zornigen Worte zugehaucht: „Iſts auch recht, daß ihr
ſchlafet? Bin ich ſo ganz von Euch verlaſſen, daß ich
ungerächt in der Nacht der Unterwelt umherirren muß?
Das Gräßlichſte habe ich von meinen nächſten Bluts¬
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[31/0053] ihm Hoffnung und Muth mit den Worten ein: „Unglück¬ licher Sohn, ſey getroſt. Ich werde dich nicht verrathen; mag ich nahe, oder ferne ſeyn, ſo bin ich dein Wächter, und nie werde ich deinen Feindinnen feige weichen! Du ſieheſt auch, wie dort drauſſen die grauenvollen, alten Mägde, deren Umgang Götter, Menſchen und ſelbſt Thiere ſcheuen, die ſonſt tief drunten in den Finſterniſſen des Tartarus wohnen, vom bleiernen Schlafe durch mich ge¬ bändiget, meinem Tempel ferne liegen. Dennoch verlaß dich nicht auf ihren Schlummer; er wird nicht lange dauern, denn mir iſt immer nur kurze Macht über die greiſen Göttinnen vom Schickſale verliehen. Deßwegen mußt du bald wieder auf die Flucht; doch ſollſt du nicht länger ohne Ziel umher irren. Richte vielmehr deine Schritte nach Athen, der ehrwürdigen alten Stadt mei¬ ner Schweſter Pallas Athene; dort will ich dir für ein gerechtes Gericht ſorgen, vor welchem du deine Stimme erheben und deine gute Sache vertheidigen kannſt. Keine Furcht ſoll dich darum bekümmern; ich ſelbſt ſcheide jetzt von dir, aber mein Bruder Hermes (Merkurius) wird dich bewachen und ſorgen, daß mein Schützling nicht verletzt werde.“ So ſprach Apollo. Noch bevor er jedoch ſeinen Tempel und den Oreſtes verließ, war das Schattenbild Klytämneſtra's im Traum vor die Seelen der ſchlum¬ mernden Rachegöttinnen getreten, und hatte ihnen die zornigen Worte zugehaucht: „Iſts auch recht, daß ihr ſchlafet? Bin ich ſo ganz von Euch verlaſſen, daß ich ungerächt in der Nacht der Unterwelt umherirren muß? Das Gräßlichſte habe ich von meinen nächſten Bluts¬ verwandten erduldet, und kein Gott zürnt darüber, daß

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/53>, abgerufen am 24.11.2024.