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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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kinder, Töchter der Rache, mit Schlangengürteln und
Windesflügeln, Diren genannt, stehen immer vor Jupi¬
ters Throne bereit, und werden von ihm zu den Sterb¬
lichen hinabgesandt, wenn er Seuchen, Krieg und andere
Todesnoth unter ihnen erregen will. Eine von diesen
schickte Jupiter vom Aether herab, und befahl ihr, der
Nymphe als ein unheilbringendes Zeichen zu begegnen.
Die Dire flog zur Erde hinab, wie ein Pfeil, und so¬
bald sie die beiden feindlichen Heere erblickte, zog sie sich
schnell in die Gestalt eines kleinen Käuzchens zusammen,
wie es als Unglücksvogel auf Scheiterhaufen oder ver¬
lassenen Häusergiebeln zu sitzen pflegt. In dieser Gestalt um¬
flatterte die Dire das Angesicht des Turnus, kreiste her¬
nieder zu seinem Schild und schlug auch diesen mit den
Fittigen. Dem kämpfenden Helden sträubte sich das
Haupthaar und seine Glieder erstarrten bei diesem un¬
heilvollen Anblicke. Juturna aber raufte sich das Haar
aus und schlug sich an die Brust, denn sie erkannte die
Uebermacht Jupiters und fluchte ihrer eigenen Unsterb¬
lichkeit. Sie bedeckte sich den Leib mit dem grünen Flu¬
thengewande und tauchte verzweifelnd in den nahen Ti¬
berstrom unter.

Aeneas drang jetzt heran, schüttelte seinen baum¬
langen Speer voll Wuth und rief dem Gegner zu:
"Was zögerst du noch Turnus, was sträubest du dich
länger? Nicht zum Wettkampfe haben wir uns vereinigt,
sondern zum Waffenkampf! Sammle jetzt, was du von
Kunst und Muth besitzest!" Turnus schüttelte das Haupt
und entgegnete: "Nicht deine hitzigen Worte schrecken
mich, du Trotziger: mich schreckt das Götterzeichen und
die Feindschaft Jupiters!" Mehr sprach er nicht, sondern

kinder, Töchter der Rache, mit Schlangengürteln und
Windesflügeln, Diren genannt, ſtehen immer vor Jupi¬
ters Throne bereit, und werden von ihm zu den Sterb¬
lichen hinabgeſandt, wenn er Seuchen, Krieg und andere
Todesnoth unter ihnen erregen will. Eine von dieſen
ſchickte Jupiter vom Aether herab, und befahl ihr, der
Nymphe als ein unheilbringendes Zeichen zu begegnen.
Die Dire flog zur Erde hinab, wie ein Pfeil, und ſo¬
bald ſie die beiden feindlichen Heere erblickte, zog ſie ſich
ſchnell in die Geſtalt eines kleinen Käuzchens zuſammen,
wie es als Unglücksvogel auf Scheiterhaufen oder ver¬
laſſenen Häuſergiebeln zu ſitzen pflegt. In dieſer Geſtalt um¬
flatterte die Dire das Angeſicht des Turnus, kreiſte her¬
nieder zu ſeinem Schild und ſchlug auch dieſen mit den
Fittigen. Dem kämpfenden Helden ſträubte ſich das
Haupthaar und ſeine Glieder erſtarrten bei dieſem un¬
heilvollen Anblicke. Juturna aber raufte ſich das Haar
aus und ſchlug ſich an die Bruſt, denn ſie erkannte die
Uebermacht Jupiters und fluchte ihrer eigenen Unſterb¬
lichkeit. Sie bedeckte ſich den Leib mit dem grünen Flu¬
thengewande und tauchte verzweifelnd in den nahen Ti¬
berſtrom unter.

Aeneas drang jetzt heran, ſchüttelte ſeinen baum¬
langen Speer voll Wuth und rief dem Gegner zu:
„Was zögerſt du noch Turnus, was ſträubeſt du dich
länger? Nicht zum Wettkampfe haben wir uns vereinigt,
ſondern zum Waffenkampf! Sammle jetzt, was du von
Kunſt und Muth beſitzeſt!“ Turnus ſchüttelte das Haupt
und entgegnete: „Nicht deine hitzigen Worte ſchrecken
mich, du Trotziger: mich ſchreckt das Götterzeichen und
die Feindſchaft Jupiters!“ Mehr ſprach er nicht, ſondern

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[438/0460] kinder, Töchter der Rache, mit Schlangengürteln und Windesflügeln, Diren genannt, ſtehen immer vor Jupi¬ ters Throne bereit, und werden von ihm zu den Sterb¬ lichen hinabgeſandt, wenn er Seuchen, Krieg und andere Todesnoth unter ihnen erregen will. Eine von dieſen ſchickte Jupiter vom Aether herab, und befahl ihr, der Nymphe als ein unheilbringendes Zeichen zu begegnen. Die Dire flog zur Erde hinab, wie ein Pfeil, und ſo¬ bald ſie die beiden feindlichen Heere erblickte, zog ſie ſich ſchnell in die Geſtalt eines kleinen Käuzchens zuſammen, wie es als Unglücksvogel auf Scheiterhaufen oder ver¬ laſſenen Häuſergiebeln zu ſitzen pflegt. In dieſer Geſtalt um¬ flatterte die Dire das Angeſicht des Turnus, kreiſte her¬ nieder zu ſeinem Schild und ſchlug auch dieſen mit den Fittigen. Dem kämpfenden Helden ſträubte ſich das Haupthaar und ſeine Glieder erſtarrten bei dieſem un¬ heilvollen Anblicke. Juturna aber raufte ſich das Haar aus und ſchlug ſich an die Bruſt, denn ſie erkannte die Uebermacht Jupiters und fluchte ihrer eigenen Unſterb¬ lichkeit. Sie bedeckte ſich den Leib mit dem grünen Flu¬ thengewande und tauchte verzweifelnd in den nahen Ti¬ berſtrom unter. Aeneas drang jetzt heran, ſchüttelte ſeinen baum¬ langen Speer voll Wuth und rief dem Gegner zu: „Was zögerſt du noch Turnus, was ſträubeſt du dich länger? Nicht zum Wettkampfe haben wir uns vereinigt, ſondern zum Waffenkampf! Sammle jetzt, was du von Kunſt und Muth beſitzeſt!“ Turnus ſchüttelte das Haupt und entgegnete: „Nicht deine hitzigen Worte ſchrecken mich, du Trotziger: mich ſchreckt das Götterzeichen und die Feindſchaft Jupiters!“ Mehr ſprach er nicht, ſondern

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/460>, abgerufen am 25.11.2024.