mit ihr selbst zu vollführen, und den Missethäter Aegis¬ thus zu tödten. "Besinne dich," sprach sie, "du hast das Leben und sein Glück lieb, Chrysothemis! Nun hoffe nur nicht, daß Aegisthus je gestatten werde, daß wir uns vermählen, und des Agamemnons Geschlecht, ihm und den Seinigen zur Rache, aus uns erneut hervor¬ sprosse. Willst du aber meinem Rathschlage gehorchen, so verdienst du dir den Ruhm der Treue um Vater und Bruder, wirst in Zukunft frei herangewachsen leben, wirst durch einen würdigen Ehebund beglückt werden. Denn wer sähe sich nicht gerne nach einer so edlen Toch¬ ter um? dazu wird alle Welt uns zwei Geschwister prei¬ sen, am Festmahl und in der Volksversammlung werden wir für unsere Mannesthat nichts als Ehre ärnten! da¬ rum folge mir, du Liebe! hilf dem Vater, dem Bruder; rette mich, rette dich selbst aus der Noth! Bedenke doch, wie ein schimpfliches Leben Edelgeborene schändet!"
Aber Chrysothemis fand den Vorschlag der plötzlich begeisterten Schwester unvorsichtig, unklug, unausführ¬ bar. "Auf was vertrauest du denn," fragte sie. "Hast du Männerfaust und bist nicht ein Weib? Stehest du nicht den mächtigsten Feinden, deren Glück von Tage zu Tage sich fester begründet, gegenüber? Wahr ists, wir leiden Hartes; aber, siehe zu, daß wir uns nicht noch Unerträglicheres zuziehen. Einen schönen Ruf können wir freilich gewinnen; aber nur durch einen schmählichen Tod! Und vielleicht ist Sterben nicht das Schlimmste, und es würde uns noch Schnöderes zu Theil als der Tod. Drum, ehe wir so rettungslos verderben, laß dich erflehen, Schwester, bezwing' deinen Unmuth! Was du mir anver¬ traut hast, will ich als das tiefste Geheimniß bewahren!"
mit ihr ſelbſt zu vollführen, und den Miſſethäter Aegis¬ thus zu tödten. „Beſinne dich,“ ſprach ſie, „du haſt das Leben und ſein Glück lieb, Chryſothemis! Nun hoffe nur nicht, daß Aegiſthus je geſtatten werde, daß wir uns vermählen, und des Agamemnons Geſchlecht, ihm und den Seinigen zur Rache, aus uns erneut hervor¬ ſproſſe. Willſt du aber meinem Rathſchlage gehorchen, ſo verdienſt du dir den Ruhm der Treue um Vater und Bruder, wirſt in Zukunft frei herangewachſen leben, wirſt durch einen würdigen Ehebund beglückt werden. Denn wer ſähe ſich nicht gerne nach einer ſo edlen Toch¬ ter um? dazu wird alle Welt uns zwei Geſchwiſter prei¬ ſen, am Feſtmahl und in der Volksverſammlung werden wir für unſere Mannesthat nichts als Ehre ärnten! da¬ rum folge mir, du Liebe! hilf dem Vater, dem Bruder; rette mich, rette dich ſelbſt aus der Noth! Bedenke doch, wie ein ſchimpfliches Leben Edelgeborene ſchändet!“
Aber Chryſothemis fand den Vorſchlag der plötzlich begeiſterten Schweſter unvorſichtig, unklug, unausführ¬ bar. „Auf was vertraueſt du denn,“ fragte ſie. „Haſt du Männerfauſt und biſt nicht ein Weib? Steheſt du nicht den mächtigſten Feinden, deren Glück von Tage zu Tage ſich feſter begründet, gegenüber? Wahr iſts, wir leiden Hartes; aber, ſiehe zu, daß wir uns nicht noch Unerträglicheres zuziehen. Einen ſchönen Ruf können wir freilich gewinnen; aber nur durch einen ſchmählichen Tod! Und vielleicht iſt Sterben nicht das Schlimmſte, und es würde uns noch Schnöderes zu Theil als der Tod. Drum, ehe wir ſo rettungslos verderben, laß dich erflehen, Schweſter, bezwing' deinen Unmuth! Was du mir anver¬ traut haſt, will ich als das tiefſte Geheimniß bewahren!“
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mit ihr ſelbſt zu vollführen, und den Miſſethäter Aegis¬
thus zu tödten. „Beſinne dich,“ ſprach ſie, „du haſt das
Leben und ſein Glück lieb, Chryſothemis! Nun hoffe
nur nicht, daß Aegiſthus je geſtatten werde, daß wir
uns vermählen, und des Agamemnons Geſchlecht, ihm
und den Seinigen zur Rache, aus uns erneut hervor¬
ſproſſe. Willſt du aber meinem Rathſchlage gehorchen,
ſo verdienſt du dir den Ruhm der Treue um Vater und
Bruder, wirſt in Zukunft frei herangewachſen leben,
wirſt durch einen würdigen Ehebund beglückt werden.
Denn wer ſähe ſich nicht gerne nach einer ſo edlen Toch¬
ter um? dazu wird alle Welt uns zwei Geſchwiſter prei¬
ſen, am Feſtmahl und in der Volksverſammlung werden
wir für unſere Mannesthat nichts als Ehre ärnten! da¬
rum folge mir, du Liebe! hilf dem Vater, dem Bruder;
rette mich, rette dich ſelbſt aus der Noth! Bedenke doch,
wie ein ſchimpfliches Leben Edelgeborene ſchändet!“
Aber Chryſothemis fand den Vorſchlag der plötzlich
begeiſterten Schweſter unvorſichtig, unklug, unausführ¬
bar. „Auf was vertraueſt du denn,“ fragte ſie. „Haſt
du Männerfauſt und biſt nicht ein Weib? Steheſt du
nicht den mächtigſten Feinden, deren Glück von Tage zu
Tage ſich feſter begründet, gegenüber? Wahr iſts, wir
leiden Hartes; aber, ſiehe zu, daß wir uns nicht noch
Unerträglicheres zuziehen. Einen ſchönen Ruf können wir
freilich gewinnen; aber nur durch einen ſchmählichen Tod!
Und vielleicht iſt Sterben nicht das Schlimmſte, und es
würde uns noch Schnöderes zu Theil als der Tod.
Drum, ehe wir ſo rettungslos verderben, laß dich erflehen,
Schweſter, bezwing' deinen Unmuth! Was du mir anver¬
traut haſt, will ich als das tiefſte Geheimniß bewahren!“
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/46>, abgerufen am 22.11.2024.
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