Königin ist durch eigene Hand gefallen, nur Messapus und Atinas halten das Treffen noch an den Thoren auf." Turnus hielt die Rosse wieder an und starrte, zwischen Schaam, Kummer, und rasende Liebe getheilt, in die Weite mit den irren Blicken hinaus. Endlich rollten seine Augen wieder in ihren Kreisen und seine Blicke fielen auf die Latinerstadt. Siehe, dort wallte von Stockwerk zu Stockwerk des höchsten hölzernen Mauerthurmes die Feuer¬ säule des Brandes empor, jenes Thurmes, den er selbst aus riesigen Balken gezimmert, auf Räder gesetzt und durch mächtige Zugbrücken mit der Stadt verbunden hatte. "Jetzt, Schwester," rief er, "jetzt besiegt uns das Glück; halte mich nicht länger auf; laß uns folgen, wohin das strenge Geschick mich ruft! Ich bin ent¬ schlossen mit Aeneas zu kämpfen; mag kommen, was da will, ruhmlos sollst du mich nicht sehen!"
So sprach er, sprang vom Wagen auf die Erde, stürzte durch die Lanzen der Feinde dahin und durch¬ brach, die trauernde Schwester zurücklassend, die Schaaren der Trojaner. Wie ein Felsblock, vom Gipfel des Gebirges losgerissen, in die Tiefe hinabrollt, vom Boden emporhüpft, Wälder, Heerden und Männer im Sturze mit sich fortreißt: so stürmte Turnus durch die zersprengten Reitergeschwader heran zu den Stadtmauern, wo der Kampf am dichtesten war, winkte mit der Hand und begann laut zu rufen: "Hört auf zu kämpfen, Ru¬ tuler! Hemmt eure Geschoße, ihr Latiner! Mir allein gebührt sich, mit den Waffen über das Bündniß zu ent¬ scheiden!" Als die Streitenden dieses hörten, entstand eine Gasse, und Aeneas, der den Ruf des Turnus ver¬ nommen hatte, verließ die Höhen, brach jedes andere
Schwab, das klass. Alterthum. III. 28
Königin iſt durch eigene Hand gefallen, nur Meſſapus und Atinas halten das Treffen noch an den Thoren auf.“ Turnus hielt die Roſſe wieder an und ſtarrte, zwiſchen Schaam, Kummer, und raſende Liebe getheilt, in die Weite mit den irren Blicken hinaus. Endlich rollten ſeine Augen wieder in ihren Kreiſen und ſeine Blicke fielen auf die Latinerſtadt. Siehe, dort wallte von Stockwerk zu Stockwerk des höchſten hölzernen Mauerthurmes die Feuer¬ ſäule des Brandes empor, jenes Thurmes, den er ſelbſt aus rieſigen Balken gezimmert, auf Räder geſetzt und durch mächtige Zugbrücken mit der Stadt verbunden hatte. „Jetzt, Schweſter,“ rief er, „jetzt beſiegt uns das Glück; halte mich nicht länger auf; laß uns folgen, wohin das ſtrenge Geſchick mich ruft! Ich bin ent¬ ſchloſſen mit Aeneas zu kämpfen; mag kommen, was da will, ruhmlos ſollſt du mich nicht ſehen!“
So ſprach er, ſprang vom Wagen auf die Erde, ſtürzte durch die Lanzen der Feinde dahin und durch¬ brach, die trauernde Schweſter zurücklaſſend, die Schaaren der Trojaner. Wie ein Felsblock, vom Gipfel des Gebirges losgeriſſen, in die Tiefe hinabrollt, vom Boden emporhüpft, Wälder, Heerden und Männer im Sturze mit ſich fortreißt: ſo ſtürmte Turnus durch die zerſprengten Reitergeſchwader heran zu den Stadtmauern, wo der Kampf am dichteſten war, winkte mit der Hand und begann laut zu rufen: „Hört auf zu kämpfen, Ru¬ tuler! Hemmt eure Geſchoße, ihr Latiner! Mir allein gebührt ſich, mit den Waffen über das Bündniß zu ent¬ ſcheiden!“ Als die Streitenden dieſes hörten, entſtand eine Gaſſe, und Aeneas, der den Ruf des Turnus ver¬ nommen hatte, verließ die Höhen, brach jedes andere
Schwab, das klaſſ. Alterthum. III. 28
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0455"n="433"/>
Königin iſt durch eigene Hand gefallen, nur Meſſapus<lb/>
und Atinas halten das Treffen noch an den Thoren auf.“<lb/>
Turnus hielt die Roſſe wieder an und ſtarrte, zwiſchen<lb/>
Schaam, Kummer, und raſende Liebe getheilt, in die<lb/>
Weite mit den irren Blicken hinaus. Endlich rollten<lb/>ſeine Augen wieder in ihren Kreiſen und ſeine Blicke fielen<lb/>
auf die Latinerſtadt. Siehe, dort wallte von Stockwerk zu<lb/>
Stockwerk des höchſten hölzernen Mauerthurmes die Feuer¬<lb/>ſäule des Brandes empor, jenes Thurmes, den er ſelbſt<lb/>
aus rieſigen Balken gezimmert, auf Räder geſetzt<lb/>
und durch mächtige Zugbrücken mit der Stadt verbunden<lb/>
hatte. „Jetzt, Schweſter,“ rief er, „jetzt beſiegt uns das<lb/>
Glück; halte mich nicht länger auf; laß uns folgen,<lb/>
wohin das ſtrenge Geſchick mich ruft! Ich bin ent¬<lb/>ſchloſſen mit Aeneas zu kämpfen; mag kommen, was da<lb/>
will, ruhmlos ſollſt du mich nicht ſehen!“</p><lb/><p>So ſprach er, ſprang vom Wagen auf die Erde,<lb/>ſtürzte durch die Lanzen der Feinde dahin und durch¬<lb/>
brach, die trauernde Schweſter zurücklaſſend, die<lb/>
Schaaren der Trojaner. Wie ein Felsblock, vom Gipfel<lb/>
des Gebirges losgeriſſen, in die Tiefe hinabrollt, vom<lb/>
Boden emporhüpft, Wälder, Heerden und Männer im<lb/>
Sturze mit ſich fortreißt: ſo ſtürmte Turnus durch die<lb/>
zerſprengten Reitergeſchwader heran zu den Stadtmauern,<lb/>
wo der Kampf am dichteſten war, winkte mit der Hand<lb/>
und begann laut zu rufen: „Hört auf zu kämpfen, Ru¬<lb/>
tuler! Hemmt eure Geſchoße, ihr Latiner! Mir allein<lb/>
gebührt ſich, mit den Waffen über das Bündniß zu ent¬<lb/>ſcheiden!“ Als die Streitenden dieſes hörten, entſtand<lb/>
eine Gaſſe, und Aeneas, der den Ruf des Turnus ver¬<lb/>
nommen hatte, verließ die Höhen, brach jedes andere<lb/><fwtype="sig"place="bottom"><hirendition="#g">Schwab</hi>, das klaſſ. Alterthum. <hirendition="#aq">III</hi>. 28<lb/></fw></p></div></div></div></body></text></TEI>
[433/0455]
Königin iſt durch eigene Hand gefallen, nur Meſſapus
und Atinas halten das Treffen noch an den Thoren auf.“
Turnus hielt die Roſſe wieder an und ſtarrte, zwiſchen
Schaam, Kummer, und raſende Liebe getheilt, in die
Weite mit den irren Blicken hinaus. Endlich rollten
ſeine Augen wieder in ihren Kreiſen und ſeine Blicke fielen
auf die Latinerſtadt. Siehe, dort wallte von Stockwerk zu
Stockwerk des höchſten hölzernen Mauerthurmes die Feuer¬
ſäule des Brandes empor, jenes Thurmes, den er ſelbſt
aus rieſigen Balken gezimmert, auf Räder geſetzt
und durch mächtige Zugbrücken mit der Stadt verbunden
hatte. „Jetzt, Schweſter,“ rief er, „jetzt beſiegt uns das
Glück; halte mich nicht länger auf; laß uns folgen,
wohin das ſtrenge Geſchick mich ruft! Ich bin ent¬
ſchloſſen mit Aeneas zu kämpfen; mag kommen, was da
will, ruhmlos ſollſt du mich nicht ſehen!“
So ſprach er, ſprang vom Wagen auf die Erde,
ſtürzte durch die Lanzen der Feinde dahin und durch¬
brach, die trauernde Schweſter zurücklaſſend, die
Schaaren der Trojaner. Wie ein Felsblock, vom Gipfel
des Gebirges losgeriſſen, in die Tiefe hinabrollt, vom
Boden emporhüpft, Wälder, Heerden und Männer im
Sturze mit ſich fortreißt: ſo ſtürmte Turnus durch die
zerſprengten Reitergeſchwader heran zu den Stadtmauern,
wo der Kampf am dichteſten war, winkte mit der Hand
und begann laut zu rufen: „Hört auf zu kämpfen, Ru¬
tuler! Hemmt eure Geſchoße, ihr Latiner! Mir allein
gebührt ſich, mit den Waffen über das Bündniß zu ent¬
ſcheiden!“ Als die Streitenden dieſes hörten, entſtand
eine Gaſſe, und Aeneas, der den Ruf des Turnus ver¬
nommen hatte, verließ die Höhen, brach jedes andere
Schwab, das klaſſ. Alterthum. III. 28
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/455>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.