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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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Aber keine Worte vermochten den Rutuler umzu¬
stimmen, ja er wurde durch diese sanfte Rede nur noch
wilder gestimmt. Nicht einmal die Bitten, die Thränen
und Umarmungen der Königin wirkten auf sein Herz.
Da kam endlich, von den Wehklagen ihrer Mutter
aufgeschreckt, auch seine Braut Lavinia herbeigeeilt.
Thränen rannen ihr über die heißen Wangen, und die
große Verschämtheit jagte ihr Glut über das Angesicht.
Wie Elfenbein von Purpur überlaufen, wie Lilienschnee
von Rosen angeschimmert -- so spielten die Farben auf
ihrem jungfräulichen Antlitz. Turnus heftete einen
Blick auf die Geliebte, und seine Gedanken verwirrten
sich einen Augenblick; aber die Hoffnung, den verhaßten
Nebenbuhler zu besiegen, entflammte ihn noch mehr zum
Streit und er sprach zu der Königin gewendet: "Mut¬
ter, ich bitte dich, verfolge mich nicht mit deinen
Thränen, mit deiner bangen Ahnung; Turnus hat keine
Wahl mehr!" dann rief er einen seiner Streitgenossen
und sagte zu ihm: "Du, Idmon, eile zum trojanischen
Führer, und verkündige ihm ein Wort, das ihn nicht
freuen wird. Er soll am nächsten Morgen seine Troja¬
ner nicht zum Streite führen, wie ich meine Rutuler
nicht: wir lassen die Heere von allem Streite ruhen,
aber wir beide, sobald die Sonne am Himmel aufge¬
gangen ist, wollen mit unserem Blute den Krieg ent¬
scheiden, nur auf diese Weise soll das Schlachtfeld be¬
stimmen, wem Lavinia als Gattin folgen wird."

Nun ließ Turnus, ins Innere der Burg zurückge¬
kehrt, seine schneeweißen, windschnellen Rosse vorführen,
wappnete sich, ergriff die unbesiegte Lanze und übte

Aber keine Worte vermochten den Rutuler umzu¬
ſtimmen, ja er wurde durch dieſe ſanfte Rede nur noch
wilder geſtimmt. Nicht einmal die Bitten, die Thränen
und Umarmungen der Königin wirkten auf ſein Herz.
Da kam endlich, von den Wehklagen ihrer Mutter
aufgeſchreckt, auch ſeine Braut Lavinia herbeigeeilt.
Thränen rannen ihr über die heißen Wangen, und die
große Verſchämtheit jagte ihr Glut über das Angeſicht.
Wie Elfenbein von Purpur überlaufen, wie Lilienſchnee
von Roſen angeſchimmert — ſo ſpielten die Farben auf
ihrem jungfräulichen Antlitz. Turnus heftete einen
Blick auf die Geliebte, und ſeine Gedanken verwirrten
ſich einen Augenblick; aber die Hoffnung, den verhaßten
Nebenbuhler zu beſiegen, entflammte ihn noch mehr zum
Streit und er ſprach zu der Königin gewendet: „Mut¬
ter, ich bitte dich, verfolge mich nicht mit deinen
Thränen, mit deiner bangen Ahnung; Turnus hat keine
Wahl mehr!“ dann rief er einen ſeiner Streitgenoſſen
und ſagte zu ihm: „Du, Idmon, eile zum trojaniſchen
Führer, und verkündige ihm ein Wort, das ihn nicht
freuen wird. Er ſoll am nächſten Morgen ſeine Troja¬
ner nicht zum Streite führen, wie ich meine Rutuler
nicht: wir laſſen die Heere von allem Streite ruhen,
aber wir beide, ſobald die Sonne am Himmel aufge¬
gangen iſt, wollen mit unſerem Blute den Krieg ent¬
ſcheiden, nur auf dieſe Weiſe ſoll das Schlachtfeld be¬
ſtimmen, wem Lavinia als Gattin folgen wird.“

Nun ließ Turnus, ins Innere der Burg zurückge¬
kehrt, ſeine ſchneeweißen, windſchnellen Roſſe vorführen,
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[422/0444] Aber keine Worte vermochten den Rutuler umzu¬ ſtimmen, ja er wurde durch dieſe ſanfte Rede nur noch wilder geſtimmt. Nicht einmal die Bitten, die Thränen und Umarmungen der Königin wirkten auf ſein Herz. Da kam endlich, von den Wehklagen ihrer Mutter aufgeſchreckt, auch ſeine Braut Lavinia herbeigeeilt. Thränen rannen ihr über die heißen Wangen, und die große Verſchämtheit jagte ihr Glut über das Angeſicht. Wie Elfenbein von Purpur überlaufen, wie Lilienſchnee von Roſen angeſchimmert — ſo ſpielten die Farben auf ihrem jungfräulichen Antlitz. Turnus heftete einen Blick auf die Geliebte, und ſeine Gedanken verwirrten ſich einen Augenblick; aber die Hoffnung, den verhaßten Nebenbuhler zu beſiegen, entflammte ihn noch mehr zum Streit und er ſprach zu der Königin gewendet: „Mut¬ ter, ich bitte dich, verfolge mich nicht mit deinen Thränen, mit deiner bangen Ahnung; Turnus hat keine Wahl mehr!“ dann rief er einen ſeiner Streitgenoſſen und ſagte zu ihm: „Du, Idmon, eile zum trojaniſchen Führer, und verkündige ihm ein Wort, das ihn nicht freuen wird. Er ſoll am nächſten Morgen ſeine Troja¬ ner nicht zum Streite führen, wie ich meine Rutuler nicht: wir laſſen die Heere von allem Streite ruhen, aber wir beide, ſobald die Sonne am Himmel aufge¬ gangen iſt, wollen mit unſerem Blute den Krieg ent¬ ſcheiden, nur auf dieſe Weiſe ſoll das Schlachtfeld be¬ ſtimmen, wem Lavinia als Gattin folgen wird.“ Nun ließ Turnus, ins Innere der Burg zurückge¬ kehrt, ſeine ſchneeweißen, windſchnellen Roſſe vorführen, wappnete ſich, ergriff die unbeſiegte Lanze und übte

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/444>, abgerufen am 22.11.2024.