Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

leuchtete ihnen wie ein blutrother Komet, oder wie der pest¬
drohende Syrius, Aeneas im Schmucke seiner Götter¬
waffen entgegen: seine Helmkuppel strahlte wie ein
Brand, Glut entströmte dem Federbusch, die goldene
Schildbuckel spie weit und breit Feuerstrahlen aus.

Dennoch verließ den tollkühnen Turnus das Selbst¬
vertrauen nicht, er hoffte den landenden Feinden den
Strand durch Schnelligkeit abzugewinnen, und sie vom
Ufer zu verdringen. "Die Stunde ist gekommen," rief
er den Seinen zu, "die ihr so sehnlich herbeigewünscht
habt. Jetzt könnt ihr eure Gegner zermalmen, der
Kriegsgott selbst hat sie euch in die Hand gelegt. Denkt
eurer Weiber und Kinder, setzt den Thaten eurer Väter
die Krone auf! So lange die Schritte der Ausgestiege¬
nen noch schwanken, so lange sie noch straucheln, em¬
pfanget sie am Strande! Das Glück begünstigt die
Kühnen!"

Indessen wurden die landenden Trojaner und ihre
Bundesgenossen aus dem Schiffe des Aeneas theils auf
Brücken ans Land gesetzt, theils schwangen sie sich mit
Hülfe der Ruder an dasselbe, oder ließen sich von den
rückprallenden Wellen ans Ufer tragen. Der König
Tarchon aber, der mit der übrigen Flotte folgte, beschaute
sich das Ufer und ersah sich eine Stelle, wo das Meer
in der Mündung des Flusses nicht mit gebrochenen Wo¬
gen rauschte, nicht aus der Tiefe gährte, sondern sich
frei dem flachen Ufersande zuwälzte. Dorthin befahl er
Plötzlich die Schiffsschnäbel zu drehen und rief seinen Ge¬
nossen zu: "Jetzt, meine Freunde, rudert frisch drauf los,
bohrt euch mit den Kielen eine Furche ins Feindesland,
mag das Schiff auch scheitern, wenn es nur den Strand

leuchtete ihnen wie ein blutrother Komet, oder wie der peſt¬
drohende Syrius, Aeneas im Schmucke ſeiner Götter¬
waffen entgegen: ſeine Helmkuppel ſtrahlte wie ein
Brand, Glut entſtrömte dem Federbuſch, die goldene
Schildbuckel ſpie weit und breit Feuerſtrahlen aus.

Dennoch verließ den tollkühnen Turnus das Selbſt¬
vertrauen nicht, er hoffte den landenden Feinden den
Strand durch Schnelligkeit abzugewinnen, und ſie vom
Ufer zu verdringen. „Die Stunde iſt gekommen,“ rief
er den Seinen zu, „die ihr ſo ſehnlich herbeigewünſcht
habt. Jetzt könnt ihr eure Gegner zermalmen, der
Kriegsgott ſelbſt hat ſie euch in die Hand gelegt. Denkt
eurer Weiber und Kinder, ſetzt den Thaten eurer Väter
die Krone auf! So lange die Schritte der Ausgeſtiege¬
nen noch ſchwanken, ſo lange ſie noch ſtraucheln, em¬
pfanget ſie am Strande! Das Glück begünſtigt die
Kühnen!“

Indeſſen wurden die landenden Trojaner und ihre
Bundesgenoſſen aus dem Schiffe des Aeneas theils auf
Brücken ans Land geſetzt, theils ſchwangen ſie ſich mit
Hülfe der Ruder an daſſelbe, oder ließen ſich von den
rückprallenden Wellen ans Ufer tragen. Der König
Tarchon aber, der mit der übrigen Flotte folgte, beſchaute
ſich das Ufer und erſah ſich eine Stelle, wo das Meer
in der Mündung des Fluſſes nicht mit gebrochenen Wo¬
gen rauſchte, nicht aus der Tiefe gährte, ſondern ſich
frei dem flachen Uferſande zuwälzte. Dorthin befahl er
Plötzlich die Schiffsſchnäbel zu drehen und rief ſeinen Ge¬
noſſen zu: „Jetzt, meine Freunde, rudert friſch drauf los,
bohrt euch mit den Kielen eine Furche ins Feindesland,
mag das Schiff auch ſcheitern, wenn es nur den Strand

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0412" n="390"/>
leuchtete ihnen wie ein blutrother Komet, oder wie der pe&#x017F;<lb/>
drohende Syrius, Aeneas im Schmucke &#x017F;einer Götter¬<lb/>
waffen entgegen: &#x017F;eine Helmkuppel &#x017F;trahlte wie ein<lb/>
Brand, Glut ent&#x017F;trömte dem Federbu&#x017F;ch, die goldene<lb/>
Schildbuckel &#x017F;pie weit und breit Feuer&#x017F;trahlen aus.</p><lb/>
            <p>Dennoch verließ den tollkühnen Turnus das Selb&#x017F;<lb/>
vertrauen nicht, er hoffte den landenden Feinden den<lb/>
Strand durch Schnelligkeit abzugewinnen, und &#x017F;ie vom<lb/>
Ufer zu verdringen. &#x201E;Die Stunde i&#x017F;t gekommen,&#x201C; rief<lb/>
er den Seinen zu, &#x201E;die ihr &#x017F;o &#x017F;ehnlich herbeigewün&#x017F;cht<lb/>
habt. Jetzt könnt ihr eure Gegner zermalmen, der<lb/>
Kriegsgott &#x017F;elb&#x017F;t hat &#x017F;ie euch in die Hand gelegt. Denkt<lb/>
eurer Weiber und Kinder, &#x017F;etzt den Thaten eurer Väter<lb/>
die Krone auf! So lange die Schritte der Ausge&#x017F;tiege¬<lb/>
nen noch &#x017F;chwanken, &#x017F;o lange &#x017F;ie noch &#x017F;traucheln, em¬<lb/>
pfanget &#x017F;ie am Strande! Das Glück begün&#x017F;tigt die<lb/>
Kühnen!&#x201C;</p><lb/>
            <p>Inde&#x017F;&#x017F;en wurden die landenden Trojaner und ihre<lb/>
Bundesgeno&#x017F;&#x017F;en aus dem Schiffe des Aeneas theils auf<lb/>
Brücken ans Land ge&#x017F;etzt, theils &#x017F;chwangen &#x017F;ie &#x017F;ich mit<lb/>
Hülfe der Ruder an da&#x017F;&#x017F;elbe, oder ließen &#x017F;ich von den<lb/>
rückprallenden Wellen ans Ufer tragen. Der König<lb/>
Tarchon aber, der mit der übrigen Flotte folgte, be&#x017F;chaute<lb/>
&#x017F;ich das Ufer und er&#x017F;ah &#x017F;ich eine Stelle, wo das Meer<lb/>
in der Mündung des Flu&#x017F;&#x017F;es nicht mit gebrochenen Wo¬<lb/>
gen rau&#x017F;chte, nicht aus der Tiefe gährte, &#x017F;ondern &#x017F;ich<lb/>
frei dem flachen Ufer&#x017F;ande zuwälzte. Dorthin befahl er<lb/>
Plötzlich die Schiffs&#x017F;chnäbel zu drehen und rief &#x017F;einen Ge¬<lb/>
no&#x017F;&#x017F;en zu: &#x201E;Jetzt, meine Freunde, rudert fri&#x017F;ch drauf los,<lb/>
bohrt euch mit den Kielen eine Furche ins Feindesland,<lb/>
mag das Schiff auch &#x017F;cheitern, wenn es nur den Strand<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[390/0412] leuchtete ihnen wie ein blutrother Komet, oder wie der peſt¬ drohende Syrius, Aeneas im Schmucke ſeiner Götter¬ waffen entgegen: ſeine Helmkuppel ſtrahlte wie ein Brand, Glut entſtrömte dem Federbuſch, die goldene Schildbuckel ſpie weit und breit Feuerſtrahlen aus. Dennoch verließ den tollkühnen Turnus das Selbſt¬ vertrauen nicht, er hoffte den landenden Feinden den Strand durch Schnelligkeit abzugewinnen, und ſie vom Ufer zu verdringen. „Die Stunde iſt gekommen,“ rief er den Seinen zu, „die ihr ſo ſehnlich herbeigewünſcht habt. Jetzt könnt ihr eure Gegner zermalmen, der Kriegsgott ſelbſt hat ſie euch in die Hand gelegt. Denkt eurer Weiber und Kinder, ſetzt den Thaten eurer Väter die Krone auf! So lange die Schritte der Ausgeſtiege¬ nen noch ſchwanken, ſo lange ſie noch ſtraucheln, em¬ pfanget ſie am Strande! Das Glück begünſtigt die Kühnen!“ Indeſſen wurden die landenden Trojaner und ihre Bundesgenoſſen aus dem Schiffe des Aeneas theils auf Brücken ans Land geſetzt, theils ſchwangen ſie ſich mit Hülfe der Ruder an daſſelbe, oder ließen ſich von den rückprallenden Wellen ans Ufer tragen. Der König Tarchon aber, der mit der übrigen Flotte folgte, beſchaute ſich das Ufer und erſah ſich eine Stelle, wo das Meer in der Mündung des Fluſſes nicht mit gebrochenen Wo¬ gen rauſchte, nicht aus der Tiefe gährte, ſondern ſich frei dem flachen Uferſande zuwälzte. Dorthin befahl er Plötzlich die Schiffsſchnäbel zu drehen und rief ſeinen Ge¬ noſſen zu: „Jetzt, meine Freunde, rudert friſch drauf los, bohrt euch mit den Kielen eine Furche ins Feindesland, mag das Schiff auch ſcheitern, wenn es nur den Strand

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/412
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/412>, abgerufen am 22.11.2024.