das Volk der Trojaner in fremden Stämmen sich ver¬ lieren zu lassen, schien ihr gekommen. Sie suchte ihre Tochter Venus auf, und begann heftig, doch freundlich zu ihr: "Wahrhaftig, du und dein Knabe, ihr habt einen schönen Sieg davon getragen! Doch wozu noch länge¬ ren Hader? Laß' uns ein Ehebündniß, und damit ewi¬ gen Frieden schließen! Du hast, was du mit ganzer Seele suchtest: Dido glüht von Liebe zu Aeneas. Wohlan! laß' uns die Völker verschmelzen, sie mag dem trojanischen Gatten dienen, und die Tyrier sollen seine Hochzeitgabe seyn."
Venus merkte die heimliche Absicht der Heuchlerin wohl; sie erwiederte aber ganz willfährig: "Wie könnte ich so thöricht seyn, dir dieses zu verweigern, Mutter? wie könnte ich es wagen wollen, in endlosem Kampfe mich mit dir zu messen? Ich fürchte nur, Jupiter möchte den Verein beider Völker nicht gestatten. Doch, du bist ja seine Gemahlin, dir ziemt es, sein Herz durch Bitten geneigt zu machen. Was du zuwege bringst, ist mir recht." "Laß das meine Sorge seyn," erwiederte Juno vergnügt, "vor allen Dingen muß der Bund geschlossen werden. Laß mich nur die Geschicke lenken, Geschehenem wird Jupiter seine Billigung nicht versagen." Zustim¬ mend und freundlich nickte Cythere, aber im Herzen spot¬ tete sie des Betrugs.
Am nächsten Morgen veranstaltete die Königin eine große Jagd, ihren fremden Gästen zu Ehren. Auser¬ lesene Jünglinge mit Schlingen, Netzen, breiten Jagd¬ spießen, von Reitern und Spürhunden begleitet, verließen die Thore. Vor dem Palaste stand der Zelter der Königin, mit Gold geschmückt und mit Purpurdecken behangen,
das Volk der Trojaner in fremden Stämmen ſich ver¬ lieren zu laſſen, ſchien ihr gekommen. Sie ſuchte ihre Tochter Venus auf, und begann heftig, doch freundlich zu ihr: „Wahrhaftig, du und dein Knabe, ihr habt einen ſchönen Sieg davon getragen! Doch wozu noch länge¬ ren Hader? Laß' uns ein Ehebündniß, und damit ewi¬ gen Frieden ſchließen! Du haſt, was du mit ganzer Seele ſuchteſt: Dido glüht von Liebe zu Aeneas. Wohlan! laß' uns die Völker verſchmelzen, ſie mag dem trojaniſchen Gatten dienen, und die Tyrier ſollen ſeine Hochzeitgabe ſeyn.“
Venus merkte die heimliche Abſicht der Heuchlerin wohl; ſie erwiederte aber ganz willfährig: „Wie könnte ich ſo thöricht ſeyn, dir dieſes zu verweigern, Mutter? wie könnte ich es wagen wollen, in endloſem Kampfe mich mit dir zu meſſen? Ich fürchte nur, Jupiter möchte den Verein beider Völker nicht geſtatten. Doch, du biſt ja ſeine Gemahlin, dir ziemt es, ſein Herz durch Bitten geneigt zu machen. Was du zuwege bringſt, iſt mir recht.“ „Laß das meine Sorge ſeyn,“ erwiederte Juno vergnügt, „vor allen Dingen muß der Bund geſchloſſen werden. Laß mich nur die Geſchicke lenken, Geſchehenem wird Jupiter ſeine Billigung nicht verſagen.“ Zuſtim¬ mend und freundlich nickte Cythere, aber im Herzen ſpot¬ tete ſie des Betrugs.
Am nächſten Morgen veranſtaltete die Königin eine große Jagd, ihren fremden Gäſten zu Ehren. Auser¬ leſene Jünglinge mit Schlingen, Netzen, breiten Jagd¬ ſpießen, von Reitern und Spürhunden begleitet, verließen die Thore. Vor dem Palaſte ſtand der Zelter der Königin, mit Gold geſchmückt und mit Purpurdecken behangen,
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das Volk der Trojaner in fremden Stämmen ſich ver¬
lieren zu laſſen, ſchien ihr gekommen. Sie ſuchte ihre
Tochter Venus auf, und begann heftig, doch freundlich
zu ihr: „Wahrhaftig, du und dein Knabe, ihr habt einen
ſchönen Sieg davon getragen! Doch wozu noch länge¬
ren Hader? Laß' uns ein Ehebündniß, und damit ewi¬
gen Frieden ſchließen! Du haſt, was du mit ganzer
Seele ſuchteſt: Dido glüht von Liebe zu Aeneas.
Wohlan! laß' uns die Völker verſchmelzen, ſie mag dem
trojaniſchen Gatten dienen, und die Tyrier ſollen ſeine
Hochzeitgabe ſeyn.“
Venus merkte die heimliche Abſicht der Heuchlerin
wohl; ſie erwiederte aber ganz willfährig: „Wie könnte
ich ſo thöricht ſeyn, dir dieſes zu verweigern, Mutter?
wie könnte ich es wagen wollen, in endloſem Kampfe
mich mit dir zu meſſen? Ich fürchte nur, Jupiter möchte
den Verein beider Völker nicht geſtatten. Doch, du biſt
ja ſeine Gemahlin, dir ziemt es, ſein Herz durch Bitten
geneigt zu machen. Was du zuwege bringſt, iſt mir
recht.“ „Laß das meine Sorge ſeyn,“ erwiederte Juno
vergnügt, „vor allen Dingen muß der Bund geſchloſſen
werden. Laß mich nur die Geſchicke lenken, Geſchehenem
wird Jupiter ſeine Billigung nicht verſagen.“ Zuſtim¬
mend und freundlich nickte Cythere, aber im Herzen ſpot¬
tete ſie des Betrugs.
Am nächſten Morgen veranſtaltete die Königin eine
große Jagd, ihren fremden Gäſten zu Ehren. Auser¬
leſene Jünglinge mit Schlingen, Netzen, breiten Jagd¬
ſpießen, von Reitern und Spürhunden begleitet, verließen
die Thore. Vor dem Palaſte ſtand der Zelter der Königin,
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/354>, abgerufen am 22.11.2024.
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