herzte ihn zärtlich, ohne zu ahnen, welch ein mächtiger Gott sich ihr anschmiege. Amor aber, den listigen Be¬ fehlen seiner Mutter gehorsam, verwischte allmählig das Bild des verstorbenen Gemahls in ihrem Geist, und reizte die erstorbenen Gefühle ihrer Brust zu neuer leben¬ diger Neigung.
Der Schmaus ging zu Ende, die Gerichte wurden von den Tafeln genommen, gewaltige Weinkrüge aufge¬ stellt, und die Becher aufs Neue gefüllt. Lautes Rau¬ schen wälzte sich durch die Säle des Palastes; die Nacht war herbeigekommen, und flammende Kronleuchter hingen von dem goldenen Deckengetäfel herunter. Jetzt ließ sich Dido die herrlichste Schaale, schwer von Gold und Edel¬ steinen, reichen, und füllte sie bis zum Rande mit Wein; sie war längst der Mundbecher aller tyrischen Könige. Diese hielt die Königin, von ihrem Throne sich erhebend, hoch in der Rechten, und in diesem Augenblicke ver¬ stummte der Lärm in den Sälen des Palastes. "Jupiter," sprach sie mit feierlicher Stimme, "mächtiger Beschirmer des Gastrechtes, laß diesen Tag den Tyriern und unsern trojanischen Freunden günstig seyn, und unsere späten Enkel mögen desselben noch mit Lust gedenken! Auch du, Freudengeber Bacchus, auch du, huldreiche Juno, sey mit uns!" So sprechend, goß sie das Trankopfer auf den Tisch aus, nippte dann von der goldenen Schaale selbst, und bot sie dem tyrischen Häuptlinge, der ihr zu¬ nächst saß. Nun machte der Pokal bei Tyriern und Trojanern die Runde, und derweil sang ein lockiger Sän¬ ger zur goldenen Zither sinnvolle Lieder vom Ursprunge der Welt, der Menschen und der Thiere. Als der Ge¬ sang zu Ende war, hing Dido an dem Munde des
herzte ihn zärtlich, ohne zu ahnen, welch ein mächtiger Gott ſich ihr anſchmiege. Amor aber, den liſtigen Be¬ fehlen ſeiner Mutter gehorſam, verwiſchte allmählig das Bild des verſtorbenen Gemahls in ihrem Geiſt, und reizte die erſtorbenen Gefühle ihrer Bruſt zu neuer leben¬ diger Neigung.
Der Schmaus ging zu Ende, die Gerichte wurden von den Tafeln genommen, gewaltige Weinkrüge aufge¬ ſtellt, und die Becher aufs Neue gefüllt. Lautes Rau¬ ſchen wälzte ſich durch die Säle des Palaſtes; die Nacht war herbeigekommen, und flammende Kronleuchter hingen von dem goldenen Deckengetäfel herunter. Jetzt ließ ſich Dido die herrlichſte Schaale, ſchwer von Gold und Edel¬ ſteinen, reichen, und füllte ſie bis zum Rande mit Wein; ſie war längſt der Mundbecher aller tyriſchen Könige. Dieſe hielt die Königin, von ihrem Throne ſich erhebend, hoch in der Rechten, und in dieſem Augenblicke ver¬ ſtummte der Lärm in den Sälen des Palaſtes. „Jupiter,“ ſprach ſie mit feierlicher Stimme, „mächtiger Beſchirmer des Gaſtrechtes, laß dieſen Tag den Tyriern und unſern trojaniſchen Freunden günſtig ſeyn, und unſere ſpäten Enkel mögen deſſelben noch mit Luſt gedenken! Auch du, Freudengeber Bacchus, auch du, huldreiche Juno, ſey mit uns!“ So ſprechend, goß ſie das Trankopfer auf den Tiſch aus, nippte dann von der goldenen Schaale ſelbſt, und bot ſie dem tyriſchen Häuptlinge, der ihr zu¬ nächſt ſaß. Nun machte der Pokal bei Tyriern und Trojanern die Runde, und derweil ſang ein lockiger Sän¬ ger zur goldenen Zither ſinnvolle Lieder vom Urſprunge der Welt, der Menſchen und der Thiere. Als der Ge¬ ſang zu Ende war, hing Dido an dem Munde des
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0351"n="329"/>
herzte ihn zärtlich, ohne zu ahnen, welch ein mächtiger<lb/>
Gott ſich ihr anſchmiege. Amor aber, den liſtigen Be¬<lb/>
fehlen ſeiner Mutter gehorſam, verwiſchte allmählig das<lb/>
Bild des verſtorbenen Gemahls in ihrem Geiſt, und<lb/>
reizte die erſtorbenen Gefühle ihrer Bruſt zu neuer leben¬<lb/>
diger Neigung.</p><lb/><p>Der Schmaus ging zu Ende, die Gerichte wurden<lb/>
von den Tafeln genommen, gewaltige Weinkrüge aufge¬<lb/>ſtellt, und die Becher aufs Neue gefüllt. Lautes Rau¬<lb/>ſchen wälzte ſich durch die Säle des Palaſtes; die Nacht<lb/>
war herbeigekommen, und flammende Kronleuchter hingen<lb/>
von dem goldenen Deckengetäfel herunter. Jetzt ließ ſich<lb/>
Dido die herrlichſte Schaale, ſchwer von Gold und Edel¬<lb/>ſteinen, reichen, und füllte ſie bis zum Rande mit Wein;<lb/>ſie war längſt der Mundbecher aller tyriſchen Könige.<lb/>
Dieſe hielt die Königin, von ihrem Throne ſich erhebend,<lb/>
hoch in der Rechten, und in dieſem Augenblicke ver¬<lb/>ſtummte der Lärm in den Sälen des Palaſtes. „Jupiter,“<lb/>ſprach ſie mit feierlicher Stimme, „mächtiger Beſchirmer<lb/>
des Gaſtrechtes, laß dieſen Tag den Tyriern und unſern<lb/>
trojaniſchen Freunden günſtig ſeyn, und unſere ſpäten<lb/>
Enkel mögen deſſelben noch mit Luſt gedenken! Auch<lb/>
du, Freudengeber Bacchus, auch du, huldreiche Juno,<lb/>ſey mit uns!“ So ſprechend, goß ſie das Trankopfer<lb/>
auf den Tiſch aus, nippte dann von der goldenen Schaale<lb/>ſelbſt, und bot ſie dem tyriſchen Häuptlinge, der ihr zu¬<lb/>
nächſt ſaß. Nun machte der Pokal bei Tyriern und<lb/>
Trojanern die Runde, und derweil ſang ein lockiger Sän¬<lb/>
ger zur goldenen Zither ſinnvolle Lieder vom Urſprunge<lb/>
der Welt, der Menſchen und der Thiere. Als der Ge¬<lb/>ſang zu Ende war, hing Dido an dem Munde des<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[329/0351]
herzte ihn zärtlich, ohne zu ahnen, welch ein mächtiger
Gott ſich ihr anſchmiege. Amor aber, den liſtigen Be¬
fehlen ſeiner Mutter gehorſam, verwiſchte allmählig das
Bild des verſtorbenen Gemahls in ihrem Geiſt, und
reizte die erſtorbenen Gefühle ihrer Bruſt zu neuer leben¬
diger Neigung.
Der Schmaus ging zu Ende, die Gerichte wurden
von den Tafeln genommen, gewaltige Weinkrüge aufge¬
ſtellt, und die Becher aufs Neue gefüllt. Lautes Rau¬
ſchen wälzte ſich durch die Säle des Palaſtes; die Nacht
war herbeigekommen, und flammende Kronleuchter hingen
von dem goldenen Deckengetäfel herunter. Jetzt ließ ſich
Dido die herrlichſte Schaale, ſchwer von Gold und Edel¬
ſteinen, reichen, und füllte ſie bis zum Rande mit Wein;
ſie war längſt der Mundbecher aller tyriſchen Könige.
Dieſe hielt die Königin, von ihrem Throne ſich erhebend,
hoch in der Rechten, und in dieſem Augenblicke ver¬
ſtummte der Lärm in den Sälen des Palaſtes. „Jupiter,“
ſprach ſie mit feierlicher Stimme, „mächtiger Beſchirmer
des Gaſtrechtes, laß dieſen Tag den Tyriern und unſern
trojaniſchen Freunden günſtig ſeyn, und unſere ſpäten
Enkel mögen deſſelben noch mit Luſt gedenken! Auch
du, Freudengeber Bacchus, auch du, huldreiche Juno,
ſey mit uns!“ So ſprechend, goß ſie das Trankopfer
auf den Tiſch aus, nippte dann von der goldenen Schaale
ſelbſt, und bot ſie dem tyriſchen Häuptlinge, der ihr zu¬
nächſt ſaß. Nun machte der Pokal bei Tyriern und
Trojanern die Runde, und derweil ſang ein lockiger Sän¬
ger zur goldenen Zither ſinnvolle Lieder vom Urſprunge
der Welt, der Menſchen und der Thiere. Als der Ge¬
ſang zu Ende war, hing Dido an dem Munde des
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/351>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.