Monate sind es, daß ich zwischen Höhlen und Wildlagern mein Leben fortschleppe, mich von der ärmlichen Kost der Waldbeeren und Wurzeln ernährend, stets auf der Lauer vor dem Riesengeschlechte, vor dessen tosenden Tritten und brüllenden Stimmen ich erbebe. Da sah ich diese Flotte dem Ufer nahen; ihr mich zu ergeben, brach ich auf, wessen sie auch seyn mochte."
Kaum hatte er dieses gesprochen, als die Trojaner auch schon auf der Höhe des Berges den Cyklopen Po¬ lyphem gewahr wurden, den unförmlichen Riesen mit dem geblendeten Auge, einen behauenen Fichtenstamm als Stock in der Hand, inmitten seiner Schafheerde, seines einzigen Trostes im Unglück, einherschlendernd. Am Meere angekommen, ging er mitten in die Fluthen hinein, die ihm doch noch nicht einmal bis an die Hüfte gingen. Hier bückte er sich, und wusch aus dem ausgestochenen Auge das immer noch fließende Blut, stöhnend und zähne¬ knirschend. Bei diesem gräßlichen Anblicke beschleunigten die Trojaner ihre Flucht, nahmen den bejammernswür¬ digen Flüchtling, obgleich er ihr Stammfeind war und ihre Stadt hatte zerstören helfen, mit sich zu Schiffe, und hieben stillschweigend die Seile ab. Jetzt vernahm der Riese den Ruderschlag und wandte seine Schritte, noch immer in der Fluth, dem Schalle des Geräusches zu. Mit Mühe entging das letzte Schiff seinen haschen¬ den Händen, und als er vergebens in die Luft griff, erhob er ein so ungeheures Gebrüll, daß die Klüfte des Aetna wie von einem langen Donner wiederhallten, und das ganze Cyklopengeschlecht, in den hohen Bergen aus¬ gestört, zum Gestade herabgerannt kam. Wie lustige Eichen
Monate ſind es, daß ich zwiſchen Höhlen und Wildlagern mein Leben fortſchleppe, mich von der ärmlichen Koſt der Waldbeeren und Wurzeln ernährend, ſtets auf der Lauer vor dem Rieſengeſchlechte, vor deſſen toſenden Tritten und brüllenden Stimmen ich erbebe. Da ſah ich dieſe Flotte dem Ufer nahen; ihr mich zu ergeben, brach ich auf, weſſen ſie auch ſeyn mochte.“
Kaum hatte er dieſes geſprochen, als die Trojaner auch ſchon auf der Höhe des Berges den Cyklopen Po¬ lyphem gewahr wurden, den unförmlichen Rieſen mit dem geblendeten Auge, einen behauenen Fichtenſtamm als Stock in der Hand, inmitten ſeiner Schafheerde, ſeines einzigen Troſtes im Unglück, einherſchlendernd. Am Meere angekommen, ging er mitten in die Fluthen hinein, die ihm doch noch nicht einmal bis an die Hüfte gingen. Hier bückte er ſich, und wuſch aus dem ausgeſtochenen Auge das immer noch fließende Blut, ſtöhnend und zähne¬ knirſchend. Bei dieſem gräßlichen Anblicke beſchleunigten die Trojaner ihre Flucht, nahmen den bejammernswür¬ digen Flüchtling, obgleich er ihr Stammfeind war und ihre Stadt hatte zerſtören helfen, mit ſich zu Schiffe, und hieben ſtillſchweigend die Seile ab. Jetzt vernahm der Rieſe den Ruderſchlag und wandte ſeine Schritte, noch immer in der Fluth, dem Schalle des Geräuſches zu. Mit Mühe entging das letzte Schiff ſeinen haſchen¬ den Händen, und als er vergebens in die Luft griff, erhob er ein ſo ungeheures Gebrüll, daß die Klüfte des Aetna wie von einem langen Donner wiederhallten, und das ganze Cyklopengeſchlecht, in den hohen Bergen aus¬ geſtört, zum Geſtade herabgerannt kam. Wie luſtige Eichen
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Monate ſind es, daß ich zwiſchen Höhlen und Wildlagern
mein Leben fortſchleppe, mich von der ärmlichen Koſt der
Waldbeeren und Wurzeln ernährend, ſtets auf der Lauer
vor dem Rieſengeſchlechte, vor deſſen toſenden Tritten
und brüllenden Stimmen ich erbebe. Da ſah ich dieſe
Flotte dem Ufer nahen; ihr mich zu ergeben, brach ich
auf, weſſen ſie auch ſeyn mochte.“
Kaum hatte er dieſes geſprochen, als die Trojaner
auch ſchon auf der Höhe des Berges den Cyklopen Po¬
lyphem gewahr wurden, den unförmlichen Rieſen mit
dem geblendeten Auge, einen behauenen Fichtenſtamm als
Stock in der Hand, inmitten ſeiner Schafheerde, ſeines
einzigen Troſtes im Unglück, einherſchlendernd. Am
Meere angekommen, ging er mitten in die Fluthen hinein,
die ihm doch noch nicht einmal bis an die Hüfte gingen.
Hier bückte er ſich, und wuſch aus dem ausgeſtochenen
Auge das immer noch fließende Blut, ſtöhnend und zähne¬
knirſchend. Bei dieſem gräßlichen Anblicke beſchleunigten
die Trojaner ihre Flucht, nahmen den bejammernswür¬
digen Flüchtling, obgleich er ihr Stammfeind war und
ihre Stadt hatte zerſtören helfen, mit ſich zu Schiffe,
und hieben ſtillſchweigend die Seile ab. Jetzt vernahm
der Rieſe den Ruderſchlag und wandte ſeine Schritte,
noch immer in der Fluth, dem Schalle des Geräuſches
zu. Mit Mühe entging das letzte Schiff ſeinen haſchen¬
den Händen, und als er vergebens in die Luft griff,
erhob er ein ſo ungeheures Gebrüll, daß die Klüfte des
Aetna wie von einem langen Donner wiederhallten, und
das ganze Cyklopengeſchlecht, in den hohen Bergen aus¬
geſtört, zum Geſtade herabgerannt kam. Wie luſtige Eichen
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/332>, abgerufen am 22.11.2024.
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