geworfen, sende, sagt man, den Flammenhauch des Riesen aus seinem Schlund empor; so oft jener, unter der drückenden Last ermattet, seine Seite wechselt, bebt die ganze Insel von dumpfer Erschütterung, und ein Rauch hüllt den Himmel in seinen Schleier.
Aeneas und seine Genossen waren bei Nacht an die Insel verschlagen worden, und der Berg war ihnen noch dazu von Wäldern verdeckt. Auch umzog den verfinster¬ ten Himmel ein dickes Gewölk, und hinter seinen Schich¬ ten verbargen sich der Mond und die Sterne. So hörten sie die ganze Nacht hindurch nur das fürchterliche Tosen, ohne die Ursache desselben errathen zu können. Als der Morgenstern am Himmel stand, und Aurora die Schat¬ ten vertrieb, sahen die Flüchtlinge, die sich am Strande gelagert, einen fremden seltsamen Mann, ganz in Lum¬ pen gehüllt, ein rechtes Jammerbild des Elendes, plötz¬ lich aus den Wäldern hervortreten, und die Hände flehend nach ihnen zu dem Ufer ausstrecken. Abscheulicher Schmutz entstellte ihn, die Fetzen seines Gewandes waren mit Dornen zusammengeheftet, sein langes verwirrtes Bart¬ haar flog im Winde. Uebrigens erkannte man auch in diesem jämmerlichen Aufzuge noch den Griechen, der einst vor Troja gekämpft hatte. Als dieser in der Ferne tro¬ janische Rüstungen sah, stutzte er einen Augenblick und hemmte schüchtern seine Schritte. Bald aber rannte er entschlossen wieder vorwärts zum Ufer, und flehte wei¬ nend zu den Ankömmlingen hinüber: "Bei den Gestirnen, bei den Göttern, beim Himmelslichte beschwöre ich euch, Trojaner, nehmet mich fort mit euch, wohin es auch gehen mag! Ich weiß wohl, ich bin einer vom Danaer¬ heer, ich habe eure Stadt befehdet, habe sie zerstören
geworfen, ſende, ſagt man, den Flammenhauch des Rieſen aus ſeinem Schlund empor; ſo oft jener, unter der drückenden Laſt ermattet, ſeine Seite wechſelt, bebt die ganze Inſel von dumpfer Erſchütterung, und ein Rauch hüllt den Himmel in ſeinen Schleier.
Aeneas und ſeine Genoſſen waren bei Nacht an die Inſel verſchlagen worden, und der Berg war ihnen noch dazu von Wäldern verdeckt. Auch umzog den verfinſter¬ ten Himmel ein dickes Gewölk, und hinter ſeinen Schich¬ ten verbargen ſich der Mond und die Sterne. So hörten ſie die ganze Nacht hindurch nur das fürchterliche Toſen, ohne die Urſache deſſelben errathen zu können. Als der Morgenſtern am Himmel ſtand, und Aurora die Schat¬ ten vertrieb, ſahen die Flüchtlinge, die ſich am Strande gelagert, einen fremden ſeltſamen Mann, ganz in Lum¬ pen gehüllt, ein rechtes Jammerbild des Elendes, plötz¬ lich aus den Wäldern hervortreten, und die Hände flehend nach ihnen zu dem Ufer ausſtrecken. Abſcheulicher Schmutz entſtellte ihn, die Fetzen ſeines Gewandes waren mit Dornen zuſammengeheftet, ſein langes verwirrtes Bart¬ haar flog im Winde. Uebrigens erkannte man auch in dieſem jämmerlichen Aufzuge noch den Griechen, der einſt vor Troja gekämpft hatte. Als dieſer in der Ferne tro¬ janiſche Rüſtungen ſah, ſtutzte er einen Augenblick und hemmte ſchüchtern ſeine Schritte. Bald aber rannte er entſchloſſen wieder vorwärts zum Ufer, und flehte wei¬ nend zu den Ankömmlingen hinüber: „Bei den Geſtirnen, bei den Göttern, beim Himmelslichte beſchwöre ich euch, Trojaner, nehmet mich fort mit euch, wohin es auch gehen mag! Ich weiß wohl, ich bin einer vom Danaer¬ heer, ich habe eure Stadt befehdet, habe ſie zerſtören
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0330"n="308"/>
geworfen, ſende, ſagt man, den Flammenhauch des Rieſen<lb/>
aus ſeinem Schlund empor; ſo oft jener, unter der<lb/>
drückenden Laſt ermattet, ſeine Seite wechſelt, bebt die<lb/>
ganze Inſel von dumpfer Erſchütterung, und ein Rauch<lb/>
hüllt den Himmel in ſeinen Schleier.</p><lb/><p>Aeneas und ſeine Genoſſen waren bei Nacht an die<lb/>
Inſel verſchlagen worden, und der Berg war ihnen noch<lb/>
dazu von Wäldern verdeckt. Auch umzog den verfinſter¬<lb/>
ten Himmel ein dickes Gewölk, und hinter ſeinen Schich¬<lb/>
ten verbargen ſich der Mond und die Sterne. So hörten<lb/>ſie die ganze Nacht hindurch nur das fürchterliche Toſen,<lb/>
ohne die Urſache deſſelben errathen zu können. Als der<lb/>
Morgenſtern am Himmel ſtand, und Aurora die Schat¬<lb/>
ten vertrieb, ſahen die Flüchtlinge, die ſich am Strande<lb/>
gelagert, einen fremden ſeltſamen Mann, ganz in Lum¬<lb/>
pen gehüllt, ein rechtes Jammerbild des Elendes, plötz¬<lb/>
lich aus den Wäldern hervortreten, und die Hände flehend<lb/>
nach ihnen zu dem Ufer ausſtrecken. Abſcheulicher Schmutz<lb/>
entſtellte ihn, die Fetzen ſeines Gewandes waren mit<lb/>
Dornen zuſammengeheftet, ſein langes verwirrtes Bart¬<lb/>
haar flog im Winde. Uebrigens erkannte man auch in<lb/>
dieſem jämmerlichen Aufzuge noch den Griechen, der einſt<lb/>
vor Troja gekämpft hatte. Als dieſer in der Ferne tro¬<lb/>
janiſche Rüſtungen ſah, ſtutzte er einen Augenblick und<lb/>
hemmte ſchüchtern ſeine Schritte. Bald aber rannte er<lb/>
entſchloſſen wieder vorwärts zum Ufer, und flehte wei¬<lb/>
nend zu den Ankömmlingen hinüber: „Bei den Geſtirnen,<lb/>
bei den Göttern, beim Himmelslichte beſchwöre ich euch,<lb/>
Trojaner, nehmet mich fort mit euch, wohin es auch<lb/>
gehen mag! Ich weiß wohl, ich bin einer vom Danaer¬<lb/>
heer, ich habe eure Stadt befehdet, habe ſie zerſtören<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[308/0330]
geworfen, ſende, ſagt man, den Flammenhauch des Rieſen
aus ſeinem Schlund empor; ſo oft jener, unter der
drückenden Laſt ermattet, ſeine Seite wechſelt, bebt die
ganze Inſel von dumpfer Erſchütterung, und ein Rauch
hüllt den Himmel in ſeinen Schleier.
Aeneas und ſeine Genoſſen waren bei Nacht an die
Inſel verſchlagen worden, und der Berg war ihnen noch
dazu von Wäldern verdeckt. Auch umzog den verfinſter¬
ten Himmel ein dickes Gewölk, und hinter ſeinen Schich¬
ten verbargen ſich der Mond und die Sterne. So hörten
ſie die ganze Nacht hindurch nur das fürchterliche Toſen,
ohne die Urſache deſſelben errathen zu können. Als der
Morgenſtern am Himmel ſtand, und Aurora die Schat¬
ten vertrieb, ſahen die Flüchtlinge, die ſich am Strande
gelagert, einen fremden ſeltſamen Mann, ganz in Lum¬
pen gehüllt, ein rechtes Jammerbild des Elendes, plötz¬
lich aus den Wäldern hervortreten, und die Hände flehend
nach ihnen zu dem Ufer ausſtrecken. Abſcheulicher Schmutz
entſtellte ihn, die Fetzen ſeines Gewandes waren mit
Dornen zuſammengeheftet, ſein langes verwirrtes Bart¬
haar flog im Winde. Uebrigens erkannte man auch in
dieſem jämmerlichen Aufzuge noch den Griechen, der einſt
vor Troja gekämpft hatte. Als dieſer in der Ferne tro¬
janiſche Rüſtungen ſah, ſtutzte er einen Augenblick und
hemmte ſchüchtern ſeine Schritte. Bald aber rannte er
entſchloſſen wieder vorwärts zum Ufer, und flehte wei¬
nend zu den Ankömmlingen hinüber: „Bei den Geſtirnen,
bei den Göttern, beim Himmelslichte beſchwöre ich euch,
Trojaner, nehmet mich fort mit euch, wohin es auch
gehen mag! Ich weiß wohl, ich bin einer vom Danaer¬
heer, ich habe eure Stadt befehdet, habe ſie zerſtören
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/330>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.