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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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Mittel, sie verbargen ihre Schwerter und Schilde rings¬
umher im Gras, und als die häßlichen Vögel sich wie¬
der im Schwarme herniedersenkten und die krummen Ufer
umflatterten, brachen seine Genossen auf das Zeichen eines
ihrer Freunde, der vom Felsen herab seine Beobachtungen
anstellte, los und versuchten es, die Unthiere mit ihren
Schwertern zu erlegen. Aber keine Gewalt vermochte
das Gefieder zu durchdringen, keine Wunde saß auf
ihren Rücken fest: eilige Flucht entzog sie den Streichen,
sie ließen ihre Beute angefressen zurück, und überall
Spuren voll Unflaths. Nur eine von den Harpyien,
Celäno mit Namen, setzte sich auf den höchsten Felsen,
und brach in die prophetischen Fluchworte aus: "Ist es
nicht genug, uns Rinder und Ziegen gemordet zu haben,
ihr trojanischen Fremdlinge? müßt ihr uns unschuldigen
Harpyien auch noch aus dem Heimathlande vertreiben?
Nun so höret die Prophezeihung, die mir Phöbus an¬
vertraut hat, und die ich euch als Rachegöttin verkündige.
Ihr fahret nach Italien, ihr werdet es auch erreichen,
sein Hafen wird euch aufnehmen: aber nicht eher um¬
gebet ihr die euch verheißene Stadt mit Mauern, als
bis euch ein gräßlicher Hunger, die Strafe für das
Unrecht, das ihr an uns beginget, zwingen wird, von
euren eigenen Tischen zu nagen, und dieselben aufzu¬
zehren." So sprach sie, schwang die Fittige, und floh
in die Waldung zurück. Den Trojanern erstarrte das
Blut in den Adern vor Schrecken; sie wußten nicht,
hatten sie es mit fluchwürdigen Vögeln, oder mit mäch¬
tigen Göttinnen zu thun. Endlich hob der Vater Anchi¬
ses seine Hände flehend gen Himmel und betete zu den
Göttern um Abwendung alles Unheils. Dann rieth er

Schwab, das klass. Alterthum. III. 20

Mittel, ſie verbargen ihre Schwerter und Schilde rings¬
umher im Gras, und als die häßlichen Vögel ſich wie¬
der im Schwarme herniederſenkten und die krummen Ufer
umflatterten, brachen ſeine Genoſſen auf das Zeichen eines
ihrer Freunde, der vom Felſen herab ſeine Beobachtungen
anſtellte, los und verſuchten es, die Unthiere mit ihren
Schwertern zu erlegen. Aber keine Gewalt vermochte
das Gefieder zu durchdringen, keine Wunde ſaß auf
ihren Rücken feſt: eilige Flucht entzog ſie den Streichen,
ſie ließen ihre Beute angefreſſen zurück, und überall
Spuren voll Unflaths. Nur eine von den Harpyien,
Celäno mit Namen, ſetzte ſich auf den höchſten Felſen,
und brach in die prophetiſchen Fluchworte aus: „Iſt es
nicht genug, uns Rinder und Ziegen gemordet zu haben,
ihr trojaniſchen Fremdlinge? müßt ihr uns unſchuldigen
Harpyien auch noch aus dem Heimathlande vertreiben?
Nun ſo höret die Prophezeihung, die mir Phöbus an¬
vertraut hat, und die ich euch als Rachegöttin verkündige.
Ihr fahret nach Italien, ihr werdet es auch erreichen,
ſein Hafen wird euch aufnehmen: aber nicht eher um¬
gebet ihr die euch verheißene Stadt mit Mauern, als
bis euch ein gräßlicher Hunger, die Strafe für das
Unrecht, das ihr an uns beginget, zwingen wird, von
euren eigenen Tiſchen zu nagen, und dieſelben aufzu¬
zehren.“ So ſprach ſie, ſchwang die Fittige, und floh
in die Waldung zurück. Den Trojanern erſtarrte das
Blut in den Adern vor Schrecken; ſie wußten nicht,
hatten ſie es mit fluchwürdigen Vögeln, oder mit mäch¬
tigen Göttinnen zu thun. Endlich hob der Vater Anchi¬
ſes ſeine Hände flehend gen Himmel und betete zu den
Göttern um Abwendung alles Unheils. Dann rieth er

Schwab, das klaſſ. Alterthum. III. 20
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[305/0327] Mittel, ſie verbargen ihre Schwerter und Schilde rings¬ umher im Gras, und als die häßlichen Vögel ſich wie¬ der im Schwarme herniederſenkten und die krummen Ufer umflatterten, brachen ſeine Genoſſen auf das Zeichen eines ihrer Freunde, der vom Felſen herab ſeine Beobachtungen anſtellte, los und verſuchten es, die Unthiere mit ihren Schwertern zu erlegen. Aber keine Gewalt vermochte das Gefieder zu durchdringen, keine Wunde ſaß auf ihren Rücken feſt: eilige Flucht entzog ſie den Streichen, ſie ließen ihre Beute angefreſſen zurück, und überall Spuren voll Unflaths. Nur eine von den Harpyien, Celäno mit Namen, ſetzte ſich auf den höchſten Felſen, und brach in die prophetiſchen Fluchworte aus: „Iſt es nicht genug, uns Rinder und Ziegen gemordet zu haben, ihr trojaniſchen Fremdlinge? müßt ihr uns unſchuldigen Harpyien auch noch aus dem Heimathlande vertreiben? Nun ſo höret die Prophezeihung, die mir Phöbus an¬ vertraut hat, und die ich euch als Rachegöttin verkündige. Ihr fahret nach Italien, ihr werdet es auch erreichen, ſein Hafen wird euch aufnehmen: aber nicht eher um¬ gebet ihr die euch verheißene Stadt mit Mauern, als bis euch ein gräßlicher Hunger, die Strafe für das Unrecht, das ihr an uns beginget, zwingen wird, von euren eigenen Tiſchen zu nagen, und dieſelben aufzu¬ zehren.“ So ſprach ſie, ſchwang die Fittige, und floh in die Waldung zurück. Den Trojanern erſtarrte das Blut in den Adern vor Schrecken; ſie wußten nicht, hatten ſie es mit fluchwürdigen Vögeln, oder mit mäch¬ tigen Göttinnen zu thun. Endlich hob der Vater Anchi¬ ſes ſeine Hände flehend gen Himmel und betete zu den Göttern um Abwendung alles Unheils. Dann rieth er Schwab, das klaſſ. Alterthum. III. 20

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/327>, abgerufen am 25.11.2024.