In der Stadt Ithaka eilte inzwischen das Gerücht durch alle Straßen und verkündigte das grausame Ver¬ hängniß, das die Freier getroffen hatte. Von allen Seiten her drängten sich jetzt die Blutsverwanden der Gefallenen nach dem Palaste des Odysseus, wo sie an einer abgelegenen und abgesonderten Stelle des Hofes die Leichname der Ihrigen aufgeschichtet fanden. Unter lauten Wehklagen, darein sich Drohungen mischten, tru¬ gen sie die Todten, ein Jeder den Seinigen hinaus, und bestatteten sie: die aber aus andern Städten und Inseln waren, wurden auf schnellen Fischerkähnen in ihre Heimath gesendet. Dann versammelten sich die Väter, Brüder und Anverwandten der Freier insgesammt auf dem Markte, und in der zahlreichen Volksversamm¬ lung trat Eupithes auf. Dieß war der Vater des An¬ tinous, des jugendlichsten und trotzigsten Freiers, des ersten, der von Odysseus Pfeile gefallen war. Der Vater war ein mächtiger, hochangesehener noch rüstiger Mann, dem unheilbarer Schmerz um den Tod seines Sohnes an der Seele nagte. Dieser vergoß Thränen vor dem Volke und sprach: "Freunde, gedenket an das mannichfaltige Unglück, das der Mann, den ich vor euch verklage, über Ithaka und die Nachbarstädte gebracht hat! Vor zwanzig Jahren entführte er uns so viele und so tapfere Männer auf seinen Schiffen; verlor die Schiffe, verlor die Genossen. Endlich allein wieder heimgekehrt, hat
Aufruhr in der Stadt durch Athene geſtillt.
In der Stadt Ithaka eilte inzwiſchen das Gerücht durch alle Straßen und verkündigte das grauſame Ver¬ hängniß, das die Freier getroffen hatte. Von allen Seiten her drängten ſich jetzt die Blutsverwanden der Gefallenen nach dem Palaſte des Odyſſeus, wo ſie an einer abgelegenen und abgeſonderten Stelle des Hofes die Leichname der Ihrigen aufgeſchichtet fanden. Unter lauten Wehklagen, darein ſich Drohungen miſchten, tru¬ gen ſie die Todten, ein Jeder den Seinigen hinaus, und beſtatteten ſie: die aber aus andern Städten und Inſeln waren, wurden auf ſchnellen Fiſcherkähnen in ihre Heimath geſendet. Dann verſammelten ſich die Väter, Brüder und Anverwandten der Freier insgeſammt auf dem Markte, und in der zahlreichen Volksverſamm¬ lung trat Eupithes auf. Dieß war der Vater des An¬ tinous, des jugendlichſten und trotzigſten Freiers, des erſten, der von Odyſſeus Pfeile gefallen war. Der Vater war ein mächtiger, hochangeſehener noch rüſtiger Mann, dem unheilbarer Schmerz um den Tod ſeines Sohnes an der Seele nagte. Dieſer vergoß Thränen vor dem Volke und ſprach: „Freunde, gedenket an das mannichfaltige Unglück, das der Mann, den ich vor euch verklage, über Ithaka und die Nachbarſtädte gebracht hat! Vor zwanzig Jahren entführte er uns ſo viele und ſo tapfere Männer auf ſeinen Schiffen; verlor die Schiffe, verlor die Genoſſen. Endlich allein wieder heimgekehrt, hat
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Aufruhr in der Stadt durch Athene geſtillt.
In der Stadt Ithaka eilte inzwiſchen das Gerücht
durch alle Straßen und verkündigte das grauſame Ver¬
hängniß, das die Freier getroffen hatte. Von allen
Seiten her drängten ſich jetzt die Blutsverwanden der
Gefallenen nach dem Palaſte des Odyſſeus, wo ſie
an einer abgelegenen und abgeſonderten Stelle des Hofes
die Leichname der Ihrigen aufgeſchichtet fanden. Unter
lauten Wehklagen, darein ſich Drohungen miſchten, tru¬
gen ſie die Todten, ein Jeder den Seinigen hinaus,
und beſtatteten ſie: die aber aus andern Städten und
Inſeln waren, wurden auf ſchnellen Fiſcherkähnen in
ihre Heimath geſendet. Dann verſammelten ſich die
Väter, Brüder und Anverwandten der Freier insgeſammt
auf dem Markte, und in der zahlreichen Volksverſamm¬
lung trat Eupithes auf. Dieß war der Vater des An¬
tinous, des jugendlichſten und trotzigſten Freiers, des
erſten, der von Odyſſeus Pfeile gefallen war. Der
Vater war ein mächtiger, hochangeſehener noch rüſtiger
Mann, dem unheilbarer Schmerz um den Tod ſeines Sohnes
an der Seele nagte. Dieſer vergoß Thränen vor dem Volke
und ſprach: „Freunde, gedenket an das mannichfaltige
Unglück, das der Mann, den ich vor euch verklage,
über Ithaka und die Nachbarſtädte gebracht hat! Vor
zwanzig Jahren entführte er uns ſo viele und ſo tapfere
Männer auf ſeinen Schiffen; verlor die Schiffe, verlor
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/305>, abgerufen am 22.11.2024.
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