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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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er sein Sohn, und ins Land der Väter zurückgekehrt
sey. Doch konnte er der Versuchung nicht widerstehen,
auch den Vater auszuforschen, und mit leisem Tadel
sein Herz auf die Probe zu stellen. So trat er denn
während der Greis mit gebücktem Haupte eifrig die Erde
um den jungen Baumsproß auflockerte, diesem näher und
begann also: "Greis, du scheinst dich recht gut auf den
Gartenbau zu verstehen. Reben, Oliven-, Feigen-, Birn-
und Aepfelbäume, alle sind aufs beste gepflegt; auch
den Blumen- und Gemüßbeeten fehlt es nirgends an der
nöthigen Sorge. Aber an Einem fehlt es dir doch, und
nimm es mir nicht übel, daß ich dirs ehrlich sage: du
selbst scheinst nicht gehörig gepflegt zu werden, Alter,
daß du in solchem Schmutz und so häßlicher Kleidung
einhergehest! Von deinem Herrn ist das nicht wohlge¬
than. Auch scheint mir deine eigene Trägheit nicht an
dieser Behandlung schuld zu seyn. Betrachtet man deine
Gestalt und Größe, so findet sich gar nichts knechti¬
sches an dir, du hast vielmehr ein königliches Ansehen;
ein Mann wie du verdiente es, gebadet und wohlgespeist
auszuruhen, wie man's den Alten gönnen mag. So
sage mir doch, wer ist dein Herr, und für wen bestellst
du diesen Garten? Und ist dieses Land wirklich Ithaka,
wie mir ein Mann, dem ich eben begegnete, gesagt hat?
es war übrigens ein unfreundlicher Mensch; er antwor¬
tete mir nicht einmal, als ich ihn fragte, ob der Gast¬
freund noch lebe, den ich hier besuchen will. In meiner
Heimath habe ich nämlich vor langer Zeit einen Mann be¬
herbergt, -- es ist noch nie ein lieberer Gast über meine
Schwelle gekommen. Dieser stammte von Ithaka und er¬
zählte mir, daß er ein Sohn des Königs Laertes sey; ich

er ſein Sohn, und ins Land der Väter zurückgekehrt
ſey. Doch konnte er der Verſuchung nicht widerſtehen,
auch den Vater auszuforſchen, und mit leiſem Tadel
ſein Herz auf die Probe zu ſtellen. So trat er denn
während der Greis mit gebücktem Haupte eifrig die Erde
um den jungen Baumſproß auflockerte, dieſem näher und
begann alſo: „Greis, du ſcheinſt dich recht gut auf den
Gartenbau zu verſtehen. Reben, Oliven-, Feigen-, Birn-
und Aepfelbäume, alle ſind aufs beſte gepflegt; auch
den Blumen- und Gemüßbeeten fehlt es nirgends an der
nöthigen Sorge. Aber an Einem fehlt es dir doch, und
nimm es mir nicht übel, daß ich dirs ehrlich ſage: du
ſelbſt ſcheinſt nicht gehörig gepflegt zu werden, Alter,
daß du in ſolchem Schmutz und ſo häßlicher Kleidung
einhergeheſt! Von deinem Herrn iſt das nicht wohlge¬
than. Auch ſcheint mir deine eigene Trägheit nicht an
dieſer Behandlung ſchuld zu ſeyn. Betrachtet man deine
Geſtalt und Größe, ſo findet ſich gar nichts knechti¬
ſches an dir, du haſt vielmehr ein königliches Anſehen;
ein Mann wie du verdiente es, gebadet und wohlgeſpeist
auszuruhen, wie man's den Alten gönnen mag. So
ſage mir doch, wer iſt dein Herr, und für wen beſtellſt
du dieſen Garten? Und iſt dieſes Land wirklich Ithaka,
wie mir ein Mann, dem ich eben begegnete, geſagt hat?
es war übrigens ein unfreundlicher Menſch; er antwor¬
tete mir nicht einmal, als ich ihn fragte, ob der Gaſt¬
freund noch lebe, den ich hier beſuchen will. In meiner
Heimath habe ich nämlich vor langer Zeit einen Mann be¬
herbergt, — es iſt noch nie ein lieberer Gaſt über meine
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zählte mir, daß er ein Sohn des Königs Laertes ſey; ich

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[278/0300] er ſein Sohn, und ins Land der Väter zurückgekehrt ſey. Doch konnte er der Verſuchung nicht widerſtehen, auch den Vater auszuforſchen, und mit leiſem Tadel ſein Herz auf die Probe zu ſtellen. So trat er denn während der Greis mit gebücktem Haupte eifrig die Erde um den jungen Baumſproß auflockerte, dieſem näher und begann alſo: „Greis, du ſcheinſt dich recht gut auf den Gartenbau zu verſtehen. Reben, Oliven-, Feigen-, Birn- und Aepfelbäume, alle ſind aufs beſte gepflegt; auch den Blumen- und Gemüßbeeten fehlt es nirgends an der nöthigen Sorge. Aber an Einem fehlt es dir doch, und nimm es mir nicht übel, daß ich dirs ehrlich ſage: du ſelbſt ſcheinſt nicht gehörig gepflegt zu werden, Alter, daß du in ſolchem Schmutz und ſo häßlicher Kleidung einhergeheſt! Von deinem Herrn iſt das nicht wohlge¬ than. Auch ſcheint mir deine eigene Trägheit nicht an dieſer Behandlung ſchuld zu ſeyn. Betrachtet man deine Geſtalt und Größe, ſo findet ſich gar nichts knechti¬ ſches an dir, du haſt vielmehr ein königliches Anſehen; ein Mann wie du verdiente es, gebadet und wohlgeſpeist auszuruhen, wie man's den Alten gönnen mag. So ſage mir doch, wer iſt dein Herr, und für wen beſtellſt du dieſen Garten? Und iſt dieſes Land wirklich Ithaka, wie mir ein Mann, dem ich eben begegnete, geſagt hat? es war übrigens ein unfreundlicher Menſch; er antwor¬ tete mir nicht einmal, als ich ihn fragte, ob der Gaſt¬ freund noch lebe, den ich hier beſuchen will. In meiner Heimath habe ich nämlich vor langer Zeit einen Mann be¬ herbergt, — es iſt noch nie ein lieberer Gaſt über meine Schwelle gekommen. Dieſer ſtammte von Ithaka und er¬ zählte mir, daß er ein Sohn des Königs Laertes ſey; ich

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/300>, abgerufen am 22.11.2024.