Freier in den äußersten Winkel des Saals: bald aber wagten sie sich wieder hervor und zogen die Speere aus den Leichnamen. Dann schoßen sie neue Lanzen ab; die meisten fehlten wieder, nur der Speer des Amphimedon streifte dem Telemach die Knöchelhaut an der einen Hand, und des Ktesippus Lanze ritzte dem Sauhirten die Schul¬ ter über dem Schild. Beide wurden zum Lohne von den Verletzten durch Lanzenwürfe getödtet, und der Sau¬ hirt begleitete seinen Wurf mit den Worten: "Nimm dieß, du Lästerer, für den Kuhfuß, mit dem du meinen Herrn beschenktest, als er noch im Saale bettelte."
Den Eurydamas hatte der Wurf des Odysseus nie¬ dergestreckt. Jetzt erstach er mit der Lanze Agelaus, den Sohn des Damaster; Telemach jagte dem Leokritus den Speer durch den Bauch; Athene schüttelte ihren verderb¬ lichen Aegisschild von der Decke herab, und jagte den Freiern Entsetzen ein, daß sie wie Kinder, von der Bremse gestochen, oder wie kleine Vögel vor den Klauen des Habichts, im Saale hin und her irrten. Odysseus und seine Freunde waren von der Schwelle herabgesprungen, und durchwütheten mit Morden den Saal, daß überall Schädel krachten, Röcheln sich erhob, und der Boden von Blute floß.
Einer der Freier, Leiodes, warf sich dem Odysseus zu Füßen, umklammerte seine Knie und rief: "Erbarme dich! nie habe ich Muthwillen in deinem Hause getrie¬ ben, habe die Andern gezähmt, aber sie folgten mir nicht! Ich bin ihr Opferer und habe nichts gethan, soll ich denn auch fallen?" "Wenn du ihr Opferer bist," erwiederte Odysseus finster, "so hast du wenigstens für sie gebetet!" und nun raffte er das Schwert des
Freier in den äußerſten Winkel des Saals: bald aber wagten ſie ſich wieder hervor und zogen die Speere aus den Leichnamen. Dann ſchoßen ſie neue Lanzen ab; die meiſten fehlten wieder, nur der Speer des Amphimedon ſtreifte dem Telemach die Knöchelhaut an der einen Hand, und des Kteſippus Lanze ritzte dem Sauhirten die Schul¬ ter über dem Schild. Beide wurden zum Lohne von den Verletzten durch Lanzenwürfe getödtet, und der Sau¬ hirt begleitete ſeinen Wurf mit den Worten: „Nimm dieß, du Läſterer, für den Kuhfuß, mit dem du meinen Herrn beſchenkteſt, als er noch im Saale bettelte.“
Den Eurydamas hatte der Wurf des Odyſſeus nie¬ dergeſtreckt. Jetzt erſtach er mit der Lanze Agelaus, den Sohn des Damaſter; Telemach jagte dem Leokritus den Speer durch den Bauch; Athene ſchüttelte ihren verderb¬ lichen Aegisſchild von der Decke herab, und jagte den Freiern Entſetzen ein, daß ſie wie Kinder, von der Bremſe geſtochen, oder wie kleine Vögel vor den Klauen des Habichts, im Saale hin und her irrten. Odyſſeus und ſeine Freunde waren von der Schwelle herabgeſprungen, und durchwütheten mit Morden den Saal, daß überall Schädel krachten, Röcheln ſich erhob, und der Boden von Blute floß.
Einer der Freier, Leiodes, warf ſich dem Odyſſeus zu Füßen, umklammerte ſeine Knie und rief: „Erbarme dich! nie habe ich Muthwillen in deinem Hauſe getrie¬ ben, habe die Andern gezähmt, aber ſie folgten mir nicht! Ich bin ihr Opferer und habe nichts gethan, ſoll ich denn auch fallen?“ „Wenn du ihr Opferer biſt,“ erwiederte Odyſſeus finſter, „ſo haſt du wenigſtens für ſie gebetet!“ und nun raffte er das Schwert des
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Freier in den äußerſten Winkel des Saals: bald aber
wagten ſie ſich wieder hervor und zogen die Speere aus
den Leichnamen. Dann ſchoßen ſie neue Lanzen ab; die
meiſten fehlten wieder, nur der Speer des Amphimedon
ſtreifte dem Telemach die Knöchelhaut an der einen Hand,
und des Kteſippus Lanze ritzte dem Sauhirten die Schul¬
ter über dem Schild. Beide wurden zum Lohne von
den Verletzten durch Lanzenwürfe getödtet, und der Sau¬
hirt begleitete ſeinen Wurf mit den Worten: „Nimm
dieß, du Läſterer, für den Kuhfuß, mit dem du meinen
Herrn beſchenkteſt, als er noch im Saale bettelte.“
Den Eurydamas hatte der Wurf des Odyſſeus nie¬
dergeſtreckt. Jetzt erſtach er mit der Lanze Agelaus, den
Sohn des Damaſter; Telemach jagte dem Leokritus den
Speer durch den Bauch; Athene ſchüttelte ihren verderb¬
lichen Aegisſchild von der Decke herab, und jagte den
Freiern Entſetzen ein, daß ſie wie Kinder, von der Bremſe
geſtochen, oder wie kleine Vögel vor den Klauen des
Habichts, im Saale hin und her irrten. Odyſſeus und
ſeine Freunde waren von der Schwelle herabgeſprungen,
und durchwütheten mit Morden den Saal, daß überall
Schädel krachten, Röcheln ſich erhob, und der Boden
von Blute floß.
Einer der Freier, Leiodes, warf ſich dem Odyſſeus
zu Füßen, umklammerte ſeine Knie und rief: „Erbarme
dich! nie habe ich Muthwillen in deinem Hauſe getrie¬
ben, habe die Andern gezähmt, aber ſie folgten mir
nicht! Ich bin ihr Opferer und habe nichts gethan,
ſoll ich denn auch fallen?“ „Wenn du ihr Opferer
biſt,“ erwiederte Odyſſeus finſter, „ſo haſt du wenigſtens
für ſie gebetet!“ und nun raffte er das Schwert des
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/287>, abgerufen am 22.11.2024.
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