daß nur schlechte Männer, von denen keiner vermocht hat, den Bogen des unsterblichen Helden zu spannen, um seine Gattin geworben haben: zuletzt aber sey ein Bettler aus der Fremde gekommen, der habe den Bogen ohne Anstrengung gespannt, und durch die Aexte ge¬ schossen!" "Der Fremdling ist nicht so schlecht, als ihr wähnet," sprach darauf Penelope; "sehet ihn nur recht an, wie groß und gedrungen sein Gliederbau ist! Auch er rühmt sich eines edlen Mannes als Erzeugers. So gebet ihm denn den Bogen: spannt er ihn, so soll er nichts weiter von mir haben, als Mantel und Leibrock, Speer und Schwert, und Sohlen unter die Füße. Da¬ mit mag er hinziehen, wohin sein Herz begehrt." Nun fiel Telemachus ein und sagte: "Mutter, über den Bogen hat kein Achaier zu gebieten, als ich, und keiner soll mich mit Gewalt davon abhalten, und wollte ich ihn dem Fremdling auf der Stelle schenken, damit in die weite Welt zu gehen. Du aber, Mutter, geh' in dein Frauengemach zu Webestuhl und Spindel, das Geschoß gebührt den Männern." Staunend fügte sich Penelope der entschlossenen Rede des verständigen Sohns.
Und nun brachte der Sauhirt den Bogen, während die Freier ein wüthendes Geschrei erhoben: "Wohin mit dem Geschoß, du Rasender? Juckt es dich, von deinen eigenen Hunden bei den Schweineställen zerrissen zu wer¬ den?" Erschrocken legte er den Bogen von sich; aber Telemach rief mit drohender Stimme: "Hierher mit dem Bogen, Alter, du hast nur Einem zu gehorchen, sonst jage ich dich mit Steinen hinaus, obgleich ich der Jün¬ gere bin. Wäre ich nur den Freiern überlegen, wie ich dir es bin!" Die Freier lachten, und ließen von ihrem
Schwab, das klass. Alterthum. III. 17
daß nur ſchlechte Männer, von denen keiner vermocht hat, den Bogen des unſterblichen Helden zu ſpannen, um ſeine Gattin geworben haben: zuletzt aber ſey ein Bettler aus der Fremde gekommen, der habe den Bogen ohne Anſtrengung geſpannt, und durch die Aexte ge¬ ſchoſſen!“ „Der Fremdling iſt nicht ſo ſchlecht, als ihr wähnet,“ ſprach darauf Penelope; „ſehet ihn nur recht an, wie groß und gedrungen ſein Gliederbau iſt! Auch er rühmt ſich eines edlen Mannes als Erzeugers. So gebet ihm denn den Bogen: ſpannt er ihn, ſo ſoll er nichts weiter von mir haben, als Mantel und Leibrock, Speer und Schwert, und Sohlen unter die Füße. Da¬ mit mag er hinziehen, wohin ſein Herz begehrt.“ Nun fiel Telemachus ein und ſagte: „Mutter, über den Bogen hat kein Achaier zu gebieten, als ich, und keiner ſoll mich mit Gewalt davon abhalten, und wollte ich ihn dem Fremdling auf der Stelle ſchenken, damit in die weite Welt zu gehen. Du aber, Mutter, geh' in dein Frauengemach zu Webeſtuhl und Spindel, das Geſchoß gebührt den Männern.“ Staunend fügte ſich Penelope der entſchloſſenen Rede des verſtändigen Sohns.
Und nun brachte der Sauhirt den Bogen, während die Freier ein wüthendes Geſchrei erhoben: „Wohin mit dem Geſchoß, du Raſender? Juckt es dich, von deinen eigenen Hunden bei den Schweineſtällen zerriſſen zu wer¬ den?“ Erſchrocken legte er den Bogen von ſich; aber Telemach rief mit drohender Stimme: „Hierher mit dem Bogen, Alter, du haſt nur Einem zu gehorchen, ſonſt jage ich dich mit Steinen hinaus, obgleich ich der Jün¬ gere bin. Wäre ich nur den Freiern überlegen, wie ich dir es bin!“ Die Freier lachten, und ließen von ihrem
Schwab, das klaſſ. Alterthum. III. 17
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daß nur ſchlechte Männer, von denen keiner vermocht
hat, den Bogen des unſterblichen Helden zu ſpannen,
um ſeine Gattin geworben haben: zuletzt aber ſey ein
Bettler aus der Fremde gekommen, der habe den Bogen
ohne Anſtrengung geſpannt, und durch die Aexte ge¬
ſchoſſen!“ „Der Fremdling iſt nicht ſo ſchlecht, als ihr
wähnet,“ ſprach darauf Penelope; „ſehet ihn nur recht
an, wie groß und gedrungen ſein Gliederbau iſt! Auch
er rühmt ſich eines edlen Mannes als Erzeugers. So
gebet ihm denn den Bogen: ſpannt er ihn, ſo ſoll er
nichts weiter von mir haben, als Mantel und Leibrock,
Speer und Schwert, und Sohlen unter die Füße. Da¬
mit mag er hinziehen, wohin ſein Herz begehrt.“ Nun
fiel Telemachus ein und ſagte: „Mutter, über den Bogen
hat kein Achaier zu gebieten, als ich, und keiner ſoll
mich mit Gewalt davon abhalten, und wollte ich ihn
dem Fremdling auf der Stelle ſchenken, damit in die
weite Welt zu gehen. Du aber, Mutter, geh' in dein
Frauengemach zu Webeſtuhl und Spindel, das Geſchoß
gebührt den Männern.“ Staunend fügte ſich Penelope
der entſchloſſenen Rede des verſtändigen Sohns.
Und nun brachte der Sauhirt den Bogen, während
die Freier ein wüthendes Geſchrei erhoben: „Wohin mit
dem Geſchoß, du Raſender? Juckt es dich, von deinen
eigenen Hunden bei den Schweineſtällen zerriſſen zu wer¬
den?“ Erſchrocken legte er den Bogen von ſich; aber
Telemach rief mit drohender Stimme: „Hierher mit dem
Bogen, Alter, du haſt nur Einem zu gehorchen, ſonſt
jage ich dich mit Steinen hinaus, obgleich ich der Jün¬
gere bin. Wäre ich nur den Freiern überlegen, wie ich
dir es bin!“ Die Freier lachten, und ließen von ihrem
Schwab, das klaſſ. Alterthum. III. 17
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/279>, abgerufen am 25.11.2024.
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