Also sprechend, lehnte er Bogen und Pfeil an den Thür¬ pfosten, und setzte sich wieder nieder auf den Thron¬ sessel, von dem er aufgestanden war.
Mit triumphirender Miene erhob sich jetzt Antinous und sprach: "Auf denn, ihr Freunde, fangt an dort hinten, von der Linken zur Rechten, wie der Weinschenke den Umgang hält!" Da stand zuerst Leiodes auf, der ihr Opferer war, und immer zu hinterst im Winkel am großen Mischkruge saß; er war der einzige, dem der Unfug der Freier zuwider war, und der die ganze Rotte haßte. Dieser trat in die Schwelle und bemühte sich ver¬ gebens, den Bogen zu spannen. "Thu' es ein Anderer," rief er, indem er die Hände schlaff herabsinken ließ, "ich bin der Rechte nicht! und vielleicht ist keiner in der Runde, der es vermag." Mit diesen Worten lehnte er Bogen und Köcher an den Pfosten. Aber Antinous schalt ihn und sprach: "Das ist eine ärgerliche Rede, Leiodes, weil Du ihn nicht spannen kannst, soll es auch kein Anderer vermögen? Auf, Melanthius," sagte er dann zum Ziegenhirten, "zünd' ein Feuer an, stell' uns den Sessel davor, und bring uns eine tüchtige Scheibe Speck aus der Kammer, da wollen wir den ausgedörr¬ ten Bogen wärmen und salben, dann soll es besser gehen!" Es geschah, wie er befohlen, aber es war vergebens. Umsonst bemühte sich ein Freier nach dem andern, den Bogen zu spannen. Zuletzt waren nur noch die beiden tapfersten, Antinous und Eurymachus, übrig.
Alſo ſprechend, lehnte er Bogen und Pfeil an den Thür¬ pfoſten, und ſetzte ſich wieder nieder auf den Thron¬ ſeſſel, von dem er aufgeſtanden war.
Mit triumphirender Miene erhob ſich jetzt Antinous und ſprach: „Auf denn, ihr Freunde, fangt an dort hinten, von der Linken zur Rechten, wie der Weinſchenke den Umgang hält!“ Da ſtand zuerſt Leiodes auf, der ihr Opferer war, und immer zu hinterſt im Winkel am großen Miſchkruge ſaß; er war der einzige, dem der Unfug der Freier zuwider war, und der die ganze Rotte haßte. Dieſer trat in die Schwelle und bemühte ſich ver¬ gebens, den Bogen zu ſpannen. „Thu' es ein Anderer,“ rief er, indem er die Hände ſchlaff herabſinken ließ, „ich bin der Rechte nicht! und vielleicht iſt keiner in der Runde, der es vermag.“ Mit dieſen Worten lehnte er Bogen und Köcher an den Pfoſten. Aber Antinous ſchalt ihn und ſprach: „Das iſt eine ärgerliche Rede, Leiodes, weil Du ihn nicht ſpannen kannſt, ſoll es auch kein Anderer vermögen? Auf, Melanthius,“ ſagte er dann zum Ziegenhirten, „zünd' ein Feuer an, ſtell' uns den Seſſel davor, und bring uns eine tüchtige Scheibe Speck aus der Kammer, da wollen wir den ausgedörr¬ ten Bogen wärmen und ſalben, dann ſoll es beſſer gehen!“ Es geſchah, wie er befohlen, aber es war vergebens. Umſonſt bemühte ſich ein Freier nach dem andern, den Bogen zu ſpannen. Zuletzt waren nur noch die beiden tapferſten, Antinous und Eurymachus, übrig.
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Alſo ſprechend, lehnte er Bogen und Pfeil an den Thür¬
pfoſten, und ſetzte ſich wieder nieder auf den Thron¬
ſeſſel, von dem er aufgeſtanden war.
Mit triumphirender Miene erhob ſich jetzt Antinous
und ſprach: „Auf denn, ihr Freunde, fangt an dort
hinten, von der Linken zur Rechten, wie der Weinſchenke
den Umgang hält!“ Da ſtand zuerſt Leiodes auf, der
ihr Opferer war, und immer zu hinterſt im Winkel am
großen Miſchkruge ſaß; er war der einzige, dem der
Unfug der Freier zuwider war, und der die ganze Rotte
haßte. Dieſer trat in die Schwelle und bemühte ſich ver¬
gebens, den Bogen zu ſpannen. „Thu' es ein Anderer,“
rief er, indem er die Hände ſchlaff herabſinken ließ, „ich
bin der Rechte nicht! und vielleicht iſt keiner in der
Runde, der es vermag.“ Mit dieſen Worten lehnte er
Bogen und Köcher an den Pfoſten. Aber Antinous
ſchalt ihn und ſprach: „Das iſt eine ärgerliche Rede,
Leiodes, weil Du ihn nicht ſpannen kannſt, ſoll es auch
kein Anderer vermögen? Auf, Melanthius,“ ſagte er
dann zum Ziegenhirten, „zünd' ein Feuer an, ſtell' uns
den Seſſel davor, und bring uns eine tüchtige Scheibe
Speck aus der Kammer, da wollen wir den ausgedörr¬
ten Bogen wärmen und ſalben, dann ſoll es beſſer gehen!“
Es geſchah, wie er befohlen, aber es war vergebens.
Umſonſt bemühte ſich ein Freier nach dem andern, den
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/275>, abgerufen am 25.11.2024.
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