ich längst vor Aerger aus diesem Lande geflohen, wenn ich nicht immer noch hoffte, Odysseus kehre dereinst zurück, und jage diesen Schwarm auseinander." "Kuh¬ hirt," erwiederte ihm Odysseus, "du scheinst kein schlechter Mann zu seyn; ja beim Jupiter schwöre ich dir, heute noch, und so lange du im Palaste bist, kehrt Odysseus heim, und deine Augen werden es schauen, wie er die Freier abschlachtet!" "Möchte Jupiter es wahr machen," sagte der Rinderhirt, "meine Hände sollten auch dabei nicht feiern!"
Der Festschmaus.
Die Freier, nachdem sie in ihrer Versammlung sich über Telemachs Ermordung besprochen, kamen allmählig auch im Palaste an. Sie legten ihre Mäntel ab, die Thiere wurden geschlachtet, gebraten und vertheilt; Die¬ ner mischten den Wein in Krügen, der Sauhirt reichte die Becher umher, Philötius in zierlichen Körben die Brode, den Wein schenkte Melanthius, und das allge¬ meine Mahl begann.
Den Odysseus setzte Telemachus absichtlich an die Schwelle des Saales auf einen schlechteren Stuhl, und stellte einen armseligen Tisch davor. Hier ließ er ihm gebratenes Eingeweide auftragen, füllte seinen Becher mit Wein, und sprach: "Hier schmause ruhig, und ich rathe Niemanden, dich zu schmähen!" Antinous selbst ermahnte seine Freunde, den Fremdling gewähren zu lassen, denn er merkte wohl, daß derselbe unter Jupiters
ich längſt vor Aerger aus dieſem Lande geflohen, wenn ich nicht immer noch hoffte, Odyſſeus kehre dereinſt zurück, und jage dieſen Schwarm auseinander.“ „Kuh¬ hirt,“ erwiederte ihm Odyſſeus, „du ſcheinſt kein ſchlechter Mann zu ſeyn; ja beim Jupiter ſchwöre ich dir, heute noch, und ſo lange du im Palaſte biſt, kehrt Odyſſeus heim, und deine Augen werden es ſchauen, wie er die Freier abſchlachtet!“ „Möchte Jupiter es wahr machen,“ ſagte der Rinderhirt, „meine Hände ſollten auch dabei nicht feiern!“
Der Feſtſchmaus.
Die Freier, nachdem ſie in ihrer Verſammlung ſich über Telemachs Ermordung beſprochen, kamen allmählig auch im Palaſte an. Sie legten ihre Mäntel ab, die Thiere wurden geſchlachtet, gebraten und vertheilt; Die¬ ner miſchten den Wein in Krügen, der Sauhirt reichte die Becher umher, Philötius in zierlichen Körben die Brode, den Wein ſchenkte Melanthius, und das allge¬ meine Mahl begann.
Den Odyſſeus ſetzte Telemachus abſichtlich an die Schwelle des Saales auf einen ſchlechteren Stuhl, und ſtellte einen armſeligen Tiſch davor. Hier ließ er ihm gebratenes Eingeweide auftragen, füllte ſeinen Becher mit Wein, und ſprach: „Hier ſchmauſe ruhig, und ich rathe Niemanden, dich zu ſchmähen!“ Antinous ſelbſt ermahnte ſeine Freunde, den Fremdling gewähren zu laſſen, denn er merkte wohl, daß derſelbe unter Jupiters
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ich längſt vor Aerger aus dieſem Lande geflohen, wenn
ich nicht immer noch hoffte, Odyſſeus kehre dereinſt
zurück, und jage dieſen Schwarm auseinander.“ „Kuh¬
hirt,“ erwiederte ihm Odyſſeus, „du ſcheinſt kein ſchlechter
Mann zu ſeyn; ja beim Jupiter ſchwöre ich dir, heute
noch, und ſo lange du im Palaſte biſt, kehrt Odyſſeus
heim, und deine Augen werden es ſchauen, wie er die
Freier abſchlachtet!“ „Möchte Jupiter es wahr machen,“
ſagte der Rinderhirt, „meine Hände ſollten auch dabei
nicht feiern!“
Der Feſtſchmaus.
Die Freier, nachdem ſie in ihrer Verſammlung ſich
über Telemachs Ermordung beſprochen, kamen allmählig
auch im Palaſte an. Sie legten ihre Mäntel ab, die
Thiere wurden geſchlachtet, gebraten und vertheilt; Die¬
ner miſchten den Wein in Krügen, der Sauhirt reichte
die Becher umher, Philötius in zierlichen Körben die
Brode, den Wein ſchenkte Melanthius, und das allge¬
meine Mahl begann.
Den Odyſſeus ſetzte Telemachus abſichtlich an die
Schwelle des Saales auf einen ſchlechteren Stuhl, und
ſtellte einen armſeligen Tiſch davor. Hier ließ er ihm
gebratenes Eingeweide auftragen, füllte ſeinen Becher
mit Wein, und ſprach: „Hier ſchmauſe ruhig, und ich
rathe Niemanden, dich zu ſchmähen!“ Antinous ſelbſt
ermahnte ſeine Freunde, den Fremdling gewähren zu
laſſen, denn er merkte wohl, daß derſelbe unter Jupiters
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/269>, abgerufen am 22.11.2024.
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