Wasser zu schöpfen. Auch die Diener der Freier kamen heran, und spalteten Holz in der Vorhalle. Der Sau¬ hirt kam mit den fettesten Schweinen herbei, und grüßte seinen alten Gast aufs Freundlichste. Melanthius mit zwei Gaishirten, brachte die auserlesensten Ziegen, die von den Knechten in der Halle angebunden wurden. Dieser sprach im Vorübergehen zu Odysseus mit höhni¬ schem Ton: "Alter Bettler, bist du immer noch da, und weichst nicht von der Thüre? wir nehmen wahrschein¬ lich nicht Abschied von einander, bevor du meine Fäuste gekostet! Gibt es denn gar keine andere Schmäuse, denen du nachzuziehen hast?" Odysseus erwiederte auf diese Schmähworte nichts, sondern schüttelte nur das Haupt.
Nun betrat ein ehrlicher Mann den Palast: es war Philötius, der den Freiern ein Rind und gemästete Ziegen zu Schiffe herbeigebracht hatte. Dieser sprach im Vorübergehen zu dem Sauhirten: "Eumäus, wer ist doch der Fremdling, der jüngst in dieses Haus kam? er gleicht an Gestalt ganz und gar unserm König Odysseus. Geschieht es doch wohl, daß das Elend auch einmal Könige zu Bettlern umgestaltet!" Dann nahte er sich dem verkleideten Helden mit einem Handschlage und sprach: "Fremder Vater, so unglücklich du scheinest, so möge es dir wenigstens in Zukunft wohl ergehen! Mich überlief der Schweiß, als ich dich sah, und Thrä¬ nen traten mir in die Augen, denn ich mußte an Odys¬ seus gedenken, der jetzt wohl auch, in Lumpen gehüllt, in der Welt umherirrt, wenn er anders noch lebt! Schon als Jüngling hat er mich zum Hüter seiner Rinder ge¬ macht, deren Zucht vortrefflich gedeiht, leider aber muß ich sie Andern zum Schmause daherführen! Auch wäre
Waſſer zu ſchöpfen. Auch die Diener der Freier kamen heran, und ſpalteten Holz in der Vorhalle. Der Sau¬ hirt kam mit den fetteſten Schweinen herbei, und grüßte ſeinen alten Gaſt aufs Freundlichſte. Melanthius mit zwei Gaishirten, brachte die auserleſenſten Ziegen, die von den Knechten in der Halle angebunden wurden. Dieſer ſprach im Vorübergehen zu Odyſſeus mit höhni¬ ſchem Ton: „Alter Bettler, biſt du immer noch da, und weichſt nicht von der Thüre? wir nehmen wahrſchein¬ lich nicht Abſchied von einander, bevor du meine Fäuſte gekoſtet! Gibt es denn gar keine andere Schmäuſe, denen du nachzuziehen haſt?“ Odyſſeus erwiederte auf dieſe Schmähworte nichts, ſondern ſchüttelte nur das Haupt.
Nun betrat ein ehrlicher Mann den Palaſt: es war Philötius, der den Freiern ein Rind und gemäſtete Ziegen zu Schiffe herbeigebracht hatte. Dieſer ſprach im Vorübergehen zu dem Sauhirten: „Eumäus, wer iſt doch der Fremdling, der jüngſt in dieſes Haus kam? er gleicht an Geſtalt ganz und gar unſerm König Odyſſeus. Geſchieht es doch wohl, daß das Elend auch einmal Könige zu Bettlern umgeſtaltet!“ Dann nahte er ſich dem verkleideten Helden mit einem Handſchlage und ſprach: „Fremder Vater, ſo unglücklich du ſcheineſt, ſo möge es dir wenigſtens in Zukunft wohl ergehen! Mich überlief der Schweiß, als ich dich ſah, und Thrä¬ nen traten mir in die Augen, denn ich mußte an Odyſ¬ ſeus gedenken, der jetzt wohl auch, in Lumpen gehüllt, in der Welt umherirrt, wenn er anders noch lebt! Schon als Jüngling hat er mich zum Hüter ſeiner Rinder ge¬ macht, deren Zucht vortrefflich gedeiht, leider aber muß ich ſie Andern zum Schmauſe daherführen! Auch wäre
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Waſſer zu ſchöpfen. Auch die Diener der Freier kamen
heran, und ſpalteten Holz in der Vorhalle. Der Sau¬
hirt kam mit den fetteſten Schweinen herbei, und grüßte
ſeinen alten Gaſt aufs Freundlichſte. Melanthius mit
zwei Gaishirten, brachte die auserleſenſten Ziegen,
die von den Knechten in der Halle angebunden wurden.
Dieſer ſprach im Vorübergehen zu Odyſſeus mit höhni¬
ſchem Ton: „Alter Bettler, biſt du immer noch da, und
weichſt nicht von der Thüre? wir nehmen wahrſchein¬
lich nicht Abſchied von einander, bevor du meine Fäuſte
gekoſtet! Gibt es denn gar keine andere Schmäuſe, denen
du nachzuziehen haſt?“ Odyſſeus erwiederte auf dieſe
Schmähworte nichts, ſondern ſchüttelte nur das Haupt.
Nun betrat ein ehrlicher Mann den Palaſt: es
war Philötius, der den Freiern ein Rind und gemäſtete
Ziegen zu Schiffe herbeigebracht hatte. Dieſer ſprach
im Vorübergehen zu dem Sauhirten: „Eumäus, wer
iſt doch der Fremdling, der jüngſt in dieſes Haus kam?
er gleicht an Geſtalt ganz und gar unſerm König
Odyſſeus. Geſchieht es doch wohl, daß das Elend auch
einmal Könige zu Bettlern umgeſtaltet!“ Dann nahte
er ſich dem verkleideten Helden mit einem Handſchlage
und ſprach: „Fremder Vater, ſo unglücklich du ſcheineſt,
ſo möge es dir wenigſtens in Zukunft wohl ergehen!
Mich überlief der Schweiß, als ich dich ſah, und Thrä¬
nen traten mir in die Augen, denn ich mußte an Odyſ¬
ſeus gedenken, der jetzt wohl auch, in Lumpen gehüllt,
in der Welt umherirrt, wenn er anders noch lebt! Schon
als Jüngling hat er mich zum Hüter ſeiner Rinder ge¬
macht, deren Zucht vortrefflich gedeiht, leider aber muß
ich ſie Andern zum Schmauſe daherführen! Auch wäre
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/268>, abgerufen am 22.11.2024.
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