Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

die ganze Nacht durch gemahlen, blickte zum Himmel
empor und rief: "Wie doch Jupiter donnert, und ist
weit und breit kein Gewölk zu sehen! er hat wohl irgend
einem Sterblichen ein Zeichen gewährt! O Vater der
Götter und Menschen, möchtest du auch meinen Wunsch
erfüllen, und die verfluchten Freier vertilgen, die mich
Tag und Nacht in der Mühle das Mehl zu ihren Schmäu¬
sen bereiten lassen!" Odysseus freute sich der guten Vor¬
bedeutung, und kehrte in den Palast zurück.

Hier wurde es allmählig laut, die Mägde kamen
und zündeten das Feuer auf dem Heerd an; Telemach
warf sich in die Kleider, trat an die Schwelle der Frauen¬
gemächer, und rief der Schaffnerin mit verstellten Wor¬
ten: "Mütterchen, habt ihr den Gast auch mit Speise
und Lager geehrt, oder liegt er unbeachtet da? Die
Mutter scheint mir ganz die Besinnung verloren zu haben,
daß sie den schlechten Freiern so viel Ehre erweist, und
den besseren Mann ungeehrt läßt!" "Du thust meiner
Herrin Unrecht," antwortete Euryklea, "der Fremdling
trank so lange und so viel Wein, als ihm beliebte, und
Speise verlangte er auch keine mehr. Man bot ihm
ein köstliches Lager an, aber er verschmähte es, mit
Mühe ließ er sich ein schlechteres gefallen."

Nun eilte Telemach, von seinen Hunden begleitet,
auf den Markt in die Volksversammlung. Die Schaff¬
nerin aber befahl den Mägden, Alles zu dem bevorste¬
denden Schmause des Neumondfestes zuzubereiten, und
nun legten die Einen purpurne Teppiche auf die schmu¬
cken Sessel, Andere scheuerten die Tische mit Schwäm¬
men, wieder Andere reinigten die Mischkrüge und die
Becher, und ihrer zwanzig eilten an den Quellbrunnen,

die ganze Nacht durch gemahlen, blickte zum Himmel
empor und rief: „Wie doch Jupiter donnert, und iſt
weit und breit kein Gewölk zu ſehen! er hat wohl irgend
einem Sterblichen ein Zeichen gewährt! O Vater der
Götter und Menſchen, möchteſt du auch meinen Wunſch
erfüllen, und die verfluchten Freier vertilgen, die mich
Tag und Nacht in der Mühle das Mehl zu ihren Schmäu¬
ſen bereiten laſſen!“ Odyſſeus freute ſich der guten Vor¬
bedeutung, und kehrte in den Palaſt zurück.

Hier wurde es allmählig laut, die Mägde kamen
und zündeten das Feuer auf dem Heerd an; Telemach
warf ſich in die Kleider, trat an die Schwelle der Frauen¬
gemächer, und rief der Schaffnerin mit verſtellten Wor¬
ten: „Mütterchen, habt ihr den Gaſt auch mit Speiſe
und Lager geehrt, oder liegt er unbeachtet da? Die
Mutter ſcheint mir ganz die Beſinnung verloren zu haben,
daß ſie den ſchlechten Freiern ſo viel Ehre erweist, und
den beſſeren Mann ungeehrt läßt!“ „Du thuſt meiner
Herrin Unrecht,“ antwortete Euryklea, „der Fremdling
trank ſo lange und ſo viel Wein, als ihm beliebte, und
Speiſe verlangte er auch keine mehr. Man bot ihm
ein köſtliches Lager an, aber er verſchmähte es, mit
Mühe ließ er ſich ein ſchlechteres gefallen.“

Nun eilte Telemach, von ſeinen Hunden begleitet,
auf den Markt in die Volksverſammlung. Die Schaff¬
nerin aber befahl den Mägden, Alles zu dem bevorſte¬
denden Schmauſe des Neumondfeſtes zuzubereiten, und
nun legten die Einen purpurne Teppiche auf die ſchmu¬
cken Seſſel, Andere ſcheuerten die Tiſche mit Schwäm¬
men, wieder Andere reinigten die Miſchkrüge und die
Becher, und ihrer zwanzig eilten an den Quellbrunnen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0267" n="245"/>
die ganze Nacht durch gemahlen, blickte zum Himmel<lb/>
empor und rief: &#x201E;Wie doch Jupiter donnert, und i&#x017F;t<lb/>
weit und breit kein Gewölk zu &#x017F;ehen! er hat wohl irgend<lb/>
einem Sterblichen ein Zeichen gewährt! O Vater der<lb/>
Götter und Men&#x017F;chen, möchte&#x017F;t du auch meinen Wun&#x017F;ch<lb/>
erfüllen, und die verfluchten Freier vertilgen, die mich<lb/>
Tag und Nacht in der Mühle das Mehl zu ihren Schmäu¬<lb/>
&#x017F;en bereiten la&#x017F;&#x017F;en!&#x201C; Ody&#x017F;&#x017F;eus freute &#x017F;ich der guten Vor¬<lb/>
bedeutung, und kehrte in den Pala&#x017F;t zurück.</p><lb/>
            <p>Hier wurde es allmählig laut, die Mägde kamen<lb/>
und zündeten das Feuer auf dem Heerd an; Telemach<lb/>
warf &#x017F;ich in die Kleider, trat an die Schwelle der Frauen¬<lb/>
gemächer, und rief der Schaffnerin mit ver&#x017F;tellten Wor¬<lb/>
ten: &#x201E;Mütterchen, habt ihr den Ga&#x017F;t auch mit Spei&#x017F;e<lb/>
und Lager geehrt, oder liegt er unbeachtet da? Die<lb/>
Mutter &#x017F;cheint mir ganz die Be&#x017F;innung verloren zu haben,<lb/>
daß &#x017F;ie den &#x017F;chlechten Freiern &#x017F;o viel Ehre erweist, und<lb/>
den be&#x017F;&#x017F;eren Mann ungeehrt läßt!&#x201C; &#x201E;Du thu&#x017F;t meiner<lb/>
Herrin Unrecht,&#x201C; antwortete Euryklea, &#x201E;der Fremdling<lb/>
trank &#x017F;o lange und &#x017F;o viel Wein, als ihm beliebte, und<lb/>
Spei&#x017F;e verlangte er auch keine mehr. Man bot ihm<lb/>
ein kö&#x017F;tliches Lager an, aber er ver&#x017F;chmähte es, mit<lb/>
Mühe ließ er &#x017F;ich ein &#x017F;chlechteres gefallen.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Nun eilte Telemach, von &#x017F;einen Hunden begleitet,<lb/>
auf den Markt in die Volksver&#x017F;ammlung. Die Schaff¬<lb/>
nerin aber befahl den Mägden, Alles zu dem bevor&#x017F;te¬<lb/>
denden Schmau&#x017F;e des Neumondfe&#x017F;tes zuzubereiten, und<lb/>
nun legten die Einen purpurne Teppiche auf die &#x017F;chmu¬<lb/>
cken Se&#x017F;&#x017F;el, Andere &#x017F;cheuerten die Ti&#x017F;che mit Schwäm¬<lb/>
men, wieder Andere reinigten die Mi&#x017F;chkrüge und die<lb/>
Becher, und ihrer zwanzig eilten an den Quellbrunnen,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[245/0267] die ganze Nacht durch gemahlen, blickte zum Himmel empor und rief: „Wie doch Jupiter donnert, und iſt weit und breit kein Gewölk zu ſehen! er hat wohl irgend einem Sterblichen ein Zeichen gewährt! O Vater der Götter und Menſchen, möchteſt du auch meinen Wunſch erfüllen, und die verfluchten Freier vertilgen, die mich Tag und Nacht in der Mühle das Mehl zu ihren Schmäu¬ ſen bereiten laſſen!“ Odyſſeus freute ſich der guten Vor¬ bedeutung, und kehrte in den Palaſt zurück. Hier wurde es allmählig laut, die Mägde kamen und zündeten das Feuer auf dem Heerd an; Telemach warf ſich in die Kleider, trat an die Schwelle der Frauen¬ gemächer, und rief der Schaffnerin mit verſtellten Wor¬ ten: „Mütterchen, habt ihr den Gaſt auch mit Speiſe und Lager geehrt, oder liegt er unbeachtet da? Die Mutter ſcheint mir ganz die Beſinnung verloren zu haben, daß ſie den ſchlechten Freiern ſo viel Ehre erweist, und den beſſeren Mann ungeehrt läßt!“ „Du thuſt meiner Herrin Unrecht,“ antwortete Euryklea, „der Fremdling trank ſo lange und ſo viel Wein, als ihm beliebte, und Speiſe verlangte er auch keine mehr. Man bot ihm ein köſtliches Lager an, aber er verſchmähte es, mit Mühe ließ er ſich ein ſchlechteres gefallen.“ Nun eilte Telemach, von ſeinen Hunden begleitet, auf den Markt in die Volksverſammlung. Die Schaff¬ nerin aber befahl den Mägden, Alles zu dem bevorſte¬ denden Schmauſe des Neumondfeſtes zuzubereiten, und nun legten die Einen purpurne Teppiche auf die ſchmu¬ cken Seſſel, Andere ſcheuerten die Tiſche mit Schwäm¬ men, wieder Andere reinigten die Miſchkrüge und die Becher, und ihrer zwanzig eilten an den Quellbrunnen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/267
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/267>, abgerufen am 22.11.2024.