Neuem: "Jetzt muß ich dich doch auch ein wenig pfrüfen, Fremdling, ob es wirklich wahr ist, wie du erzählest, daß du meinen Gemahl in deinem Hause bewirthet hast. Sage mir doch, welches Gewand er trug, wie er aus¬ sah, wie sein Gefolge war." "Du verlangst etwas Schwe¬ res nach so langer Trennung," erwiederte Odysseus, "denn es geht nun ins zwanzigste Jahr, daß der Held bei uns auf Kreta landete. Doch soviel ich mich erinnere, war sein Kleid zwiefach, purpurn, von langer Wolle, eine goldene Spange daran, die mit doppelten Röhren schloß; vorn war ein prächtiges Stickwerk angebracht, ein Rehlein, das zwischen den Vorderklauen eines Hun¬ des zappelte; unter dein Purpurmantel schaute der feinste schneeweiße Leibrock hervor. Ein bucklichter Herold mit einem Lockenhaar und braunem Gesichte, Namens Eury¬ bates, folgte ihm." Von Neuem mußte die Königin weinen, denn alle Zeichen trafen genau ein. Odysseus tröstete sie mit einem neuen Mährchen, in das er jedoch manche Wahrheit einmischte, von seiner Landung auf Thrinakia, und seinem Aufenthalt im Lande der Phäaken. Das Alles wollte der Bettler vom Könige der Thespro¬ ten wissen, wo Odysseus vor seiner Reise zum Orakel nach Dodona sich zuletzt aufgehalten, und große Schätze hinterlegt habe, die der Bettler selbst gesehen zu haben vorgab. Somit sey seine Rückkunft so gut als gewiß.
Aber seine Worte vermochten Penelope nicht zu über¬ zeugen. "Mir ahnet im Geiste," sprach sie mit gesenktem Haupte, "daß das niemals geschehen wird." Sie wollte nun den Mägden befehlen, dem Fremdling die Füße zu waschen, und ihm ein gutes warmes Lager zu bereiten. Odysseus schlug jedoch den Dienst von den verhaßten
Neuem: „Jetzt muß ich dich doch auch ein wenig pfrüfen, Fremdling, ob es wirklich wahr iſt, wie du erzähleſt, daß du meinen Gemahl in deinem Hauſe bewirthet haſt. Sage mir doch, welches Gewand er trug, wie er aus¬ ſah, wie ſein Gefolge war.“ „Du verlangſt etwas Schwe¬ res nach ſo langer Trennung,“ erwiederte Odyſſeus, „denn es geht nun ins zwanzigſte Jahr, daß der Held bei uns auf Kreta landete. Doch ſoviel ich mich erinnere, war ſein Kleid zwiefach, purpurn, von langer Wolle, eine goldene Spange daran, die mit doppelten Röhren ſchloß; vorn war ein prächtiges Stickwerk angebracht, ein Rehlein, das zwiſchen den Vorderklauen eines Hun¬ des zappelte; unter dein Purpurmantel ſchaute der feinſte ſchneeweiße Leibrock hervor. Ein bucklichter Herold mit einem Lockenhaar und braunem Geſichte, Namens Eury¬ bates, folgte ihm.“ Von Neuem mußte die Königin weinen, denn alle Zeichen trafen genau ein. Odyſſeus tröſtete ſie mit einem neuen Mährchen, in das er jedoch manche Wahrheit einmiſchte, von ſeiner Landung auf Thrinakia, und ſeinem Aufenthalt im Lande der Phäaken. Das Alles wollte der Bettler vom Könige der Thespro¬ ten wiſſen, wo Odyſſeus vor ſeiner Reiſe zum Orakel nach Dodona ſich zuletzt aufgehalten, und große Schätze hinterlegt habe, die der Bettler ſelbſt geſehen zu haben vorgab. Somit ſey ſeine Rückkunft ſo gut als gewiß.
Aber ſeine Worte vermochten Penelope nicht zu über¬ zeugen. „Mir ahnet im Geiſte,“ ſprach ſie mit geſenktem Haupte, „daß das niemals geſchehen wird.“ Sie wollte nun den Mägden befehlen, dem Fremdling die Füße zu waſchen, und ihm ein gutes warmes Lager zu bereiten. Odyſſeus ſchlug jedoch den Dienſt von den verhaßten
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Neuem: „Jetzt muß ich dich doch auch ein wenig pfrüfen,
Fremdling, ob es wirklich wahr iſt, wie du erzähleſt,
daß du meinen Gemahl in deinem Hauſe bewirthet haſt.
Sage mir doch, welches Gewand er trug, wie er aus¬
ſah, wie ſein Gefolge war.“ „Du verlangſt etwas Schwe¬
res nach ſo langer Trennung,“ erwiederte Odyſſeus,
„denn es geht nun ins zwanzigſte Jahr, daß der Held
bei uns auf Kreta landete. Doch ſoviel ich mich erinnere,
war ſein Kleid zwiefach, purpurn, von langer Wolle,
eine goldene Spange daran, die mit doppelten Röhren
ſchloß; vorn war ein prächtiges Stickwerk angebracht,
ein Rehlein, das zwiſchen den Vorderklauen eines Hun¬
des zappelte; unter dein Purpurmantel ſchaute der feinſte
ſchneeweiße Leibrock hervor. Ein bucklichter Herold mit
einem Lockenhaar und braunem Geſichte, Namens Eury¬
bates, folgte ihm.“ Von Neuem mußte die Königin
weinen, denn alle Zeichen trafen genau ein. Odyſſeus
tröſtete ſie mit einem neuen Mährchen, in das er jedoch
manche Wahrheit einmiſchte, von ſeiner Landung auf
Thrinakia, und ſeinem Aufenthalt im Lande der Phäaken.
Das Alles wollte der Bettler vom Könige der Thespro¬
ten wiſſen, wo Odyſſeus vor ſeiner Reiſe zum Orakel
nach Dodona ſich zuletzt aufgehalten, und große Schätze
hinterlegt habe, die der Bettler ſelbſt geſehen zu haben
vorgab. Somit ſey ſeine Rückkunft ſo gut als gewiß.
Aber ſeine Worte vermochten Penelope nicht zu über¬
zeugen. „Mir ahnet im Geiſte,“ ſprach ſie mit geſenktem
Haupte, „daß das niemals geſchehen wird.“ Sie wollte
nun den Mägden befehlen, dem Fremdling die Füße zu
waſchen, und ihm ein gutes warmes Lager zu bereiten.
Odyſſeus ſchlug jedoch den Dienſt von den verhaßten
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/261>, abgerufen am 22.11.2024.
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