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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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Als es dunkel wurde, stellten die Mägde drei Feuer¬
lampen zur Beleuchtung im Saale umher, und legten
getrocknete Scheiter, mit Kienspänen gemischt, hinein.
Während sie nun in die Wette die Glut anfachten, ge¬
sellte sich Odysseus zu ihnen und sagte: "Ihr Mägde
des Odysseus, des allzu lange abwesenden Herrn, höret,
euch ziemete besser, droben bei eurer ehrwürdigen Fürstin
zu sitzen, die Spindel zu drehen und Wolle zu kämmen.
Für das Feuer im Saale lasset mich sorgen! Und blieben
die Freier bis zum hellen Morgen da, ich will nicht
müde werden; ich bin ans Dulden gewöhnt!"

Die Mägde sahen einander an und schlugen ein Ge¬
lächter auf. Endlich sprach eine junge schöne Dienerin,
Melantho, welche von Penelope wie ein Kind aufge¬
zogen worden, die aber jetzt mit dem Freier Eurymachus
in schändlichem Einverständnisse lebte, die frechen Schmäh¬
worte: "Du elender Bettler, du bist ein rechter Narr,
daß du nicht in eine Schmiedeesse, oder andere Herberge
schlafen gehest, und hier, wo so viel edlere Männer sind
als du, uns Gesetze vorschreiben willst. Sprichst du im
Rausche, oder bist du beständig ein solcher Thor? oder
schwindelt dir, weil du den Irus besiegt hast? Nimm
dich in Acht, daß nicht ein Besserer sich erhebt, dir Rechts
und Links mit derber Hand das Haupt zerschlägt, und
dich von Blute triefend aus dem Palaste verstößt!"
"Hündin," antwortete Odysseus finster, "ich gehe, deine
frechen Worte dem Telemach zu melden, daß er dich in
Stücke zerhaue." Die Mägde meinten, er habe im Ernste
geredet, und sein Wort scheuchte sie auseinander, daß
sie mit bebenden Knieen aus dem Saale flohen. Nun
stellte sich Odysseus selbst ans Geschirr, fachte die Flammen

Als es dunkel wurde, ſtellten die Mägde drei Feuer¬
lampen zur Beleuchtung im Saale umher, und legten
getrocknete Scheiter, mit Kienſpänen gemiſcht, hinein.
Während ſie nun in die Wette die Glut anfachten, ge¬
ſellte ſich Odyſſeus zu ihnen und ſagte: „Ihr Mägde
des Odyſſeus, des allzu lange abweſenden Herrn, höret,
euch ziemete beſſer, droben bei eurer ehrwürdigen Fürſtin
zu ſitzen, die Spindel zu drehen und Wolle zu kämmen.
Für das Feuer im Saale laſſet mich ſorgen! Und blieben
die Freier bis zum hellen Morgen da, ich will nicht
müde werden; ich bin ans Dulden gewöhnt!“

Die Mägde ſahen einander an und ſchlugen ein Ge¬
lächter auf. Endlich ſprach eine junge ſchöne Dienerin,
Melantho, welche von Penelope wie ein Kind aufge¬
zogen worden, die aber jetzt mit dem Freier Eurymachus
in ſchändlichem Einverſtändniſſe lebte, die frechen Schmäh¬
worte: „Du elender Bettler, du biſt ein rechter Narr,
daß du nicht in eine Schmiedeeſſe, oder andere Herberge
ſchlafen geheſt, und hier, wo ſo viel edlere Männer ſind
als du, uns Geſetze vorſchreiben willſt. Sprichſt du im
Rauſche, oder biſt du beſtändig ein ſolcher Thor? oder
ſchwindelt dir, weil du den Irus beſiegt haſt? Nimm
dich in Acht, daß nicht ein Beſſerer ſich erhebt, dir Rechts
und Links mit derber Hand das Haupt zerſchlägt, und
dich von Blute triefend aus dem Palaſte verſtößt!“
„Hündin,“ antwortete Odyſſeus finſter, „ich gehe, deine
frechen Worte dem Telemach zu melden, daß er dich in
Stücke zerhaue.“ Die Mägde meinten, er habe im Ernſte
geredet, und ſein Wort ſcheuchte ſie auseinander, daß
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ſtellte ſich Odyſſeus ſelbſt ans Geſchirr, fachte die Flammen

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[233/0255] Als es dunkel wurde, ſtellten die Mägde drei Feuer¬ lampen zur Beleuchtung im Saale umher, und legten getrocknete Scheiter, mit Kienſpänen gemiſcht, hinein. Während ſie nun in die Wette die Glut anfachten, ge¬ ſellte ſich Odyſſeus zu ihnen und ſagte: „Ihr Mägde des Odyſſeus, des allzu lange abweſenden Herrn, höret, euch ziemete beſſer, droben bei eurer ehrwürdigen Fürſtin zu ſitzen, die Spindel zu drehen und Wolle zu kämmen. Für das Feuer im Saale laſſet mich ſorgen! Und blieben die Freier bis zum hellen Morgen da, ich will nicht müde werden; ich bin ans Dulden gewöhnt!“ Die Mägde ſahen einander an und ſchlugen ein Ge¬ lächter auf. Endlich ſprach eine junge ſchöne Dienerin, Melantho, welche von Penelope wie ein Kind aufge¬ zogen worden, die aber jetzt mit dem Freier Eurymachus in ſchändlichem Einverſtändniſſe lebte, die frechen Schmäh¬ worte: „Du elender Bettler, du biſt ein rechter Narr, daß du nicht in eine Schmiedeeſſe, oder andere Herberge ſchlafen geheſt, und hier, wo ſo viel edlere Männer ſind als du, uns Geſetze vorſchreiben willſt. Sprichſt du im Rauſche, oder biſt du beſtändig ein ſolcher Thor? oder ſchwindelt dir, weil du den Irus beſiegt haſt? Nimm dich in Acht, daß nicht ein Beſſerer ſich erhebt, dir Rechts und Links mit derber Hand das Haupt zerſchlägt, und dich von Blute triefend aus dem Palaſte verſtößt!“ „Hündin,“ antwortete Odyſſeus finſter, „ich gehe, deine frechen Worte dem Telemach zu melden, daß er dich in Stücke zerhaue.“ Die Mägde meinten, er habe im Ernſte geredet, und ſein Wort ſcheuchte ſie auseinander, daß ſie mit bebenden Knieen aus dem Saale flohen. Nun ſtellte ſich Odyſſeus ſelbſt ans Geſchirr, fachte die Flammen

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/255>, abgerufen am 25.11.2024.