Als es dunkel wurde, stellten die Mägde drei Feuer¬ lampen zur Beleuchtung im Saale umher, und legten getrocknete Scheiter, mit Kienspänen gemischt, hinein. Während sie nun in die Wette die Glut anfachten, ge¬ sellte sich Odysseus zu ihnen und sagte: "Ihr Mägde des Odysseus, des allzu lange abwesenden Herrn, höret, euch ziemete besser, droben bei eurer ehrwürdigen Fürstin zu sitzen, die Spindel zu drehen und Wolle zu kämmen. Für das Feuer im Saale lasset mich sorgen! Und blieben die Freier bis zum hellen Morgen da, ich will nicht müde werden; ich bin ans Dulden gewöhnt!"
Die Mägde sahen einander an und schlugen ein Ge¬ lächter auf. Endlich sprach eine junge schöne Dienerin, Melantho, welche von Penelope wie ein Kind aufge¬ zogen worden, die aber jetzt mit dem Freier Eurymachus in schändlichem Einverständnisse lebte, die frechen Schmäh¬ worte: "Du elender Bettler, du bist ein rechter Narr, daß du nicht in eine Schmiedeesse, oder andere Herberge schlafen gehest, und hier, wo so viel edlere Männer sind als du, uns Gesetze vorschreiben willst. Sprichst du im Rausche, oder bist du beständig ein solcher Thor? oder schwindelt dir, weil du den Irus besiegt hast? Nimm dich in Acht, daß nicht ein Besserer sich erhebt, dir Rechts und Links mit derber Hand das Haupt zerschlägt, und dich von Blute triefend aus dem Palaste verstößt!" "Hündin," antwortete Odysseus finster, "ich gehe, deine frechen Worte dem Telemach zu melden, daß er dich in Stücke zerhaue." Die Mägde meinten, er habe im Ernste geredet, und sein Wort scheuchte sie auseinander, daß sie mit bebenden Knieen aus dem Saale flohen. Nun stellte sich Odysseus selbst ans Geschirr, fachte die Flammen
Als es dunkel wurde, ſtellten die Mägde drei Feuer¬ lampen zur Beleuchtung im Saale umher, und legten getrocknete Scheiter, mit Kienſpänen gemiſcht, hinein. Während ſie nun in die Wette die Glut anfachten, ge¬ ſellte ſich Odyſſeus zu ihnen und ſagte: „Ihr Mägde des Odyſſeus, des allzu lange abweſenden Herrn, höret, euch ziemete beſſer, droben bei eurer ehrwürdigen Fürſtin zu ſitzen, die Spindel zu drehen und Wolle zu kämmen. Für das Feuer im Saale laſſet mich ſorgen! Und blieben die Freier bis zum hellen Morgen da, ich will nicht müde werden; ich bin ans Dulden gewöhnt!“
Die Mägde ſahen einander an und ſchlugen ein Ge¬ lächter auf. Endlich ſprach eine junge ſchöne Dienerin, Melantho, welche von Penelope wie ein Kind aufge¬ zogen worden, die aber jetzt mit dem Freier Eurymachus in ſchändlichem Einverſtändniſſe lebte, die frechen Schmäh¬ worte: „Du elender Bettler, du biſt ein rechter Narr, daß du nicht in eine Schmiedeeſſe, oder andere Herberge ſchlafen geheſt, und hier, wo ſo viel edlere Männer ſind als du, uns Geſetze vorſchreiben willſt. Sprichſt du im Rauſche, oder biſt du beſtändig ein ſolcher Thor? oder ſchwindelt dir, weil du den Irus beſiegt haſt? Nimm dich in Acht, daß nicht ein Beſſerer ſich erhebt, dir Rechts und Links mit derber Hand das Haupt zerſchlägt, und dich von Blute triefend aus dem Palaſte verſtößt!“ „Hündin,“ antwortete Odyſſeus finſter, „ich gehe, deine frechen Worte dem Telemach zu melden, daß er dich in Stücke zerhaue.“ Die Mägde meinten, er habe im Ernſte geredet, und ſein Wort ſcheuchte ſie auseinander, daß ſie mit bebenden Knieen aus dem Saale flohen. Nun ſtellte ſich Odyſſeus ſelbſt ans Geſchirr, fachte die Flammen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0255"n="233"/>
Als es dunkel wurde, ſtellten die Mägde drei Feuer¬<lb/>
lampen zur Beleuchtung im Saale umher, und legten<lb/>
getrocknete Scheiter, mit Kienſpänen gemiſcht, hinein.<lb/>
Während ſie nun in die Wette die Glut anfachten, ge¬<lb/>ſellte ſich Odyſſeus zu ihnen und ſagte: „Ihr Mägde<lb/>
des Odyſſeus, des allzu lange abweſenden Herrn, höret,<lb/>
euch ziemete beſſer, droben bei eurer ehrwürdigen Fürſtin<lb/>
zu ſitzen, die Spindel zu drehen und Wolle zu kämmen.<lb/>
Für das Feuer im Saale laſſet mich ſorgen! Und blieben<lb/>
die Freier bis zum hellen Morgen da, ich will nicht<lb/>
müde werden; ich bin ans Dulden gewöhnt!“</p><lb/><p>Die Mägde ſahen einander an und ſchlugen ein Ge¬<lb/>
lächter auf. Endlich ſprach eine junge ſchöne Dienerin,<lb/>
Melantho, welche von Penelope wie ein Kind aufge¬<lb/>
zogen worden, die aber jetzt mit dem Freier Eurymachus<lb/>
in ſchändlichem Einverſtändniſſe lebte, die frechen Schmäh¬<lb/>
worte: „Du elender Bettler, du biſt ein rechter Narr,<lb/>
daß du nicht in eine Schmiedeeſſe, oder andere Herberge<lb/>ſchlafen geheſt, und hier, wo ſo viel edlere Männer ſind<lb/>
als du, uns Geſetze vorſchreiben willſt. Sprichſt du im<lb/>
Rauſche, oder biſt du beſtändig ein ſolcher Thor? oder<lb/>ſchwindelt dir, weil du den Irus beſiegt haſt? Nimm<lb/>
dich in Acht, daß nicht ein Beſſerer ſich erhebt, dir Rechts<lb/>
und Links mit derber Hand das Haupt zerſchlägt, und<lb/>
dich von Blute triefend aus dem Palaſte verſtößt!“<lb/>„Hündin,“ antwortete Odyſſeus finſter, „ich gehe, deine<lb/>
frechen Worte dem Telemach zu melden, daß er dich in<lb/>
Stücke zerhaue.“ Die Mägde meinten, er habe im Ernſte<lb/>
geredet, und ſein Wort ſcheuchte ſie auseinander, daß<lb/>ſie mit bebenden Knieen aus dem Saale flohen. Nun<lb/>ſtellte ſich Odyſſeus ſelbſt ans Geſchirr, fachte die Flammen<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[233/0255]
Als es dunkel wurde, ſtellten die Mägde drei Feuer¬
lampen zur Beleuchtung im Saale umher, und legten
getrocknete Scheiter, mit Kienſpänen gemiſcht, hinein.
Während ſie nun in die Wette die Glut anfachten, ge¬
ſellte ſich Odyſſeus zu ihnen und ſagte: „Ihr Mägde
des Odyſſeus, des allzu lange abweſenden Herrn, höret,
euch ziemete beſſer, droben bei eurer ehrwürdigen Fürſtin
zu ſitzen, die Spindel zu drehen und Wolle zu kämmen.
Für das Feuer im Saale laſſet mich ſorgen! Und blieben
die Freier bis zum hellen Morgen da, ich will nicht
müde werden; ich bin ans Dulden gewöhnt!“
Die Mägde ſahen einander an und ſchlugen ein Ge¬
lächter auf. Endlich ſprach eine junge ſchöne Dienerin,
Melantho, welche von Penelope wie ein Kind aufge¬
zogen worden, die aber jetzt mit dem Freier Eurymachus
in ſchändlichem Einverſtändniſſe lebte, die frechen Schmäh¬
worte: „Du elender Bettler, du biſt ein rechter Narr,
daß du nicht in eine Schmiedeeſſe, oder andere Herberge
ſchlafen geheſt, und hier, wo ſo viel edlere Männer ſind
als du, uns Geſetze vorſchreiben willſt. Sprichſt du im
Rauſche, oder biſt du beſtändig ein ſolcher Thor? oder
ſchwindelt dir, weil du den Irus beſiegt haſt? Nimm
dich in Acht, daß nicht ein Beſſerer ſich erhebt, dir Rechts
und Links mit derber Hand das Haupt zerſchlägt, und
dich von Blute triefend aus dem Palaſte verſtößt!“
„Hündin,“ antwortete Odyſſeus finſter, „ich gehe, deine
frechen Worte dem Telemach zu melden, daß er dich in
Stücke zerhaue.“ Die Mägde meinten, er habe im Ernſte
geredet, und ſein Wort ſcheuchte ſie auseinander, daß
ſie mit bebenden Knieen aus dem Saale flohen. Nun
ſtellte ſich Odyſſeus ſelbſt ans Geſchirr, fachte die Flammen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/255>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.