mit Fett und Blut gefüllt war, Amphinomus aber brachte zwei Brode aus dem Korb herbei, füllte einen Becher mit Wein, und trank ihn unter Handschlag dem Sieger zu, indem er sagte: "Auf dein Wohlergehen, fremder Vater, mögest du künftig von aller Trübsal frei seyn!" Odysseus blickte ihm ernsthaft ins Auge und erwiederte: "Amphinomus, du scheinst mir ein recht verständiger Jüngling zu seyn, und bist eines angesehenen Mannes Kind. Nimm dir mein Wort zu Herzen! Es giebt nichts Eitleres und Unbeständigeres auf Erden, als der Mensch ist; so lang ihn die Götter begünstigen, meint er, die Zukunft könne ihm nichts Böses bringen; und wenn nun das Traurige kommt, so findet er keinen Muth in sich, es zu ertragen. Ich selbst habe das erfahren, und habe, im Vertrauen auf meine Jugendstärke, in glücklichen Tagen auch manches gethan, was ich nicht hätte sollen. Drum warne ich einen Jeden, im Uebermuthe nicht zu freveln, und rathe ihm, die Gaben der Götter in Demuth zu empfangen. So ist es auch nicht klug, daß die Freier sich jetzt so trotzig geberden, und der Gattin des Mannes so viel Schmach anthun, der schwer¬ lich lange mehr von seiner Heimath entfernt, der viel¬ leicht so nahe ist! Möge dich, Amphinomus, ein guter Dämon aus dem Hause hinwegführen, ehe du Jenem begegnest!" So sprach Odysseus, goß eine Spende aus, trank und gab dann den Becher dem Jüngling zurück. Der Freier senkte nachdenklich sein Haupt, und schritt betrübt durch den Saal, als ahnete ihm etwas Schlim¬ mes. Dennoch entrann er dem Verhängnisse nicht, das ihm Athene bestimmt hatte.
mit Fett und Blut gefüllt war, Amphinomus aber brachte zwei Brode aus dem Korb herbei, füllte einen Becher mit Wein, und trank ihn unter Handſchlag dem Sieger zu, indem er ſagte: „Auf dein Wohlergehen, fremder Vater, mögeſt du künftig von aller Trübſal frei ſeyn!“ Odyſſeus blickte ihm ernſthaft ins Auge und erwiederte: „Amphinomus, du ſcheinſt mir ein recht verſtändiger Jüngling zu ſeyn, und biſt eines angeſehenen Mannes Kind. Nimm dir mein Wort zu Herzen! Es giebt nichts Eitleres und Unbeſtändigeres auf Erden, als der Menſch iſt; ſo lang ihn die Götter begünſtigen, meint er, die Zukunft könne ihm nichts Böſes bringen; und wenn nun das Traurige kommt, ſo findet er keinen Muth in ſich, es zu ertragen. Ich ſelbſt habe das erfahren, und habe, im Vertrauen auf meine Jugendſtärke, in glücklichen Tagen auch manches gethan, was ich nicht hätte ſollen. Drum warne ich einen Jeden, im Uebermuthe nicht zu freveln, und rathe ihm, die Gaben der Götter in Demuth zu empfangen. So iſt es auch nicht klug, daß die Freier ſich jetzt ſo trotzig geberden, und der Gattin des Mannes ſo viel Schmach anthun, der ſchwer¬ lich lange mehr von ſeiner Heimath entfernt, der viel¬ leicht ſo nahe iſt! Möge dich, Amphinomus, ein guter Dämon aus dem Hauſe hinwegführen, ehe du Jenem begegneſt!“ So ſprach Odyſſeus, goß eine Spende aus, trank und gab dann den Becher dem Jüngling zurück. Der Freier ſenkte nachdenklich ſein Haupt, und ſchritt betrübt durch den Saal, als ahnete ihm etwas Schlim¬ mes. Dennoch entrann er dem Verhängniſſe nicht, das ihm Athene beſtimmt hatte.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0250"n="228"/>
mit Fett und Blut gefüllt war, Amphinomus aber brachte<lb/>
zwei Brode aus dem Korb herbei, füllte einen Becher<lb/>
mit Wein, und trank ihn unter Handſchlag dem Sieger<lb/>
zu, indem er ſagte: „Auf dein Wohlergehen, fremder<lb/>
Vater, mögeſt du künftig von aller Trübſal frei ſeyn!“<lb/>
Odyſſeus blickte ihm ernſthaft ins Auge und erwiederte:<lb/>„Amphinomus, du ſcheinſt mir ein recht verſtändiger<lb/>
Jüngling zu ſeyn, und biſt eines angeſehenen Mannes<lb/>
Kind. Nimm dir mein Wort zu Herzen! Es giebt<lb/>
nichts Eitleres und Unbeſtändigeres auf Erden, als der<lb/>
Menſch iſt; ſo lang ihn die Götter begünſtigen, meint<lb/>
er, die Zukunft könne ihm nichts Böſes bringen; und<lb/>
wenn nun das Traurige kommt, ſo findet er keinen Muth<lb/>
in ſich, es zu ertragen. Ich ſelbſt habe das erfahren,<lb/>
und habe, im Vertrauen auf meine Jugendſtärke, in<lb/>
glücklichen Tagen auch manches gethan, was ich nicht<lb/>
hätte ſollen. Drum warne ich einen Jeden, im Uebermuthe<lb/>
nicht zu freveln, und rathe ihm, die Gaben der Götter<lb/>
in Demuth zu empfangen. So iſt es auch nicht klug,<lb/>
daß die Freier ſich jetzt ſo trotzig geberden, und der<lb/>
Gattin des Mannes ſo viel Schmach anthun, der ſchwer¬<lb/>
lich lange mehr von ſeiner Heimath entfernt, der viel¬<lb/>
leicht ſo nahe iſt! Möge dich, Amphinomus, ein guter<lb/>
Dämon aus dem Hauſe hinwegführen, ehe du Jenem<lb/>
begegneſt!“ So ſprach Odyſſeus, goß eine Spende aus,<lb/>
trank und gab dann den Becher dem Jüngling zurück.<lb/>
Der Freier ſenkte nachdenklich ſein Haupt, und ſchritt<lb/>
betrübt durch den Saal, als ahnete ihm etwas Schlim¬<lb/>
mes. Dennoch entrann er dem Verhängniſſe nicht, das<lb/>
ihm Athene beſtimmt hatte.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></div></div></body></text></TEI>
[228/0250]
mit Fett und Blut gefüllt war, Amphinomus aber brachte
zwei Brode aus dem Korb herbei, füllte einen Becher
mit Wein, und trank ihn unter Handſchlag dem Sieger
zu, indem er ſagte: „Auf dein Wohlergehen, fremder
Vater, mögeſt du künftig von aller Trübſal frei ſeyn!“
Odyſſeus blickte ihm ernſthaft ins Auge und erwiederte:
„Amphinomus, du ſcheinſt mir ein recht verſtändiger
Jüngling zu ſeyn, und biſt eines angeſehenen Mannes
Kind. Nimm dir mein Wort zu Herzen! Es giebt
nichts Eitleres und Unbeſtändigeres auf Erden, als der
Menſch iſt; ſo lang ihn die Götter begünſtigen, meint
er, die Zukunft könne ihm nichts Böſes bringen; und
wenn nun das Traurige kommt, ſo findet er keinen Muth
in ſich, es zu ertragen. Ich ſelbſt habe das erfahren,
und habe, im Vertrauen auf meine Jugendſtärke, in
glücklichen Tagen auch manches gethan, was ich nicht
hätte ſollen. Drum warne ich einen Jeden, im Uebermuthe
nicht zu freveln, und rathe ihm, die Gaben der Götter
in Demuth zu empfangen. So iſt es auch nicht klug,
daß die Freier ſich jetzt ſo trotzig geberden, und der
Gattin des Mannes ſo viel Schmach anthun, der ſchwer¬
lich lange mehr von ſeiner Heimath entfernt, der viel¬
leicht ſo nahe iſt! Möge dich, Amphinomus, ein guter
Dämon aus dem Hauſe hinwegführen, ehe du Jenem
begegneſt!“ So ſprach Odyſſeus, goß eine Spende aus,
trank und gab dann den Becher dem Jüngling zurück.
Der Freier ſenkte nachdenklich ſein Haupt, und ſchritt
betrübt durch den Saal, als ahnete ihm etwas Schlim¬
mes. Dennoch entrann er dem Verhängniſſe nicht, das
ihm Athene beſtimmt hatte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/250>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.