Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

nach Epirus zum König Echetus, dem Schrecken aller
Menschen: der wird dir Nase und Ohren abschneiden
und sie den Hunden vorwerfen!" So schrie Antinous,
Jenem aber zitterten die Glieder nur noch mehr. Den¬
noch führte man ihn hervor, und beide erhuben ihre
Hände zum Kampf. Odysseus besann sich einen Augen¬
blick, ob er den Elenden mit einem einzigen Streiche
tödten sollte, oder ihm nur einen sanften Schlag ver¬
setzen, um keinen Argwohn bei den Freiern zu erwecken.
Das letztere schien ihm klüger, und so gab er ihm denn,
als beide hintereinander gekommen waren und Irus ihn
mit der Faust rechts auf die Schulter getroffen hatte, nur
eine leichte Schlappe hinter das Ohr. Dennoch zerbrach
er ihm den Knochen, daß das Blut aus dem Munde schoß,
und Irus sich zähneklappend und zappelnd auf dem Bo¬
den wand. Unter unbändigem Lachen und Klatschen der
Freier zog ihn Odysseus weg von der Pforte, zum Vor¬
hof und zum Hauptthore hinaus, lehnte ihn an die Hof¬
mauer, und indem er ihm den Stab in die Hände gab,
sprach er spottend: "Da bleib' du sitzen auf der Stelle,
und verscheuche Hunde und Schweine!" Dann kehrte
er in den Saal zurück und setzte sich mit seinem Ranzen
wieder auf die Schwelle.

Sein Sieg hatte den Freiern Achtung eingeflößt,
sie kamen lachend zu ihm her, reichten ihm die Hände
und sprachen: "Mögen dir Jupiter und die Götter geben,
was du begehrest, Fremdling, daß du uns den über¬
lästigen Burschen zur Ruhe gebracht hast, der nun zum
König Echetus wandern mag!" Odysseus ließ sich den
Wunsch als ein gutes Vorzeichen gefallen. Antinous
selbst legte ihm einen mächtigen Ziegenmagen vor, der

15 *

nach Epirus zum König Echetus, dem Schrecken aller
Menſchen: der wird dir Naſe und Ohren abſchneiden
und ſie den Hunden vorwerfen!“ So ſchrie Antinous,
Jenem aber zitterten die Glieder nur noch mehr. Den¬
noch führte man ihn hervor, und beide erhuben ihre
Hände zum Kampf. Odyſſeus beſann ſich einen Augen¬
blick, ob er den Elenden mit einem einzigen Streiche
tödten ſollte, oder ihm nur einen ſanften Schlag ver¬
ſetzen, um keinen Argwohn bei den Freiern zu erwecken.
Das letztere ſchien ihm klüger, und ſo gab er ihm denn,
als beide hintereinander gekommen waren und Irus ihn
mit der Fauſt rechts auf die Schulter getroffen hatte, nur
eine leichte Schlappe hinter das Ohr. Dennoch zerbrach
er ihm den Knochen, daß das Blut aus dem Munde ſchoß,
und Irus ſich zähneklappend und zappelnd auf dem Bo¬
den wand. Unter unbändigem Lachen und Klatſchen der
Freier zog ihn Odyſſeus weg von der Pforte, zum Vor¬
hof und zum Hauptthore hinaus, lehnte ihn an die Hof¬
mauer, und indem er ihm den Stab in die Hände gab,
ſprach er ſpottend: „Da bleib' du ſitzen auf der Stelle,
und verſcheuche Hunde und Schweine!“ Dann kehrte
er in den Saal zurück und ſetzte ſich mit ſeinem Ranzen
wieder auf die Schwelle.

Sein Sieg hatte den Freiern Achtung eingeflößt,
ſie kamen lachend zu ihm her, reichten ihm die Hände
und ſprachen: „Mögen dir Jupiter und die Götter geben,
was du begehreſt, Fremdling, daß du uns den über¬
läſtigen Burſchen zur Ruhe gebracht haſt, der nun zum
König Echetus wandern mag!“ Odyſſeus ließ ſich den
Wunſch als ein gutes Vorzeichen gefallen. Antinous
ſelbſt legte ihm einen mächtigen Ziegenmagen vor, der

15 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0249" n="227"/>
nach Epirus zum König Echetus, dem Schrecken aller<lb/>
Men&#x017F;chen: der wird dir Na&#x017F;e und Ohren ab&#x017F;chneiden<lb/>
und &#x017F;ie den Hunden vorwerfen!&#x201C; So &#x017F;chrie Antinous,<lb/>
Jenem aber zitterten die Glieder nur noch mehr. Den¬<lb/>
noch führte man ihn hervor, und beide erhuben ihre<lb/>
Hände zum Kampf. Ody&#x017F;&#x017F;eus be&#x017F;ann &#x017F;ich einen Augen¬<lb/>
blick, ob er den Elenden mit einem einzigen Streiche<lb/>
tödten &#x017F;ollte, oder ihm nur einen &#x017F;anften Schlag ver¬<lb/>
&#x017F;etzen, um keinen Argwohn bei den Freiern zu erwecken.<lb/>
Das letztere &#x017F;chien ihm klüger, und &#x017F;o gab er ihm denn,<lb/>
als beide hintereinander gekommen waren und Irus ihn<lb/>
mit der Fau&#x017F;t rechts auf die Schulter getroffen hatte, nur<lb/>
eine leichte Schlappe hinter das Ohr. Dennoch zerbrach<lb/>
er ihm den Knochen, daß das Blut aus dem Munde &#x017F;choß,<lb/>
und Irus &#x017F;ich zähneklappend und zappelnd auf dem Bo¬<lb/>
den wand. Unter unbändigem Lachen und Klat&#x017F;chen der<lb/>
Freier zog ihn Ody&#x017F;&#x017F;eus weg von der Pforte, zum Vor¬<lb/>
hof und zum Hauptthore hinaus, lehnte ihn an die Hof¬<lb/>
mauer, und indem er ihm den Stab in die Hände gab,<lb/>
&#x017F;prach er &#x017F;pottend: &#x201E;Da bleib' du &#x017F;itzen auf der Stelle,<lb/>
und ver&#x017F;cheuche Hunde und Schweine!&#x201C; Dann kehrte<lb/>
er in den Saal zurück und &#x017F;etzte &#x017F;ich mit &#x017F;einem Ranzen<lb/>
wieder auf die Schwelle.</p><lb/>
            <p>Sein Sieg hatte den Freiern Achtung eingeflößt,<lb/>
&#x017F;ie kamen lachend zu ihm her, reichten ihm die Hände<lb/>
und &#x017F;prachen: &#x201E;Mögen dir Jupiter und die Götter geben,<lb/>
was du begehre&#x017F;t, Fremdling, daß du uns den über¬<lb/>&#x017F;tigen Bur&#x017F;chen zur Ruhe gebracht ha&#x017F;t, der nun zum<lb/>
König Echetus wandern mag!&#x201C; Ody&#x017F;&#x017F;eus ließ &#x017F;ich den<lb/>
Wun&#x017F;ch als ein gutes Vorzeichen gefallen. Antinous<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t legte ihm einen mächtigen Ziegenmagen vor, der<lb/>
<fw type="sig" place="bottom">15 *<lb/></fw>
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[227/0249] nach Epirus zum König Echetus, dem Schrecken aller Menſchen: der wird dir Naſe und Ohren abſchneiden und ſie den Hunden vorwerfen!“ So ſchrie Antinous, Jenem aber zitterten die Glieder nur noch mehr. Den¬ noch führte man ihn hervor, und beide erhuben ihre Hände zum Kampf. Odyſſeus beſann ſich einen Augen¬ blick, ob er den Elenden mit einem einzigen Streiche tödten ſollte, oder ihm nur einen ſanften Schlag ver¬ ſetzen, um keinen Argwohn bei den Freiern zu erwecken. Das letztere ſchien ihm klüger, und ſo gab er ihm denn, als beide hintereinander gekommen waren und Irus ihn mit der Fauſt rechts auf die Schulter getroffen hatte, nur eine leichte Schlappe hinter das Ohr. Dennoch zerbrach er ihm den Knochen, daß das Blut aus dem Munde ſchoß, und Irus ſich zähneklappend und zappelnd auf dem Bo¬ den wand. Unter unbändigem Lachen und Klatſchen der Freier zog ihn Odyſſeus weg von der Pforte, zum Vor¬ hof und zum Hauptthore hinaus, lehnte ihn an die Hof¬ mauer, und indem er ihm den Stab in die Hände gab, ſprach er ſpottend: „Da bleib' du ſitzen auf der Stelle, und verſcheuche Hunde und Schweine!“ Dann kehrte er in den Saal zurück und ſetzte ſich mit ſeinem Ranzen wieder auf die Schwelle. Sein Sieg hatte den Freiern Achtung eingeflößt, ſie kamen lachend zu ihm her, reichten ihm die Hände und ſprachen: „Mögen dir Jupiter und die Götter geben, was du begehreſt, Fremdling, daß du uns den über¬ läſtigen Burſchen zur Ruhe gebracht haſt, der nun zum König Echetus wandern mag!“ Odyſſeus ließ ſich den Wunſch als ein gutes Vorzeichen gefallen. Antinous ſelbſt legte ihm einen mächtigen Ziegenmagen vor, der 15 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/249
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/249>, abgerufen am 23.11.2024.