Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht eine gute Vorbedeutung? rufe mir geschwind den
Fremdling herbei!"

Eumäus meldete dem Bettler den Befehl Penelope's,
dieser aber erwiederte: "Wie gerne möchte ich der Kö¬
nigin erzählen, was ich von Odysseus weiß; und ich
weiß viel von ihm: aber das Betragen der Freier flößt
mir Besorgniß ein. Eben jetzt, wo ich durch den Wurf
des bösen Mannes dort so schwer gekränkt worden bin,
hat sich weder Telemach noch ein Anderer meiner ange¬
nommen. Darum soll Penelope für jetzt ihr Verlangen
bewältigen, bis die Sonne untergegangen ist, dann soll
sie mich an ihren Heerd sitzen lassen, denn mich friert in
meinen Lumpen: so will ich ihr alles Mögliche erzählen."
So begierig Penelope auf den Fremdling war, so konnte
sie seinen Gründen doch nicht Unrecht geben, und be¬
schloß, sich zu gedulden.

Eumäus kehrte unter das Gewühl der Freier zurück
und flüsterte seinem jungen Herrn ins Ohr: "Ich will
mich jetzt wieder nach meinem Gehege aufmachen, Herr,
sorge du hier für das Nöthige, zumal aber für dich selbst,
und sey vor jeder Gefahr auf der Hut, welche von Sei¬
ten der arglistigen Freier dich bedrohen könnte." Auf
die Bitte Telemachs verweilte jedoch der Sauhirt noch
bei Tische, bis es Abend geworden war; dann brach er
auf und versprach, am frühen Morgen mit auserlesenen
Schweinen wieder zu kommen.


nicht eine gute Vorbedeutung? rufe mir geſchwind den
Fremdling herbei!“

Eumäus meldete dem Bettler den Befehl Penelope's,
dieſer aber erwiederte: „Wie gerne möchte ich der Kö¬
nigin erzählen, was ich von Odyſſeus weiß; und ich
weiß viel von ihm: aber das Betragen der Freier flößt
mir Beſorgniß ein. Eben jetzt, wo ich durch den Wurf
des böſen Mannes dort ſo ſchwer gekränkt worden bin,
hat ſich weder Telemach noch ein Anderer meiner ange¬
nommen. Darum ſoll Penelope für jetzt ihr Verlangen
bewältigen, bis die Sonne untergegangen iſt, dann ſoll
ſie mich an ihren Heerd ſitzen laſſen, denn mich friert in
meinen Lumpen: ſo will ich ihr alles Mögliche erzählen.“
So begierig Penelope auf den Fremdling war, ſo konnte
ſie ſeinen Gründen doch nicht Unrecht geben, und be¬
ſchloß, ſich zu gedulden.

Eumäus kehrte unter das Gewühl der Freier zurück
und flüſterte ſeinem jungen Herrn ins Ohr: „Ich will
mich jetzt wieder nach meinem Gehege aufmachen, Herr,
ſorge du hier für das Nöthige, zumal aber für dich ſelbſt,
und ſey vor jeder Gefahr auf der Hut, welche von Sei¬
ten der argliſtigen Freier dich bedrohen könnte.“ Auf
die Bitte Telemachs verweilte jedoch der Sauhirt noch
bei Tiſche, bis es Abend geworden war; dann brach er
auf und verſprach, am frühen Morgen mit auserleſenen
Schweinen wieder zu kommen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0246" n="224"/>
nicht eine gute Vorbedeutung? rufe mir ge&#x017F;chwind den<lb/>
Fremdling herbei!&#x201C;</p><lb/>
            <p>Eumäus meldete dem Bettler den Befehl Penelope's,<lb/>
die&#x017F;er aber erwiederte: &#x201E;Wie gerne möchte ich der Kö¬<lb/>
nigin erzählen, was ich von Ody&#x017F;&#x017F;eus weiß; und ich<lb/>
weiß viel von ihm: aber das Betragen der Freier flößt<lb/>
mir Be&#x017F;orgniß ein. Eben jetzt, wo ich durch den Wurf<lb/>
des bö&#x017F;en Mannes dort &#x017F;o &#x017F;chwer gekränkt worden bin,<lb/>
hat &#x017F;ich weder Telemach noch ein Anderer meiner ange¬<lb/>
nommen. Darum &#x017F;oll Penelope für jetzt ihr Verlangen<lb/>
bewältigen, bis die Sonne untergegangen i&#x017F;t, dann &#x017F;oll<lb/>
&#x017F;ie mich an ihren Heerd &#x017F;itzen la&#x017F;&#x017F;en, denn mich friert in<lb/>
meinen Lumpen: &#x017F;o will ich ihr alles Mögliche erzählen.&#x201C;<lb/>
So begierig Penelope auf den Fremdling war, &#x017F;o konnte<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;einen Gründen doch nicht Unrecht geben, und be¬<lb/>
&#x017F;chloß, &#x017F;ich zu gedulden.</p><lb/>
            <p>Eumäus kehrte unter das Gewühl der Freier zurück<lb/>
und flü&#x017F;terte &#x017F;einem jungen Herrn ins Ohr: &#x201E;Ich will<lb/>
mich jetzt wieder nach meinem Gehege aufmachen, Herr,<lb/>
&#x017F;orge du hier für das Nöthige, zumal aber für dich &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
und &#x017F;ey vor jeder Gefahr auf der Hut, welche von Sei¬<lb/>
ten der argli&#x017F;tigen Freier dich bedrohen könnte.&#x201C; Auf<lb/>
die Bitte Telemachs verweilte jedoch der Sauhirt noch<lb/>
bei Ti&#x017F;che, bis es Abend geworden war; dann brach er<lb/>
auf und ver&#x017F;prach, am frühen Morgen mit auserle&#x017F;enen<lb/>
Schweinen wieder zu kommen.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[224/0246] nicht eine gute Vorbedeutung? rufe mir geſchwind den Fremdling herbei!“ Eumäus meldete dem Bettler den Befehl Penelope's, dieſer aber erwiederte: „Wie gerne möchte ich der Kö¬ nigin erzählen, was ich von Odyſſeus weiß; und ich weiß viel von ihm: aber das Betragen der Freier flößt mir Beſorgniß ein. Eben jetzt, wo ich durch den Wurf des böſen Mannes dort ſo ſchwer gekränkt worden bin, hat ſich weder Telemach noch ein Anderer meiner ange¬ nommen. Darum ſoll Penelope für jetzt ihr Verlangen bewältigen, bis die Sonne untergegangen iſt, dann ſoll ſie mich an ihren Heerd ſitzen laſſen, denn mich friert in meinen Lumpen: ſo will ich ihr alles Mögliche erzählen.“ So begierig Penelope auf den Fremdling war, ſo konnte ſie ſeinen Gründen doch nicht Unrecht geben, und be¬ ſchloß, ſich zu gedulden. Eumäus kehrte unter das Gewühl der Freier zurück und flüſterte ſeinem jungen Herrn ins Ohr: „Ich will mich jetzt wieder nach meinem Gehege aufmachen, Herr, ſorge du hier für das Nöthige, zumal aber für dich ſelbſt, und ſey vor jeder Gefahr auf der Hut, welche von Sei¬ ten der argliſtigen Freier dich bedrohen könnte.“ Auf die Bitte Telemachs verweilte jedoch der Sauhirt noch bei Tiſche, bis es Abend geworden war; dann brach er auf und verſprach, am frühen Morgen mit auserleſenen Schweinen wieder zu kommen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/246
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/246>, abgerufen am 23.11.2024.