der Letztere: "Und jetzt bin ich da, mein Sohn, auf Athene's Befehl, daß wir uns über den Mord unserer Feinde berathen. Nenne mir die Freier der Reihe nach, daß ich wisse, wie viel ihrer sind, und ob wir beide allein zu ihrer Bekämpfung hinreichen, oder ob wir uns nach Bundesgenossen umsehen sollen." "Ich habe zwar immer von deinem Ruhme gehört, mein Vater," erwie¬ derte Telemach, "und daß dein Arm so stark sey, wie dein Rath verständig. Das aber war ein stolzes Wort, und nimmermehr vermöchten wir zwei etwas gegen so Viele. Es sind ihrer nicht nur zehn oder zwanzig, es sind viel viel mehr: aus Dulichium allein zweiund¬ fünfzig der muthigsten Jünglinge, mit sechs Dienern; aus Same vierundzwanzig, aus Zacynth zwanzig, aus Ithaka selbst zwölf. Mit ihnen sind der Herold Medon, ein Sänger und zwei Köche. Darum, wenn es möglich ist, laß uns auf weitere Vertheidiger denken." -- "Be¬ denke," sprach Odysseus darauf, "daß Athene und Jupiter unsere Bundesgenossen sind, die, wenn sich einmal in meinem Palaste der Krieg erhoben hat, uns nicht lange werden auf ihre Hülfe warten lassen. Du selbst nun, lieber Sohn, geh mit dem nächsten Morgen in die Stadt zurück, und setze dich unter die Freier, als wäre nichts geschehen. Mich wird der Sauhirt, nachdem ich wieder zum greisen Bettler umgestaltet worden bin, dir nachführen. Welchen Schimpf sie alsdann mir auch im Saale anthun mögen, und wenn sie nach mir werfen und mich an den Füßen über die Schwelle ziehen, du mußt dein Herz bezähmen und es ertragen. Mit Worten magst du sie zu besänftigen suchen; aber sie werden dir nicht folgen: denn ihr Verderben ist beschlossen. Auf
der Letztere: „Und jetzt bin ich da, mein Sohn, auf Athene's Befehl, daß wir uns über den Mord unſerer Feinde berathen. Nenne mir die Freier der Reihe nach, daß ich wiſſe, wie viel ihrer ſind, und ob wir beide allein zu ihrer Bekämpfung hinreichen, oder ob wir uns nach Bundesgenoſſen umſehen ſollen.“ „Ich habe zwar immer von deinem Ruhme gehört, mein Vater,“ erwie¬ derte Telemach, „und daß dein Arm ſo ſtark ſey, wie dein Rath verſtändig. Das aber war ein ſtolzes Wort, und nimmermehr vermöchten wir zwei etwas gegen ſo Viele. Es ſind ihrer nicht nur zehn oder zwanzig, es ſind viel viel mehr: aus Dulichium allein zweiund¬ fünfzig der muthigſten Jünglinge, mit ſechs Dienern; aus Same vierundzwanzig, aus Zacynth zwanzig, aus Ithaka ſelbſt zwölf. Mit ihnen ſind der Herold Medon, ein Sänger und zwei Köche. Darum, wenn es möglich iſt, laß uns auf weitere Vertheidiger denken.“ — „Be¬ denke,“ ſprach Odyſſeus darauf, „daß Athene und Jupiter unſere Bundesgenoſſen ſind, die, wenn ſich einmal in meinem Palaſte der Krieg erhoben hat, uns nicht lange werden auf ihre Hülfe warten laſſen. Du ſelbſt nun, lieber Sohn, geh mit dem nächſten Morgen in die Stadt zurück, und ſetze dich unter die Freier, als wäre nichts geſchehen. Mich wird der Sauhirt, nachdem ich wieder zum greiſen Bettler umgeſtaltet worden bin, dir nachführen. Welchen Schimpf ſie alsdann mir auch im Saale anthun mögen, und wenn ſie nach mir werfen und mich an den Füßen über die Schwelle ziehen, du mußt dein Herz bezähmen und es ertragen. Mit Worten magſt du ſie zu beſänftigen ſuchen; aber ſie werden dir nicht folgen: denn ihr Verderben iſt beſchloſſen. Auf
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0229"n="207"/>
der Letztere: „Und jetzt bin ich da, mein Sohn, auf<lb/>
Athene's Befehl, daß wir uns über den Mord unſerer<lb/>
Feinde berathen. Nenne mir die Freier der Reihe nach,<lb/>
daß ich wiſſe, wie viel ihrer ſind, und ob wir beide<lb/>
allein zu ihrer Bekämpfung hinreichen, oder ob wir uns<lb/>
nach Bundesgenoſſen umſehen ſollen.“„Ich habe zwar<lb/>
immer von deinem Ruhme gehört, mein Vater,“ erwie¬<lb/>
derte Telemach, „und daß dein Arm ſo ſtark ſey, wie<lb/>
dein Rath verſtändig. Das aber war ein ſtolzes<lb/>
Wort, und nimmermehr vermöchten wir zwei etwas gegen<lb/>ſo Viele. Es ſind ihrer nicht nur zehn oder zwanzig,<lb/>
es ſind viel viel mehr: aus Dulichium allein zweiund¬<lb/>
fünfzig der muthigſten Jünglinge, mit ſechs Dienern;<lb/>
aus Same vierundzwanzig, aus Zacynth zwanzig, aus<lb/>
Ithaka ſelbſt zwölf. Mit ihnen ſind der Herold Medon,<lb/>
ein Sänger und zwei Köche. Darum, wenn es möglich<lb/>
iſt, laß uns auf weitere Vertheidiger denken.“—„Be¬<lb/>
denke,“ſprach Odyſſeus darauf, „daß Athene und Jupiter<lb/>
unſere Bundesgenoſſen ſind, die, wenn ſich einmal in<lb/>
meinem Palaſte der Krieg erhoben hat, uns nicht lange<lb/>
werden auf ihre Hülfe warten laſſen. Du ſelbſt nun,<lb/>
lieber Sohn, geh mit dem nächſten Morgen in die<lb/>
Stadt zurück, und ſetze dich unter die Freier, als wäre<lb/>
nichts geſchehen. Mich wird der Sauhirt, nachdem<lb/>
ich wieder zum greiſen Bettler umgeſtaltet worden bin,<lb/>
dir nachführen. Welchen Schimpf ſie alsdann mir auch<lb/>
im Saale anthun mögen, und wenn ſie nach mir werfen<lb/>
und mich an den Füßen über die Schwelle ziehen, du<lb/>
mußt dein Herz bezähmen und es ertragen. Mit Worten<lb/>
magſt du ſie zu beſänftigen ſuchen; aber ſie werden dir<lb/>
nicht folgen: denn ihr Verderben iſt beſchloſſen. Auf<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[207/0229]
der Letztere: „Und jetzt bin ich da, mein Sohn, auf
Athene's Befehl, daß wir uns über den Mord unſerer
Feinde berathen. Nenne mir die Freier der Reihe nach,
daß ich wiſſe, wie viel ihrer ſind, und ob wir beide
allein zu ihrer Bekämpfung hinreichen, oder ob wir uns
nach Bundesgenoſſen umſehen ſollen.“ „Ich habe zwar
immer von deinem Ruhme gehört, mein Vater,“ erwie¬
derte Telemach, „und daß dein Arm ſo ſtark ſey, wie
dein Rath verſtändig. Das aber war ein ſtolzes
Wort, und nimmermehr vermöchten wir zwei etwas gegen
ſo Viele. Es ſind ihrer nicht nur zehn oder zwanzig,
es ſind viel viel mehr: aus Dulichium allein zweiund¬
fünfzig der muthigſten Jünglinge, mit ſechs Dienern;
aus Same vierundzwanzig, aus Zacynth zwanzig, aus
Ithaka ſelbſt zwölf. Mit ihnen ſind der Herold Medon,
ein Sänger und zwei Köche. Darum, wenn es möglich
iſt, laß uns auf weitere Vertheidiger denken.“ — „Be¬
denke,“ ſprach Odyſſeus darauf, „daß Athene und Jupiter
unſere Bundesgenoſſen ſind, die, wenn ſich einmal in
meinem Palaſte der Krieg erhoben hat, uns nicht lange
werden auf ihre Hülfe warten laſſen. Du ſelbſt nun,
lieber Sohn, geh mit dem nächſten Morgen in die
Stadt zurück, und ſetze dich unter die Freier, als wäre
nichts geſchehen. Mich wird der Sauhirt, nachdem
ich wieder zum greiſen Bettler umgeſtaltet worden bin,
dir nachführen. Welchen Schimpf ſie alsdann mir auch
im Saale anthun mögen, und wenn ſie nach mir werfen
und mich an den Füßen über die Schwelle ziehen, du
mußt dein Herz bezähmen und es ertragen. Mit Worten
magſt du ſie zu beſänftigen ſuchen; aber ſie werden dir
nicht folgen: denn ihr Verderben iſt beſchloſſen. Auf
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/229>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.