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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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darüber und hieß ihn sich niederlassen. Als Odysseus
dankbar seine Freude über einen so gütigen Empfang
aussprach, antwortete ihm Eumäus: "Sieh, Alter! Man
soll keinen Gast verschmähen, auch den geringsten nicht.
Meine Gabe ist freilich nur klein. Wäre mein guter
Herr zu Hause geblieben, so hätte ich es wohl noch
besser; Haus, Gut und Weib hätte er mir gegeben, und
ich könnte Fremdlinge anders bewirthen! Nun aber ist
er zu Grunde gegangen. Möchte doch Helena's Stamm
im Unheil vergehen, die so viele Tapfere ins Verderben
gestürzt!"

So sprach der Sauhirt, umschlang sich seinen Leib¬
rock mit dem Gürtel und ging hin zu den Kofen, wo
ihm die Ferkel schaarenweise lagen. Von denen nahm
er zwei, und schlachtete sie zur Bewirthung seines Gastes,
zerschnitt das Fleisch, steckte es an Spieße, bestreute es
mit weißem Mehl, und legte das Gebratene frisch an
den Spießen dem Gaste vor. In eine hölzerne Kanne
goß er aus dem Kruge süßen alten Wein, setzte sich
dem Fremdling gegenüber und sagte: "Iß nun, fremder
Mann, so gut wir es haben! Es ist eben Ferkelfleisch,
denn die Mastschweine essen mir die Freier weg, diese
gewaltthätigen Menschen, die weniger Götterfurcht im
Herzen haben, als die frechsten Seeräuber! Wahrschein¬
lich haben sie von dem Tode meines Herren Kunde, daß
sie um seine Gattin gar nicht werben, wie andere Leute,
sondern niemals zu den Ihrigen heimkehrend, in aller
Ruhe fremdes Gut verprassen. Tag und Nacht schlachten
sie nicht ein- und zwei-, nein mehreremal, und leeren
dazu ein Weinfaß ums andere. Ach, mein Herr war so reich,
wie zwanzig andere zusammen! Zwölf Rinderheerden,

darüber und hieß ihn ſich niederlaſſen. Als Odyſſeus
dankbar ſeine Freude über einen ſo gütigen Empfang
ausſprach, antwortete ihm Eumäus: „Sieh, Alter! Man
ſoll keinen Gaſt verſchmähen, auch den geringſten nicht.
Meine Gabe iſt freilich nur klein. Wäre mein guter
Herr zu Hauſe geblieben, ſo hätte ich es wohl noch
beſſer; Haus, Gut und Weib hätte er mir gegeben, und
ich könnte Fremdlinge anders bewirthen! Nun aber iſt
er zu Grunde gegangen. Möchte doch Helena's Stamm
im Unheil vergehen, die ſo viele Tapfere ins Verderben
geſtürzt!“

So ſprach der Sauhirt, umſchlang ſich ſeinen Leib¬
rock mit dem Gürtel und ging hin zu den Kofen, wo
ihm die Ferkel ſchaarenweiſe lagen. Von denen nahm
er zwei, und ſchlachtete ſie zur Bewirthung ſeines Gaſtes,
zerſchnitt das Fleiſch, ſteckte es an Spieße, beſtreute es
mit weißem Mehl, und legte das Gebratene friſch an
den Spießen dem Gaſte vor. In eine hölzerne Kanne
goß er aus dem Kruge ſüßen alten Wein, ſetzte ſich
dem Fremdling gegenüber und ſagte: „Iß nun, fremder
Mann, ſo gut wir es haben! Es iſt eben Ferkelfleiſch,
denn die Maſtſchweine eſſen mir die Freier weg, dieſe
gewaltthätigen Menſchen, die weniger Götterfurcht im
Herzen haben, als die frechſten Seeräuber! Wahrſchein¬
lich haben ſie von dem Tode meines Herren Kunde, daß
ſie um ſeine Gattin gar nicht werben, wie andere Leute,
ſondern niemals zu den Ihrigen heimkehrend, in aller
Ruhe fremdes Gut verpraſſen. Tag und Nacht ſchlachten
ſie nicht ein- und zwei-, nein mehreremal, und leeren
dazu ein Weinfaß ums andere. Ach, mein Herr war ſo reich,
wie zwanzig andere zuſammen! Zwölf Rinderheerden,

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[184/0206] darüber und hieß ihn ſich niederlaſſen. Als Odyſſeus dankbar ſeine Freude über einen ſo gütigen Empfang ausſprach, antwortete ihm Eumäus: „Sieh, Alter! Man ſoll keinen Gaſt verſchmähen, auch den geringſten nicht. Meine Gabe iſt freilich nur klein. Wäre mein guter Herr zu Hauſe geblieben, ſo hätte ich es wohl noch beſſer; Haus, Gut und Weib hätte er mir gegeben, und ich könnte Fremdlinge anders bewirthen! Nun aber iſt er zu Grunde gegangen. Möchte doch Helena's Stamm im Unheil vergehen, die ſo viele Tapfere ins Verderben geſtürzt!“ So ſprach der Sauhirt, umſchlang ſich ſeinen Leib¬ rock mit dem Gürtel und ging hin zu den Kofen, wo ihm die Ferkel ſchaarenweiſe lagen. Von denen nahm er zwei, und ſchlachtete ſie zur Bewirthung ſeines Gaſtes, zerſchnitt das Fleiſch, ſteckte es an Spieße, beſtreute es mit weißem Mehl, und legte das Gebratene friſch an den Spießen dem Gaſte vor. In eine hölzerne Kanne goß er aus dem Kruge ſüßen alten Wein, ſetzte ſich dem Fremdling gegenüber und ſagte: „Iß nun, fremder Mann, ſo gut wir es haben! Es iſt eben Ferkelfleiſch, denn die Maſtſchweine eſſen mir die Freier weg, dieſe gewaltthätigen Menſchen, die weniger Götterfurcht im Herzen haben, als die frechſten Seeräuber! Wahrſchein¬ lich haben ſie von dem Tode meines Herren Kunde, daß ſie um ſeine Gattin gar nicht werben, wie andere Leute, ſondern niemals zu den Ihrigen heimkehrend, in aller Ruhe fremdes Gut verpraſſen. Tag und Nacht ſchlachten ſie nicht ein- und zwei-, nein mehreremal, und leeren dazu ein Weinfaß ums andere. Ach, mein Herr war ſo reich, wie zwanzig andere zuſammen! Zwölf Rinderheerden,

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/206>, abgerufen am 23.11.2024.