hatten sich Alle zerstreut: drei waren mit den ausgetrie¬ benen Schweinen auf der Weide; ein Vierter war nach der Stadt geschickt worden, um den übermüthigen Freiern das verlangte Mastschwein zu bringen.
Die Hunde wurden zuerst den herannahenden Odysseus gewahr und stürzten bellend auf ihn los; dieser legte den Stab aus der Hand und setzte sich. Gewiß hätte er nun in seinem eigenen Gehöfte die Schmach erfahren müssen, von seinen Hunden angefallen zu werden, wenn der Sauhirt nicht aus der Thüre seiner Hütte hervor¬ geeilt und, das Sohlenleder aus den Händen lassend, den Thieren Einhalt gethan und sie mit Steinen aus einander gescheucht hätte. Dann wandte er sich zu seinem Herrn, den er für einen Bettler hielt und sprach: "Wahr¬ haftig, es hätte wenig gefehlt, o Greis, so hätten dich die Hunde zerfleischt, und du hättest mir zu der Trübsal, die ich schon habe, noch weitern Kummer bereitet! Ist es doch genug, daß ich hülflos um meinen armen, fernen Herrn jammern muß. Hier sitze ich und mäste seine fettesten Schweine für andere Leute zum Schmaus, wäh¬ rend er selbst vielleicht im Elende nicht einmal ein Stück¬ chen trockenes Brod zu verzehren hat und in der Fremde herumirrt, wenn er anders das Tageslicht noch sieht! Komm in die Hütte, armer Mann, und laß dich mit Wein und Speise erquicken, und wenn du satt bist, sage mir, von wannen du bist und was für Gram du erduldet hast, daß du so gar jämmerlich aussiehst!"
Beide betraten die Hütte, der Sauhirt streute dem Ankömmling Laub und Reisig auf den Boden, breitete seine eigene Lagerdecke, ein großes, zottiges Gemsfell,
hatten ſich Alle zerſtreut: drei waren mit den ausgetrie¬ benen Schweinen auf der Weide; ein Vierter war nach der Stadt geſchickt worden, um den übermüthigen Freiern das verlangte Maſtſchwein zu bringen.
Die Hunde wurden zuerſt den herannahenden Odyſſeus gewahr und ſtürzten bellend auf ihn los; dieſer legte den Stab aus der Hand und ſetzte ſich. Gewiß hätte er nun in ſeinem eigenen Gehöfte die Schmach erfahren müſſen, von ſeinen Hunden angefallen zu werden, wenn der Sauhirt nicht aus der Thüre ſeiner Hütte hervor¬ geeilt und, das Sohlenleder aus den Händen laſſend, den Thieren Einhalt gethan und ſie mit Steinen aus einander geſcheucht hätte. Dann wandte er ſich zu ſeinem Herrn, den er für einen Bettler hielt und ſprach: „Wahr¬ haftig, es hätte wenig gefehlt, o Greis, ſo hätten dich die Hunde zerfleiſcht, und du hätteſt mir zu der Trübſal, die ich ſchon habe, noch weitern Kummer bereitet! Iſt es doch genug, daß ich hülflos um meinen armen, fernen Herrn jammern muß. Hier ſitze ich und mäſte ſeine fetteſten Schweine für andere Leute zum Schmaus, wäh¬ rend er ſelbſt vielleicht im Elende nicht einmal ein Stück¬ chen trockenes Brod zu verzehren hat und in der Fremde herumirrt, wenn er anders das Tageslicht noch ſieht! Komm in die Hütte, armer Mann, und laß dich mit Wein und Speiſe erquicken, und wenn du ſatt biſt, ſage mir, von wannen du biſt und was für Gram du erduldet haſt, daß du ſo gar jämmerlich ausſiehſt!“
Beide betraten die Hütte, der Sauhirt ſtreute dem Ankömmling Laub und Reiſig auf den Boden, breitete ſeine eigene Lagerdecke, ein großes, zottiges Gemsfell,
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hatten ſich Alle zerſtreut: drei waren mit den ausgetrie¬
benen Schweinen auf der Weide; ein Vierter war nach
der Stadt geſchickt worden, um den übermüthigen Freiern
das verlangte Maſtſchwein zu bringen.
Die Hunde wurden zuerſt den herannahenden Odyſſeus
gewahr und ſtürzten bellend auf ihn los; dieſer legte den
Stab aus der Hand und ſetzte ſich. Gewiß hätte er
nun in ſeinem eigenen Gehöfte die Schmach erfahren
müſſen, von ſeinen Hunden angefallen zu werden, wenn
der Sauhirt nicht aus der Thüre ſeiner Hütte hervor¬
geeilt und, das Sohlenleder aus den Händen laſſend,
den Thieren Einhalt gethan und ſie mit Steinen aus
einander geſcheucht hätte. Dann wandte er ſich zu ſeinem
Herrn, den er für einen Bettler hielt und ſprach: „Wahr¬
haftig, es hätte wenig gefehlt, o Greis, ſo hätten dich
die Hunde zerfleiſcht, und du hätteſt mir zu der Trübſal,
die ich ſchon habe, noch weitern Kummer bereitet! Iſt
es doch genug, daß ich hülflos um meinen armen, fernen
Herrn jammern muß. Hier ſitze ich und mäſte ſeine
fetteſten Schweine für andere Leute zum Schmaus, wäh¬
rend er ſelbſt vielleicht im Elende nicht einmal ein Stück¬
chen trockenes Brod zu verzehren hat und in der Fremde
herumirrt, wenn er anders das Tageslicht noch ſieht!
Komm in die Hütte, armer Mann, und laß dich mit
Wein und Speiſe erquicken, und wenn du ſatt biſt, ſage
mir, von wannen du biſt und was für Gram du erduldet
haſt, daß du ſo gar jämmerlich ausſiehſt!“
Beide betraten die Hütte, der Sauhirt ſtreute dem
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/205>, abgerufen am 23.11.2024.
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