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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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Händen haschen wollte, da schwang der Sturm die Aeste
aufwärts den Wolken zu, und seine Hand griff in die leere
Luft. Auch den Sisyphus sah ich, den vergebliche Pein ab¬
quälte: er war bemüht, ein großes Felsenstück einen
Berg empor zu schieben; angestemmt, mit Händen und
Füßen arbeitete er sich ab, und wälzte den Stein die
Berghöhe hinauf. So oft er aber schon glaubte ihn auf
dem Gipfel droben zu haben, glitt ihm das Felsstück
aus den Händen und rollte schändlicher Weise den Berg
hinunter. Da begann denn seine Anstrengung von
neuem: der Angstschweiß floß ihm von den Gliedern,
und das Haupt hüllte eine Wolke von Staub ein. Ihm
zunächst stand der Schatten des Herkules, doch nur sein
Schatten, denn er selbst lebt als Gemahl der Jugend¬
göttin ein seliges Leben unter den Olympischen. Sein
Schatten aber stand, finster, wie die Nacht, hielt den
Pfeil auf der Bogensehne und blickte schrecklich umher,
als wollte er ihn eben gegen den Feind abschnellen. Ein
prächtiges Wehrgehenk, mit allerlei Thiergestalten ge¬
schmückt, hing ihm über die Schultern.

Auch er verschwand, und nun kam noch ein ganzes
Gedräng anderer Heldenseelen. Gerne hätte ich den
Theseus und seinen Freund Pirithous herauserkannt. Aber
bei dem grausenvollen Getöse der unzähligen Schaaren
kam mich plötzlich eine solche Furcht an, als streckte mir
die Meduse ihr Gorgonenhaupt entgegen. Eilig verließ
ich mit meinen Genossen die Kluft und wandte mich wie¬
der zum Gestade des Aeanus und zu unsrem Schiffe zu.
Dann segelten wir, wie ich es dem Schatten Elpenors
versprochen hatte, nach Circe's Insel zurück."


Händen haſchen wollte, da ſchwang der Sturm die Aeſte
aufwärts den Wolken zu, und ſeine Hand griff in die leere
Luft. Auch den Siſyphus ſah ich, den vergebliche Pein ab¬
quälte: er war bemüht, ein großes Felſenſtück einen
Berg empor zu ſchieben; angeſtemmt, mit Händen und
Füßen arbeitete er ſich ab, und wälzte den Stein die
Berghöhe hinauf. So oft er aber ſchon glaubte ihn auf
dem Gipfel droben zu haben, glitt ihm das Felsſtück
aus den Händen und rollte ſchändlicher Weiſe den Berg
hinunter. Da begann denn ſeine Anſtrengung von
neuem: der Angſtſchweiß floß ihm von den Gliedern,
und das Haupt hüllte eine Wolke von Staub ein. Ihm
zunächſt ſtand der Schatten des Herkules, doch nur ſein
Schatten, denn er ſelbſt lebt als Gemahl der Jugend¬
göttin ein ſeliges Leben unter den Olympiſchen. Sein
Schatten aber ſtand, finſter, wie die Nacht, hielt den
Pfeil auf der Bogenſehne und blickte ſchrecklich umher,
als wollte er ihn eben gegen den Feind abſchnellen. Ein
prächtiges Wehrgehenk, mit allerlei Thiergeſtalten ge¬
ſchmückt, hing ihm über die Schultern.

Auch er verſchwand, und nun kam noch ein ganzes
Gedräng anderer Heldenſeelen. Gerne hätte ich den
Theſeus und ſeinen Freund Pirithous herauserkannt. Aber
bei dem grauſenvollen Getöſe der unzähligen Schaaren
kam mich plötzlich eine ſolche Furcht an, als ſtreckte mir
die Meduſe ihr Gorgonenhaupt entgegen. Eilig verließ
ich mit meinen Genoſſen die Kluft und wandte mich wie¬
der zum Geſtade des Aeanus und zu unſrem Schiffe zu.
Dann ſegelten wir, wie ich es dem Schatten Elpenors
verſprochen hatte, nach Circe's Inſel zurück.“


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[159/0181] Händen haſchen wollte, da ſchwang der Sturm die Aeſte aufwärts den Wolken zu, und ſeine Hand griff in die leere Luft. Auch den Siſyphus ſah ich, den vergebliche Pein ab¬ quälte: er war bemüht, ein großes Felſenſtück einen Berg empor zu ſchieben; angeſtemmt, mit Händen und Füßen arbeitete er ſich ab, und wälzte den Stein die Berghöhe hinauf. So oft er aber ſchon glaubte ihn auf dem Gipfel droben zu haben, glitt ihm das Felsſtück aus den Händen und rollte ſchändlicher Weiſe den Berg hinunter. Da begann denn ſeine Anſtrengung von neuem: der Angſtſchweiß floß ihm von den Gliedern, und das Haupt hüllte eine Wolke von Staub ein. Ihm zunächſt ſtand der Schatten des Herkules, doch nur ſein Schatten, denn er ſelbſt lebt als Gemahl der Jugend¬ göttin ein ſeliges Leben unter den Olympiſchen. Sein Schatten aber ſtand, finſter, wie die Nacht, hielt den Pfeil auf der Bogenſehne und blickte ſchrecklich umher, als wollte er ihn eben gegen den Feind abſchnellen. Ein prächtiges Wehrgehenk, mit allerlei Thiergeſtalten ge¬ ſchmückt, hing ihm über die Schultern. Auch er verſchwand, und nun kam noch ein ganzes Gedräng anderer Heldenſeelen. Gerne hätte ich den Theſeus und ſeinen Freund Pirithous herauserkannt. Aber bei dem grauſenvollen Getöſe der unzähligen Schaaren kam mich plötzlich eine ſolche Furcht an, als ſtreckte mir die Meduſe ihr Gorgonenhaupt entgegen. Eilig verließ ich mit meinen Genoſſen die Kluft und wandte mich wie¬ der zum Geſtade des Aeanus und zu unſrem Schiffe zu. Dann ſegelten wir, wie ich es dem Schatten Elpenors verſprochen hatte, nach Circe's Inſel zurück.“

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/181>, abgerufen am 22.11.2024.