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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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schwieg, enthüllte er sein Gesicht und griff zum Becher.
Wenn aber das Lied von neuem begann, verhüllte er sein
Haupt wieder. Keiner bemerkte es, als der ihm zunächst
sitzende König, der ihn tief aufseufzen hörte. Er hieß
daher dem Gesang ein Ende machen, und befahl den
Fremdling auch durch Kampfspiele zu ehren. "Unser Gast,"
sprach er, "soll auch den Seinigen zu Hause melden kön¬
nen, wie wir Phäaken es im Faustkampf, Ringen, Sprung
und Wettlauf allen Sterblichen zuvorthun!" So wurde
das Mahl aufgehoben und die Phäaken folgten dem Rufe
ihres Königs. Eilend begab sich Alles auf den Markt.
Dort erhoben sich eine Menge edler Jünglinge; darunter
auch drei Söhne des Alcinous selbst, Laodamas, Ha¬
lius und Klytoneus. Diese drei maßen sich zuerst mit
einander im Wettlauf, auf einer Sandbahn, die sich
vor ihnen weithin erstreckte. Auf dieser flogen sie auf ein
gegebenes Zeichen stürmend dahin, und durchstäubten
das Gefilde; Klytoneus war es, der den andern es bald
zuvor that und das Ziel als Sieger erreichte. Dann
wurde der Ringkampf versucht; in diesem siegte der junge
Held Euryalus; darauf kamen die Springer; hier zeigte
sich der Phäake Amphialus als den Ueberlegenen; im
Scheibenschwingen gewann es Clareus, endlich im Faust¬
kampfe Laodamas der Königssohn.

Dieser erhob sich jetzt in der Versammlung der
Jünglinge und sprach: "Freunde, wir sollten doch auch
erforschen, ob der Fremdling etwas von unsern Kämpfen
versteht. Gestalt, Schenkel und Füße versprechen nichts
Schlechtes, seine Arme sind nervicht, sein Nacken ist
voll Kraft, sein Wuchs ist mächtig. Und scheint er
gleich von Gram und Elend gebrochen, so mangelt es

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ſchwieg, enthüllte er ſein Geſicht und griff zum Becher.
Wenn aber das Lied von neuem begann, verhüllte er ſein
Haupt wieder. Keiner bemerkte es, als der ihm zunächſt
ſitzende König, der ihn tief aufſeufzen hörte. Er hieß
daher dem Geſang ein Ende machen, und befahl den
Fremdling auch durch Kampfſpiele zu ehren. „Unſer Gaſt,“
ſprach er, „ſoll auch den Seinigen zu Hauſe melden kön¬
nen, wie wir Phäaken es im Fauſtkampf, Ringen, Sprung
und Wettlauf allen Sterblichen zuvorthun!“ So wurde
das Mahl aufgehoben und die Phäaken folgten dem Rufe
ihres Königs. Eilend begab ſich Alles auf den Markt.
Dort erhoben ſich eine Menge edler Jünglinge; darunter
auch drei Söhne des Alcinous ſelbſt, Laodamas, Ha¬
lius und Klytoneus. Dieſe drei maßen ſich zuerſt mit
einander im Wettlauf, auf einer Sandbahn, die ſich
vor ihnen weithin erſtreckte. Auf dieſer flogen ſie auf ein
gegebenes Zeichen ſtürmend dahin, und durchſtäubten
das Gefilde; Klytoneus war es, der den andern es bald
zuvor that und das Ziel als Sieger erreichte. Dann
wurde der Ringkampf verſucht; in dieſem ſiegte der junge
Held Euryalus; darauf kamen die Springer; hier zeigte
ſich der Phäake Amphialus als den Ueberlegenen; im
Scheibenſchwingen gewann es Clareus, endlich im Fauſt¬
kampfe Laodamas der Königsſohn.

Dieſer erhob ſich jetzt in der Verſammlung der
Jünglinge und ſprach: „Freunde, wir ſollten doch auch
erforſchen, ob der Fremdling etwas von unſern Kämpfen
verſteht. Geſtalt, Schenkel und Füße verſprechen nichts
Schlechtes, ſeine Arme ſind nervicht, ſein Nacken iſt
voll Kraft, ſein Wuchs iſt mächtig. Und ſcheint er
gleich von Gram und Elend gebrochen, ſo mangelt es

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[115/0137] ſchwieg, enthüllte er ſein Geſicht und griff zum Becher. Wenn aber das Lied von neuem begann, verhüllte er ſein Haupt wieder. Keiner bemerkte es, als der ihm zunächſt ſitzende König, der ihn tief aufſeufzen hörte. Er hieß daher dem Geſang ein Ende machen, und befahl den Fremdling auch durch Kampfſpiele zu ehren. „Unſer Gaſt,“ ſprach er, „ſoll auch den Seinigen zu Hauſe melden kön¬ nen, wie wir Phäaken es im Fauſtkampf, Ringen, Sprung und Wettlauf allen Sterblichen zuvorthun!“ So wurde das Mahl aufgehoben und die Phäaken folgten dem Rufe ihres Königs. Eilend begab ſich Alles auf den Markt. Dort erhoben ſich eine Menge edler Jünglinge; darunter auch drei Söhne des Alcinous ſelbſt, Laodamas, Ha¬ lius und Klytoneus. Dieſe drei maßen ſich zuerſt mit einander im Wettlauf, auf einer Sandbahn, die ſich vor ihnen weithin erſtreckte. Auf dieſer flogen ſie auf ein gegebenes Zeichen ſtürmend dahin, und durchſtäubten das Gefilde; Klytoneus war es, der den andern es bald zuvor that und das Ziel als Sieger erreichte. Dann wurde der Ringkampf verſucht; in dieſem ſiegte der junge Held Euryalus; darauf kamen die Springer; hier zeigte ſich der Phäake Amphialus als den Ueberlegenen; im Scheibenſchwingen gewann es Clareus, endlich im Fauſt¬ kampfe Laodamas der Königsſohn. Dieſer erhob ſich jetzt in der Verſammlung der Jünglinge und ſprach: „Freunde, wir ſollten doch auch erforſchen, ob der Fremdling etwas von unſern Kämpfen verſteht. Geſtalt, Schenkel und Füße verſprechen nichts Schlechtes, ſeine Arme ſind nervicht, ſein Nacken iſt voll Kraft, ſein Wuchs iſt mächtig. Und ſcheint er gleich von Gram und Elend gebrochen, ſo mangelt es 8 *

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/137>, abgerufen am 24.11.2024.