Telemach ging hinab ans Meergestade, und, die Hände in der Fluth waschend, rief er zu dem unbekann¬ ten Gotte, der Tags zuvor in Menschengestalt bei ihm in seiner Wohnung erschienen war. Da nahete ihm Pallas Athene, dem Freunde seines Vaters, Mentor, an Gestalt und Stimme ähnlich, und sprach: "Telemach, wenn du hinfort nicht zaghaft und besinnungslos seyn willst, wenn der Geist deines Vaters, des klugen Odysseus, nicht ganz von dir gewichen ist, so hoffe ich, daß du deinen Entschluß ausführest! Ich bin der alte Freund deines Vaters, ich will dir für ein schnelles Schiff sorgen, und dich selber begleiten!" Telemach, der nicht anders glaubte, als daß Mentor selbst zu ihm geredet, eilte entschlossen nach Hause; auf dem Wege begegnete er dem jungen Freier Antinous, der ihm lachend die Hand hinbot und sprach: "Unbändiger, trotziger Jüngling, zürne nicht län¬ ger! Lieber geschmaust und getrunken mit uns, wie bis¬ her! Laß die Bürger für deine Reise sorgen, und wenn sie dir Schiff und Mannschaft gerüstet haben, dann magst du meinethalben nach Pylos fahren!" Aber Telemach erwiederte: "Nein, Antinous, es ist mir unmöglich, län¬ ger schweigend mit euch ausschweifenden Männern am Mahle zu sitzen! Ich bin kein Knabe mehr; ihr habt es hinfort mit einem muthigen Manne zu thun, mag ich nun gen Pylos fahren, oder auf unsrem Eilande ver¬ bleiben! Aber ich will gehen, und nichts soll mir die beschlossene Fahrt vereiteln!" So sprechend, zog er leicht seine Hand aus der Hand des Freiers und eilte in die
Telemach bei Neſtor.
Telemach ging hinab ans Meergeſtade, und, die Hände in der Fluth waſchend, rief er zu dem unbekann¬ ten Gotte, der Tags zuvor in Menſchengeſtalt bei ihm in ſeiner Wohnung erſchienen war. Da nahete ihm Pallas Athene, dem Freunde ſeines Vaters, Mentor, an Geſtalt und Stimme ähnlich, und ſprach: „Telemach, wenn du hinfort nicht zaghaft und beſinnungslos ſeyn willſt, wenn der Geiſt deines Vaters, des klugen Odyſſeus, nicht ganz von dir gewichen iſt, ſo hoffe ich, daß du deinen Entſchluß ausführeſt! Ich bin der alte Freund deines Vaters, ich will dir für ein ſchnelles Schiff ſorgen, und dich ſelber begleiten!“ Telemach, der nicht anders glaubte, als daß Mentor ſelbſt zu ihm geredet, eilte entſchloſſen nach Hauſe; auf dem Wege begegnete er dem jungen Freier Antinous, der ihm lachend die Hand hinbot und ſprach: „Unbändiger, trotziger Jüngling, zürne nicht län¬ ger! Lieber geſchmauſt und getrunken mit uns, wie bis¬ her! Laß die Bürger für deine Reiſe ſorgen, und wenn ſie dir Schiff und Mannſchaft gerüſtet haben, dann magſt du meinethalben nach Pylos fahren!“ Aber Telemach erwiederte: „Nein, Antinous, es iſt mir unmöglich, län¬ ger ſchweigend mit euch ausſchweifenden Männern am Mahle zu ſitzen! Ich bin kein Knabe mehr; ihr habt es hinfort mit einem muthigen Manne zu thun, mag ich nun gen Pylos fahren, oder auf unſrem Eilande ver¬ bleiben! Aber ich will gehen, und nichts ſoll mir die beſchloſſene Fahrt vereiteln!“ So ſprechend, zog er leicht ſeine Hand aus der Hand des Freiers und eilte in die
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Telemach bei Neſtor.
Telemach ging hinab ans Meergeſtade, und, die
Hände in der Fluth waſchend, rief er zu dem unbekann¬
ten Gotte, der Tags zuvor in Menſchengeſtalt bei ihm
in ſeiner Wohnung erſchienen war. Da nahete ihm Pallas
Athene, dem Freunde ſeines Vaters, Mentor, an Geſtalt
und Stimme ähnlich, und ſprach: „Telemach, wenn du
hinfort nicht zaghaft und beſinnungslos ſeyn willſt, wenn
der Geiſt deines Vaters, des klugen Odyſſeus, nicht
ganz von dir gewichen iſt, ſo hoffe ich, daß du deinen
Entſchluß ausführeſt! Ich bin der alte Freund deines
Vaters, ich will dir für ein ſchnelles Schiff ſorgen, und
dich ſelber begleiten!“ Telemach, der nicht anders glaubte,
als daß Mentor ſelbſt zu ihm geredet, eilte entſchloſſen
nach Hauſe; auf dem Wege begegnete er dem jungen
Freier Antinous, der ihm lachend die Hand hinbot und
ſprach: „Unbändiger, trotziger Jüngling, zürne nicht län¬
ger! Lieber geſchmauſt und getrunken mit uns, wie bis¬
her! Laß die Bürger für deine Reiſe ſorgen, und wenn
ſie dir Schiff und Mannſchaft gerüſtet haben, dann magſt
du meinethalben nach Pylos fahren!“ Aber Telemach
erwiederte: „Nein, Antinous, es iſt mir unmöglich, län¬
ger ſchweigend mit euch ausſchweifenden Männern am
Mahle zu ſitzen! Ich bin kein Knabe mehr; ihr habt es
hinfort mit einem muthigen Manne zu thun, mag ich
nun gen Pylos fahren, oder auf unſrem Eilande ver¬
bleiben! Aber ich will gehen, und nichts ſoll mir die
beſchloſſene Fahrt vereiteln!“ So ſprechend, zog er leicht
ſeine Hand aus der Hand des Freiers und eilte in die
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/102>, abgerufen am 24.11.2024.
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